Fast andächtig lauschte die Vienna Barcommunity. Gemeinsam mit Günther Gapps Magazin mit dem unschlagbaren Titel „Lust & Leben“ hatte man sich vorgenommen, die in Österreich erhältlichen Sherrys einem Test zu unterziehen. Als Master of Ceremonies agierte in der Bar „Heuer“ am Karlsplatz Reinhard „Reini“ Pohorec. Der wurde vom strengen Consejo Regulador, dem Kontrollorgan der Herkunftsbezeichnung „Jerez-Xérès-Sherry“, für würdig befunden, die spanische Spirituose als „Educator“ in die Welt hinaus zu tragen. Doch halt: Ist der aufgespritete Wein überhaupt eine Spirituose?
Technisch spricht man von „versetzten Weinen“, da den rund um Jerez und Sanlúcar de Barrameda erzeugten Weinen hochprozentiger Branntwein (bis zu 96% Alkohol) zugesetzt wird. Das allerdings kann sowohl während der Gärung passieren, die dann stoppt, aber auch bei fertig durchgegorenen Weinen gemacht werden. Dieser fundamentale Unterschied hat den Sherry letztlich in den Orkus gerissen. Während in einem Fall ein süßliches Ergebnis entsteht, das als „Oma-Getränk“ (©Pohorec) in Verruf geriet, sind viele Sherries knochentrocken. Das Image allerdings prägte der Nachmittagssüffler, also jene Flaschen, auf denen „rich“, „cream“ oder „medium“ steht. Letzteres deshalb, weil für diese Kategorie trockene Sherrys mit solchen der Pedro Ximénez-Traube verschnitten werden. Sie ist der Süsse-Geber, teilt sich mit dem ebenfalls aromatischen Moscatel aber lediglich ein Prozent der rund 10.000 Hektar Anbaufläche; 99% entfallen auf die Palomino-Traube.
PX, wie die süßeste Sherry-Traube unter Kennern abgekürzt wird, ergibt eine ölige Substanz, die irgendwo zwischen „Ricola mit Zuckerschock“, Orangenlikör und Malzbonbon liegt. Mit einer Ausnahme, auf die wir noch kommen, faszinierten die trockenen Qualitäten am meisten.
Das Hirn flimmert vor lauter Flor: das Sherry-Vokabular
Der klassische Fino, der unter einer Hefeschicht, dem „Flor“, reift, verbringt drei Jahre in den verbundenen Fässern. Diese so genannte Solera, wie man sie auch von Balsamico-Essig in Modena kennt, wird mit immer neuen Jahrgängen nachgefüllt, das genaue Alter des Blends läßt sich daher schwer angeben, orientiert sich aber am ältesten Wein im System. Aus dem Fino wird nach dem Absterben der Florhefe (= Aufzehren des letzten Zuckers im Wein) ein Amontillado, wenn die Oxidation beginnt. Stammt das weiße Ausgangsprodukt aus dem an der Mündung des Guadalquivir in den Atlantik gelegenen Sanlúcar de Barrameda, dann heißt dieser Fino anders, nämlich Manzanilla. Der Unterschied zu den Finos aus Jerez liegt in der betonten Salzigkeit, die an der Küste entsteht. Der Oloroso wiederum, wörtlich „der Duftende“, geht den Umweg über die Florschicht nicht, er wird sofort einer Oxidation im Fass ausgesetzt.
Verwirrend? Aber noch nicht alles. Denn diese Begriffsvielfalt erhöht sich um ein weiteres Wort: Almacenista nennt Produzent Lustau eine seit den 1980ern angebotene Serie, die Erzeugnisse kleiner Winzer vermarktet (und diese am Etikett ausweist), die zu klein für ein eigenes Label sind. So wird eine Art Manufaktur-Charakter auch bei größeren Häusern gewahrt. Wir verkosteten einen Manzanilla am Übergang zum Amontillado, der Sherry-Profi nennt das dann „Manzanilla Pasada“. Zart gelb und mit Oxy-Noten kommt der ins Glas; türkischer Honig und getrocknete Ananas ergeben mit der leichten Hefenote einen recht typischen Sherry-Duft. Herrlich salzig am Gaumen, liefert der Lustau auch am Gaumen viel Tropenfrucht, Ananas vor allem, aber auch etwas Pink Grapefruit, ehe es im Finish wieder zart bitter wird. Ein idealer Aperitif, der alle Märchen vom zuckrigen Sherry Lügen straft.
Die gepresste Essenz von Rauchmandeln
Einen fast braunen Bernstein-Ton bringt der nächste Lustau mit. Der 30-jährige Oloroso darf sich VORS nennen. Die Einteilung des Consejo sieht das Kürzel VOS (vinum optimum signatum) für 20 Jahre in der Solera gereiften Sherry vor. VORS (Vinum optimum rare signatum) hingegen steht auf mindestens 30-jährigen Qualitäten. Eine solche stellt also der rauchig duftende Oloroso mit seiner an Nusslikör, Apfelringe und getrocknete Pfirsiche anklingenden Nase dar. Einem süßen Beginn folgt das Umschlagen in eine herbe Grundaromatik, fast wie Fleischsaft, so intensiv und im Finish mächtig salzig schmeckt das. Würde man Rauchmandeln pressen können, so müsste der erhaltene Saft schmecken! 48 Flaschen davon konnte sich Österreich sichern, 1.000 wurden weltweit von dieser Rarität aufgelegt, ergänzte Ludwig Köstler von der Vinothek St. Stephan in die kollektive Begeisterung hinein.
Der gereichte „süße“ Sherry von Lustau setzt im Gegensatz zu anderen auf Muscat Alexandria, den Moscatel, der als „Emilin“ vermarktet wird (der PX des Hauses heißt „San Emilio“). Der Waldhonig-farbene Sherry besitzt eine an Schwarztee und Orangenzeste erinnernde Nase, die aber auch einen säurigen Touch aufweist. Auch am Gaumen ist neben einer fast an „Grand Marnier“ gemahnenden bitteren Orange und dem salzigen Finish ein wenig Säure zu spüren. Hier ist keineswegs eindimensionale Süße zu spüren, ganz im Gegenteil. Das Getränk darf man sich als die versalzene, flüssige Version der britischen Orangenmarmelade (mit „thick cut“ am Etikett) vorstellen: herb, salzig und mit einem satten Orangenschmelz.
P.S.: Beachtlich ist beim Sherry vor allem das Preis-Leistungsverhältnis, worauf Pohorec gesondert hinwies: „Für eine Spirituose mit 30 Jahren Reife muss ich mit einer Null mehr beim Preis rechnen“. Ein Grund mehr, zumindest eine der „unkaputtbaren“ Sherry-Flaschen zuhause zu haben.
Bezugsquelle:
Lustau, Amontillado Escuadrilla ist um EUR 27,50, der (süße) Moscatel “Emilin” um EUR 29,80 (0,7 Liter) erhältlich, der Sherry Manzanilla Pasada “Jurado” aus der Almacenista-Serie kostet 28,50 (0,5 Liter) und der ultra-rare 30-jährige Oloroso VORS ist um EUR 88 (0,5 Liter-Flasche) erhältlich, alle bei Vinothek St. Stefan, http://www.vinothek1.at