Blindverkostungen sind manchmal wie „Beamten-Mikado“: der Erste, der sich bewegt, hat verloren. Denn längst nicht mehr sind alle vermeintlich sicher abgespeicherten Wein-Stile für ein ganzes Gebiet anwendbar. Fette und plump kirschige Pinot Noirs können aus der Heimat der Burgunder-Verehrung stammen. Und was hingegen „französische Eleganz“ aufweist, wächst in Spuckweite der Südbahngeleise. Dieses Fazit – insgeheim wohl erhofft von den organisierenden Winzern der Thermenregion – stand am Ende eines einfachen Spiels für Kenner (echter und vermeintlicher) in der Gebietsvinothek Thallern. Die Regeln waren einfach: Schweigend kosten und am Ende den Franzosen aus vier Weinen herauskennen!
Eindeutig war das nur bei einem Flight, allerdings stand hier auch der Faktor Zehn beim Preis zwischen den Pinot Noirs aus Tattendorf und dem Grand Cru von Louis Jadot. Das Zauberwort „Chambertin“ sorgte hier aber auch wirklich für Magie im Glas! Rauchig wie torfige Blumenerde, mit ultra-eleganten Holz-Noten, zeigte sich dieser 2017er „Chapelle-Chambertin“. Am Gaumen wurden die Beerentöne von mikrofeinem Schwarzen Pfeffer nicht einfach begleitet, sondern symbiontisch zu einem Eindruck verschmolzen. Die Kühle und feine Klinge machten hier einen Wein aus, der einen ansteckte mit seiner solemnen Stimmung. Was ja nicht schlecht zur sakralen Vergangenheit des Austragungsort dieses genüsslichen Duells passte!
Denn Thallern wurde kenntnisreich als Lesehof, „Grangie“ genannt bei den Zisterziensern, vorgestellt von Willi Klinger, der die Moderation der Blindverkostung übernommen hatte. Ihm zur Seite sorgte Adi Schmid („Wer „Legende“ zu mir sagt, zahlt an Liter!“) für Heiterkeit, die aber nicht klare Ansichten zu Stilen und Vorurteilen vernebelte. Ein kleines Generationenduell entspann sich mitunter mit Max Weber, dem Sommelier beim famosen Schweizer Michelin-Koch Andreas Caminada und gebürtigem Mödlinger. Wie wir hielt der Youngster den vielfach gepriesenen „Vielles Vignes“ 2019 von Jean-Michel Guillon et fils für einen Vertreter des „alten Stils“ – zuviel Extraktsüße, zu schwer, zu holzlastig. Abseits des Podiums trinkprotkollierten wir ähnlich unzufrieden: „Parmesan-Duft, HARIBO-Colafläschchen und viel Maraschino-Kirsche – sie ist auch am Gaumen penetrant präsent und lässt wenig sonst daneben aufkommen“.
Himbeer-Feinheit gegen Luxardo-Kirsche: Holzspur 2019
Dass daneben mit der „Ried Holzspur“ der Rotwein des Abends (vom fast genau zehn Mal teureren „Chapelle-Chambertin“ abgesehen) stand, war doppeltes Pech für Burgund! Johann Gispergs Pinot Noir hatte sogar eine Parallele zu Frankreichs Vorbildern aufzuweisen, „auch wir nehmen 100% neues Holz“, präzisierte der Winzer. Die Eleganz dieses hellfärbigen Weins, der zwischen röstigen Tönen (Maronischale) und Hibiskus oszillierte, erfreute schon im Duft: Wie es für Spitzenvertreter des Blauburgunders gehört, war er ein Januskopf zwischen roter Frucht und tiefer Würze. Tee-feiner Gerbstoff verriet die Jugend dieses 2019ers aus Teesdorf, der Schwarze Pfeffer lauerte im Hintergrund in einer Feinheit, die in diesem Einzel-Aspekt dem Grand Cru aus Chambertin nicht nachstand. Vor allem aber war hier sofort das große Lagerpotential dieses Gisperg-Flaggschiffs erkennbar. Erst in zehn Jahren wird das Gesamtbild hinter dieser (mit nach Himbeere schmeckendem Rötel gestrichelten) Wein-Skizze erkennbar sein. Und es wird ein Monumentalgemälde sein!
