„Keinen interessiert ein nacherzähltes Mittagessen“ – lautet eine journalistische Maxime. Auch wenn ihr Legionen von „Foodies“ widersprechen. Doch was das Hong Kong Wine & Dine Festival heuer für Gourmets plant, hat tatsächlich Experiment-Charakter. Denn das gesamte Programm wird sich mangels einfliegender Chefköche und Gourmets in 34 kostenlosen Life-Streams (ab 21. November) an die Genusswelt wenden. Die Themen der englischen Vorträge sind vielversprechend: „Wie hält man eine private Blind-Verkostung ab“? „Veganen Apfelkuchen ohne Zucker backen“. Persönliches Highlight im Programm war aber „Craft Beer-Pairing mit Snacks aus dem Supermarkt“.
Einen Vorgeschmack (!) darauf gab es mit einem der prominentesten Weinkritiker dieser Welt. James Suckling, der seit acht Jahren in Hongkong lebt, stellte im Rahmen einer Master Class „New Wave Bordeaux“ vor. Und das interessiert dann auch im fernen Austria. Zumal die asiatische Metropole der wichtigste Exportmarkt für Bordeaux-Weine außerhalb Europas ist. Dass man aber nicht nur die weltbekannten Châteaus mit ihren galoppierenden Preisen auf dem Schirm haben sollte, machte die Verkostung klar (die am 21. 11. übrigens kostenlos über die Website zugänglich ist). Denn es begann mit den abseits der Süßweine oft ignorierten weißen Abfüllungen aus dem Bordelais. Und das gleich mit einem Weißwein des Château Suduiraut, der eine spannende Sorten-Kombination vorstellt, die hierzulande kaum bekannt ist.
In Australien allerdings ist der „Sém-Sauv“ ein gängiger Blend, der den grasig-lauten Sauvignon Blanc mit Beigabe von Sémillon etwas bändigt. Im Falle des „Blanc Sec“, wie die Variante aus 52% Sémillon und 48% Sauvignon bei Suduiraut heißt, hat man auch ein wenig Holz ins Spiel gebracht; ein Viertel des Weins kommt ein halbes Jahr ins Barrique. Das klingt nicht nur spannend, sondern gefällt dem generell „frucht-verliebten“ Österreicher auch: Grüner Apfel, Kräuter wie Koriander und die Zesten von rosa Grapefruits leiten einen Wein ein, der deutlich „leiser“ ist als viele Sauvignon Blancs hierzulande. Die Minderheiten-Sorte kann er dennoch auch in diesem Blend nicht verleugnen. Mango, wie sie James Suckling riecht, kann man ebenfalls zu den Duftnoten zählen – für uns ist es ebenfalls eher die grüne Variante und kein vollreifes Flugmango-Exemplar.
Der Kostschluck jedenfalls, da herrscht wieder volle Einigkeit, bringt „zesty acidity, that wakes you up“. Besser hätten wir es auch nicht sagen können. Denn selbst wärmer serviert, kommt die Frische im ersten Schluck schon durch. Doch der „Blanc Sec“ zeigt auch eine deutliche Cremigkeit, die vom Sémillon herrührt. Sie bringt eine angenehme Pfirsich-Frucht mit, ganz zart auch Maracuja und in Richtung des Abgangs auch pochierte Birne. Das Finale bringt dann auch würzige Töne ein, die leicht pfeffrig wirken, aber auch der zarte Gerbstoff von Zitruszesten ist wieder da. Ein feiner Alltagswein, den man so vermutlich nicht nach Bordeaux verortet hätte.
Cabernet in Erstpressung: Rosé de Giscours 2019
Noch schräger wird es, wenn in einer Region, die drei-stellige Flaschenpreise für Rotwein aufrufen kann, ein Rosé gekeltert wird aus dem edlen Cabernet Sauvignon. Und zwar nicht nur ein Nebenprodukt, ein „saignée“, wie die Franzosen sagen würden, sondern ein hell gepresster Rotwein. Auch dieser „Rosé de Giscours“, der vom gleichnamigen Château in Margaux stammt, ist Jahrgang 2019. Und was soll man sagen? BÄMM! Der edelsüße Paprika fährt einem voll ins Gesicht – soweit das einem Gewürz in Pulverform möglich ist. Spätestens jetzt weiß man, dass man hier einen Typus abseits der gewohnten Himbeer-Zitrus-Stilistik der Provence im Glas hat.
