Ab dem dritten Mal darf man Ereignisse als Tradition bezeichnen. Und so gesehen, gehört das Verkosten der aktuellen Produktion der Vinea Volcania Ludovici (VVL) schon traditionell zum trinkprotokollarischen Kalender. Die Kleinheit des Betriebs von Daniela und Kurt Steiner in Klöch manifestiert sich aber nicht in den Zahlen. Dann stünden vier Rebsorten auf einem halben Hektar zu Buche. Doch der Anspruch und die Liebe zum Detail sind hier immer wieder spannend. Zumal sich mittlerweile auch ein Vergleich der Weinentwicklung anbietet. Und so beginnt der Bericht von der Verkostung eines außergewöhnlichen Vulkanland-Weins mit einer Abfüllung, die es nicht mehr gibt.
Doch man muss diesen „Ab Avo“ (=„vom Großvater“, der zuvor 70 Jahre Wein kelterte) des Jahrgangs 2015 mit den Rieslingen vergleichen, die den Steiners 2019 und 2017 gelangen. Die Kost-Notiz zu letzterem Jahrgang ist hier nachzulesen. Der aktuelle Riesling, also 2019, zeigt einmal mehr, wie gut die Sorte auf die Basalt-Böden passt, wo aber meist Burgunder-Sorten und Traminer (wir sind in Klöch!) den Weingarten beherrschen. Zumal das vorige ein nahezu „perfektes Jahr“ zum Weinmachen war. Was im Falle der Steiners auch heißt, dass alle erforderlichen Arbeiten im Weingarten und Keller dann durchgeführt werden konnten, wann die ideale Zeit dafür war. Immerhin stehen beide voll im Hauptberuf weiter nördlich und können nicht bei jedem Reb-Wehwehchen sofort vor Ort sein. Doch, so Kurt Steiner, „wir hatten fast ausschließlich wunderschönes, reifes und kerngesundes Traubenmaterial“.
Der „Ab Avo“ 2019 ist ein fruchtig-frischer Typus aus dem Stahltank, der noch deutlich arbeitet. Der Rauch-Ton des basaltigen Untergrunds legt sich scharf über eine etwas verhaltene Frucht-Nase, in der vor allem Nashi-Birne herausragt. Kühle Frucht prägt auch die erste Bekanntschaft am Gaumen; hier kommt aber die charakteristische Marillen-Note der Sorte schön durch. Knackig wirkt der Klöcher Riesling in seiner Jugend, das unterstützt auch eine feine Chili-Pikanz, die sich in den Frucht-Säure-Bogen einmengt. Das cremig-säurige Finale ist da noch nicht ganz nahtlos angedockt. Dass es hier aromatisch noch zu einem Zusammenwachsen kommen wird, ist unstrittig. Woher man das weiß? Weil das ähnlich gute Jahr 2015 einen Wein hervorbrachte, der zeigt, wohin die Reise beim VVL–Riesling gehen kann.
Es ist ein Wein, der verbale Kreativität fordert, um ihm gerecht zu werden. Zum Glück legt der Winzer himself vor, indem er die erste Duftspur gleich als „sexy Petrol“ bezeichnet. Und das mit Recht, denn es ist die Ahnung eines Tankstellen-Geruchs, der durchs Autofenster weht, wenn man schon wieder die Zapfsäule verlassen hat. Diesen „Ab avo“ 2015 einmal neben einem gleichaltrigen Wachauer Smaragd zu verkosten, wäre eine schöne Aufgabe für Weinliebhaber mit viel Freizeit und Sinn für Distinktionen. Wir hingegen beschreiben derweil den Duft dieses zu Recht ausverkauften Rieslings weiter; die dunkle Frucht dieses Weins ist so intensiv, dass man mitunter an Powidl, eine seltene Analogie bei weißen Rebsorten, denkt. Und über allem flirrt der Sesam, nussig-rauchig duftend, wie vom frisch aus dem Ofen gezogenen Fladenbrot.
Strahlend ist dann die Ananas, die den Gaumen überzieht mit ihrem tropischen Film. Doch Obacht! Denn sie ist weit frischer und weniger ausladend, als der satte Duft vermuten ließ. Die Säure ist nämlich noch lebendig und bestätigt eine Erkenntnis, die andere Weine vom Klöcher Basalt uns beschert haben: Sie brauchen länger sich zu entwickeln. Gut so, denn die an „Juicy Fruit“-Kaugummis mit ihrer herben Ummantelung anstreifende Frucht bekommt so Finesse injiziert. Ein leichte Erdigkeit, die man als Boden-Signatur Klöchs werten könnte, ist ebenfalls da. Und wenn man der Zunge trauen kann, beginnt der Riesling gegen das Finish hin einen prickelnden Tanz, der zur finalen Verbalkreativität Anlass gibt. Denn es steht tatsächlich „degressives Pfefferl“ auf dem Trinkprotokoll. Denn langsam, als wolle er sich gar nicht vom Gaumen trennen, verklingt dieser Wein mit einem würzigen „Adieu!“.
