Die nackten Zahlen lassen sich mittels der „ID“ nachvollziehen. Doch das ganze Geheimnis der Weltmarke des Champagners drückt dieser elektronische Link nicht aus. Dazu sollte man mit einem der Mitarbeiter aus dem engeren Kreis von Champagne Krug etwas Zeit verbringen. Und mit „Zeit“ ist auch das wichtigste Stichwort gegeben. „Das Erste, was man lernt, wenn man hier anfängt, ist Geduld“, formuliert es die Kellermeisterin Julie Cavil. Normaler Weise empfängt sie um diese Jahreszeit mit Olivier Krug, in sechster Generation Nachfahre des deutsch-stämmigen Gründers Joseph Krug, Gäste in Reims. Doch einmal mehr. Es wird virtuell zusammengekommen, aber live verkostet.
Denn die Vorstellung einer neuen Grande Cuvée hat immer auch eine Fülle von Informationen zu bieten. Es sind noch mehr, als es in der Champagne mit ihren drei Hauptsorten, Lagen-Klassifikationen für ganze Dörfer und der Verwendung von Reserve-Weinen früherer Jahrgänge im finalen Blend (oder en Champenois: der Assemblage) üblich ist. Denn die Grande Cuvée liebt die kleinen Unterschiede, auch wenn man der Generallinie treu bleibt. Das Durchnummerieren seit der Cuvée No.1 steht ebenso wie das Beharren auf Vergärung der Grundweine im Holz für die Tradition. Die Sorgen um Reife und Lesezeitpunkte, die man zwischendurch in unserer Konversation per Zoom-Schaltung immer wieder erörtert, zeigt aber auch die Schwierigkeiten zeitgemäßer Önologie.
Beim Champagner geht es immer um Präzision. Dann kannst Du den aromatischen Reichtum darum herum organisieren.
Olivier Krug, Directeur de la Maison, Krug Champagne
Wobei das eigentlich zwei Seiten sind, die durchaus kompatibel sind. Denn bereits der zum Joseph französisierte Johann-Joseph Krug bestand auf einer großen Anzahl von Reserve-Weinen im Keller. Um bereits im 19. Jahrhundert Schwankungen ausgleichen zu können. Und dieses Wissen wir auch heute noch genutzt. Denn während die aktuelle Grande Cuvée in den Handel kommt, steht am Weingut die Entscheidung über die Weine im Keller an, die 2020 gelesen wurde. Der in diesem Jahr recht pflegeleichte Pinot Meunier (so charakterisiert ihn Vertragswinzer Laurent Cossy) wird vermutlich stark für Reserven herangezogen werden: „Seine Zitrusfrucht-Noten sind sehr dominant“, erklärt Madame Cavil ihn als gute Basis für Saftigkeit und Reife.
Vor 2028 wird man aber nichts aus diesem Jahrgang trinken können. Und damit bewahrheitet sich der Sager von der Geduld. Sechs Jahre reifte auch die mittlerweile 169. Grande Cuvée des Hauses. Sie basiert auf unglaublichen 146 einzelnen Weinen, die aus elf Jahrgängen stammen. Das Gros davon stellte das Erntejahr 2013, das gut 60% in der finalen Assemblage ausmacht, wie chef de cave Julie Cavil vorrechnet. Die zehn älteren Jahrgänge aus der so genannten „bibliothèque“ der Maison Krug ergaben am Ende eine Zusammensetzung, die aus 43% Pinot Noir, 35% Chardonnay und einem etwas höheren Anteil als die oft zu findenden 19% Pinot Meunier besteht. Es wurden final 22 % der meist als „Struktur-Geber“ des Champagners beschriebenen Sorte, die man auch als Schwarzriesling kennt.
Und wir gehen mit diesem Wein zurück bis ins Jahr 2000 – aus diesem Jahrgang stammte der älteste Reserve-Anteil. Doch wie schmeckt ein solches feinmechanisches Keller-Meisterstück nun? Also, der Star der Online-Verkostung kombiniert leichte Rauchnoten mit gleich einer ganzen Palette an Früchten in der Nase: Orangenblüte, Birnenschale und etwas Pfirsich sowie Bergamotte malen das Duftbild flächig aus. In jenem Glas, das wir abends – fernab des Rechners – nachverkostet haben, wirkte der Geruch vielleicht sogar noch delikater: Marille und Passionsfrucht gaben dem Ganzen einen funkelnd hellen Anstrich. Vor allem die weißen Blüten, wie es so schön in vielen Kost-Notizen heißt, wurden hier wirklich einmal fassbar als Kirschblüten und Stechginster.
Druckvoll und mit feinster Perlage, die für fast pfeffriges Nachklingen sorgt, kommt die Grande Cuvée auf den Gaumen. Aber so weit sind wir noch nicht. Davor kommt die Frucht, die an herbe Zitrusschalen – Cedratzitronen oder Bergamotten – erinnert. Es gibt aber auch den rotweinigen Anteil, der geschmacklich wie etwas Dunkles im Hintergrund lauert. Ab und an melden sich Kaffeepulver oder Brombeere auf der Zunge; der feine, aber stetige Aromenfluss der frischen Cuvée zieht daran aber vorbei.
Und er braucht sich irgendwann auch nicht mehr auf seine reichlich vorhandene Fruchtigkeit verlassen. Sie weicht praktisch in Zeitlupe am Gaumen zurück und hinterlässt dabei einen deutlich von Kreide-Noten geprägten trockenen Eindruck, aber auch einen feinen Minze- und Teekräuter-Geschmack. Als wäre das noch nicht genug an Finesse und Vielschichtigkeit, erlebt man im Nachhall dann noch ein saftiges Aufbäumen von Gelbem Apfel. Sowie zarte salzige Noten, die einem fast schon physisch signalisieren: Es ist okay, wenn Du weitertrinkst. Dafür gibt es die 169ème Édition ja.
Und wer es angesichts des Preisschilds von Krug nicht glaubt, dem sei eine Anekdote aus dem fernen Adelaide erzählt. Das Exeter Hotel, eigentlich eine historische Bar, verkauft richtig viel Champagner, serviert ihn aber auch im beliebten südaustralischen „Butcher“ oder „Bobbie“ – einem 0,2 Liter fassenden Bier-Glas. Und was tat Olivier Krug, der das Haus kennt und schätzt? Der ließ es sich nicht nehmen, dem Pub eigene Butcher-Gläser mit Krug-Logo zu spendieren. Subtext, auch für Nicht-Aussies: Hauptsache, der Champagner stimmt!
Bezugsquelle:
Champagne Krug, Grande Cuvée 169ème Édition kostet EUR 190,90 (0,75 Liter-Flasche) bei Urban Drinks, www.urban-drinks.at