Ein Pendant in Sachen strahlender Dominanz des Vierer-Flights, ja, vielleicht sogar aller acht gedeckt servierten Weißweine, stellte Leo Aumanns Chardonnay Reserve dar. Den Chablis – Frankreichs Kandidat im Quartett – verblies der Tribuswinkler 2017er einmal wie nichts. Der reduktive Stil, olfaktorisch zwischen Leinsamen vom Kornspitz und Revolver-Munition kleiner Buben geparkt, war nur die Ouverture. Extrem floral, in diesem Fall nicht schüchtern weiß blühende Botanik, sondern pralle Pfingstrosen, zeigte sich die Reserve – und öffnete sich im großen Glas so richtig.
Klar hatte dieser Wein „breite Schultern“, was nicht jeder im Raum goutierte, aber man musste ein wenig in die Tiefe schauen, respektive: kosten. Der große Trumpf von Aumanns Wein war nämlich die Gerbstoffstruktur; sie zeigte einen an Grüntee erinnernden frischen Ton, keine trocknende Art. Gemeinsam mit der satten Tropenfrucht – Maracuja pur! – und der zarten Vanille wurden hier die beiden Antagonisten aufgedeckt. Wenn diese beiden Pole einander zuwachsen, was nur noch gänzlich neue Naturgesetze verhindern könnten, wartet auch hier eine herrliche Zukunft. Und das bei einem wohlgemerkt wohlfeilen Preis und einer Kostmöglichkeit, wann immer Leos Heurigen ausg’steckt hat.
Schmalzbrot und Schmelz: Burgund-Power beim Heurigen
Denn diese Zugänglichkeit der Weingüter ist im internationalen Vergleich keine Selbstverständlichkeit, wie mehrfach an diesem Kost-Abend betont wurde. Auch den zweiten beeindruckenden Weißwein kann man aber bei einem Heurigen verkosten. Lorenz Alphart hatte just parallel zur Thallern-Kost ausg’steckt, doch die Auszeichnungen für seine Chardonnay Reserve sind ohnehin schon zahlreich. Dass man diese rauchig-internationale Machart vielfach gleich nach Frankreich verortete, ließ sich nachvollziehen. Sparsamer und besser als früher wird das Holz vom jungen Traiskirchner eingesetzt. Mächtig und mit einem salzigen Finish, das auch in den Kellern von Meursault gefechst worden sein könnte, beginnt dieser 2019er seine Reise gerade. Wo sie hingeht, liest man am besten hier nach – da lobten wir Lorenz‘ 2017er bereits.
Doch das, was hier ins Glas kam, ist noch eine Stufe darüber. Der französische Maßstab dazu, „Éclat de Calcaire“ von Pierre-Vincent Girardin, war ein erklärter Liebling von Willi Klinger. Mit ihm tranken wir ihn seinerzeit zum ersten Mal (es ist auch erst der zweite Jahrgang des Jung-Stars aus der Bourgogne) – hier nachzulesen. Aktuell hat der 2018er aus Frankreich die Nase noch vorn, doch spätestens in fünf Jahren sollte die Abstimmung klar für die Thermenregion ausgehen. So klar wie das 3:1 nach Flights in Thallern.
Bezugsquellen:
Domaine Louis Jadot, Chapelle-Chambertin Grand Cru 2017 kostet EUR 225 bei Vinorama, www.vinorama.at
Weingut Gisperg, Pinot Noir Reserve „Ried Holzspur” 2019 kostet EUR 21 im Webshop des Weinguts, www.weingut-gisperg.at
Alphart am Mühlbach, Chardonnay Reserve 2019 ist um EUR 18 im Webshop des Weinguts zu haben, https://alphart.at
Leo Aumann, Chardonnay Reserve 2020 (=Nachfolgejahrgang) gibt es um EUR 15 im Webshop des Weinguts, www.aumann.at