Rechter Zeitpunkt, fruchtverliebtes Fass: Kairos 2018
Doch der eine geht, der andere kommt. Und es ist eine Premiere, die man als Einzelfass-Abfüllung bezeichnen kann. Doch nicht nur das verwendete Fass macht den 2018er zu etwas Besonderem. „Es war unser zehnter Jahrgang“, so Steiner, der sich zum Geburtstag etwas aus der Burgund gewünscht hatte. Ein „piéce“, wie die 228 Liter fassenden Eichengebinde heißen, wurde in der Tonnellerie Tremeaux für den Jubilar bestellt. Das erste, was die Küferei über sich selbst sagt, zeigt den ungewöhnlichen Anspruch des Betriebs in Beaune: „Wir machen geduldig eine beschränkte Anzahl an Fässern, welche die Frucht respektieren und den einzigartigen Charakter jedes Weins widerspiegeln“. Ohne ins Detail zu gehen, arbeitet Ludovic Tremeaux mit seinen drei Mitarbeitern mit extrem feinporigen Holz, dessen Gerbstoff noch dazu stark ausgewaschen wird. Dazu kommt das von VVL-Weine gewünschte Toasting, das speziell für Weißweine (will in der Burgund heißen: Chardonnay) gedacht ist. „Légère Longue“ bringt nur leichte Röst-Aromen hervor.
Dieses eine Fass, selten und teuer, belegt man nicht aufs Geratewohl. Und man muss vor allem genau wissen, wie lange man den Weißwein drin belässt. Der richtige Zeitpunkt, da klingelt bei allen Humanisten etwas – der Mann mit dem alten und dem jungen Gesicht, dessen Haarschopf so schwer zu fassen ist! Er hieß bei den alten Griechen Kairos und war ein Symbolcharakter für den idealen Augenblick. Und so heißt auch die Cuvée, für die in Klöch 50% Riesling, 20% Traminer und je 15% Sauvignon Blanc und Welschriesling vermählt wurden. Jetzt mag den Fassinhalt zwar keine einzige Burgundersorte ausmachen, doch das französische Vorbild, etwa aus dem Mâconnais, wird klar angesteuert. Das beginnt beim „Stinkerl“, das sich als eine Art Schwimmbad-Ton, irgendwo zwischen Medizinschrank und kaltem Rauch, anlässt. Man kann das auch als Ausrufungszeichen sehen, das der „Kairos“ 2018 selber setzt: Meine Herren, Konzentration!
Denn dann legt der Wein, der ein Jahr auf der Feinhefe im „piéce“ lag, so richtig los. Das Kaminfeuer bleibt von der ersten Duftspur bestehen, es gesellen sich Jasmin-Blüten, Butterkekse und auch eine Tee-Mischung hinzu, in der Hibiskus und Kokosflocken gewesen sein müssen. Schmelzig – auch das ein Versprechen der „Légère Longue“-Fässer – startet der Wein und vergattert gleich einmal rote Tropenfrüchte zur Parade-Aufstellung: Papaya-Würfel, etwas Guave und Melone werden von einem cremigen Ton ummantelt. Er erinnert an die Butterscotch-Noten eines guten Bourbons, ist aber nicht wirklich mit dem Karamell eines stärkeren Toastings zu vergleichen. Viel leichter fällt hier der Einfluss des Holzes aus, das sich auch nicht mit der jugendlichen Säure des „Kairos“ schlägt. Im Gegenteil. Der Moment, wann diese cremig-buttrige Art in die doch zitrusfruchtige Endstufe übergeht, ist nicht zu greifen. Engmaschig und undurchsichtig dicht scheint das Gewebe, das die Metamorphose von Butterkeks in Orangenfruchtfleisch vor uns verbirgt.
Selbst wenn man nicht auf die (mitunter durchaus leistbaren) Burgund-Chardonnays eingetrunken ist, formt sich hier eine Frage so massiv, dass man sie aussprechen muss: Warum leisten sich nicht mehr Winzer in Österreich ein solches Fass? Zumal schon ein unkonventioneller, den Haus-Sorten verpflichteter Blend so herrliche Ergänzung erfährt. Dieses „piéce“ ist kein Korsett, schon gar keine Krücke für den Wein, sondern eine Krawatte. Sie schmückt die Klöcher Cuvée ungemein. Und sorgt dafür, dass sie auch in einigen Jahren sicher nicht alt aussieht. Sondern einfach immer noch schmeckt.
Bezugsquelle:
Vinea Volcania Ludovici, Riesling „Ab avo“ 2019 ist um EUR 14 erhältlich, die Cuvée Réserve Pièce „Kairos“ 2018 um EUR 34, beide ab Hof, www.vvlweine-steiner.at