Die Pikanz dieses Weines kann man bereits durch die Nase aufnehmen. Und dabei bleibt es bei diesem 2019er auch am Gaumen: Eine softe, rotfruchtige Grundierung ist zwar da, auch ein Nachgeschmack nach Heidelbeere, aber die vibrierende Paprikafrucht ist der wahre Trumpf. Zumal sie nicht plump daher kommt, sondern wie von einer geheimen Feder angetrieben weiter und weiter macht. „Es ist schade, dass wir Rosé nur mit dem Sommer verbinden“, seufzt derweil James Suckling aus dem Lautsprecher. Und mit einem Wein wie diesem Giscours hat er in der Tat recht. Der geht ganzjährig und passt zu vielen leichten Gerichten, insbesondere Fisch und Krustentieren, perfekt. Eigentlich überall, wo auch Rosé-Champagner ginge – nur dass es hier keine Kohlensäure gibt. Leider gibt es nur 12.000 Flaschen und die scheinen sich wenig aus Frankreich rauszubewegen.
Das gilt zum Glück nicht beim dritten Wein. Und mit ihm läuft die Online-Verkostung zur vollen Form auf. Zum einen, weil es ein „echter“, will sagen: roter, Bordeaux ist. Zum anderen gehört das Château Le Rey einem Mann aus Hongkong, was den Moderatoren vom Hong Kong Tourism Board gleich ein Lächeln ins Antlitz zaubert. Peter Kwok hat mehrere Weingüter (u.a.: Tour Saint Christophe, Bellefont-Belcier) in seinem Besitz. Diese Cuvée ist einer von zwei Weinen des Châteaus in Sainte-Colombe am rechten Ufer der Gironde.
Es wird hier aber nicht nach Qualitäten abgestuft wie im nahen St. Emilion; anstelle von „Erstwein“ und „Zweitwein“ gibt es einen „lehmigen“ und einen „steinigen“ Wein. Wir haben den ersten, den „Les Argileuses“ von Lehm-Böden des 12 Hektar-Weinguts, im Glas. Er sieht bewußt kein Holz, sondern ruht zum Teil in Amphoren, nachdem die Gärung im Stahltank abgeschlossen ist. Es ist ein Blend aus 80% Merlot und 20% Cabernet Franc und vor allem der Anteil des „Cab“ dürfte 2019 eine feine Reife erreicht haben. Seine grün-würzige Signatur ist kaum zu bemerken, wenn man nach der Nase gehen kann. Der 2019ers zeigt vielmehr eine animierende Mischung von Rotwein-Düften, die schon der Laie benennen kann: Dörrzwetschke und Brombeere. Zart ist da auch frischer Lavendel (nicht der aus den Kleiderkasten-Säckchen!).
„Er springt förmlich heraus“, beschreibt den Geruch Bordeaux-Spezialist Suckling im fernen Hongkong – und das stimmt selbst für unser recht großes Glas. Auch da ist die Power dieser Cuvée da. Der Kostschluck bringt dann ordentlich Gerbstoff mit. Der steht aber nicht verloren als finale Genuss-Barrikade da, sondern hängt an den fruchtigen Noten. Sie sind tief-dunkel, erinnern an Holunder, sehr reife Heidelbeeren, aber – ganz hinten am Gaumen – auch an Powidl, allerdings ohne jede Süße.
Es wird einem warm ums Herz mit diesem Wein, auch wenn er seine 14,5% Alkohol davor kaum zeigte. Der „Trick“ mit der Amphore dürfte sich bezahlt gemacht haben. Sehr zugänglich wirkt dieser junge Bordeaux, der ein echter Allrounder und mit wenig Säure auch schön rund und mild ist. Das mag „old school“ sein, hat aber sicher seine Freunde weltweit. Zumal man den „Les Argileuses“ weder wegsperren muss für ein paar Dekaden, noch sein Sparschwein dafür schlachten.
Bezugsquellen:
Château Suduiraut, Blanc Sec de Suduiraut 2019 kostet EUR 13 beim Bordeaux-Händler Millesima, www.millesima.at
Château Giscours, Rosé de Giscours 2019 ist offenbar nur in Frankreich erhältlich; um EUR 24 führt ihn dort z. B. La Vinothèque de Bordeaux, https://vinotheque-bordeaux.com
Château Le Rey, Les Argileuses 2019 kostet EUR 12,50 bei Lobenbergs Gute Weine, www.gute-weine.de