Wer im Takt der Weinlesen schreibt, hat auch wiederkehrende Verkostungen. Das Trinkprotokoll ist da keine Ausnahme, doch die Jahrgangspräsentation bei Gerhard Kracher fiel heuer aus – auch in Illmitz läuft so etwas Anno 2020 per Zoom-Meeting ab. Und das geht mit einem offenherzigen Gastgeber auch per Liveschaltung zum Weinlaubenhof überraschend authentisch ab. Mitten in der Ernte der Trockenbeerenauslesen (TBA) nahm sich der Winzer Zeit, die wichtigsten Weine des Hauses zu kommentieren. 80 Minuten später wusste man nicht nur alles über Seewinkler Bodentypen, sondern kannte auch die Leibspeisen des Winzers. Denn immer wieder motivierte er zwischendurch, Süßwein nicht nur überhaupt zu trinken. Sondern ihn auch aus der Dessert-Ecke zu befreien.
So nebenbei kündigte der Illmitzer auch eine gravierende Änderung an: Seit 10 Jahren bereits wollte man am Weinlaubenhof auf dreijährige Reife umstellen, nun ist es tatsächlich so weit. Der Ausfall der Jahrgangspräsentation ermöglicht nun diese Umstellung („Das einzige Positive an Corona“, so Kracher. Sie betrifft aber in den Folgejahren ausschließlich die TBA-Kollektion des Hauses; der Jahrgang 2018 wird daher erst im Herbst 2021 präsentiert.
Doch es gibt genug aus dem Jahr 2017, das man vor dem Bildschirm süffeln konnte. Die Spätlese 2017 etwa stand salzig und fast trocken im Abgang am Anfang. Den Einstieg konnte man für Hardcore-Fans der Prädikatsweine als fast noch zu „brav“ titulieren. Oder anders gesagt: Er war noch zu nah am trockenen Weißwein mit seinen „nur“ 55 Gramm Restzucker am Liter.
Wenn aber die Sorte passt, dann kommen schon mit 70 Gramm Restzucker andere Töne aus den kleinen Flaschen. Sortentypisch im Duft und niedrig in der Säure, zeigte die „Traminer Auslese“ 2017 sich als herrlich trinkanimierend – dank 8% Alkohol braucht man da nicht lange überlegen: Rosenduft muss ja fast sein, es riecht aber auch herb nach frischer Kurkuma-Wurzel, etwas Eibisch-Zuckerl und Pfirsichschalen (nicht der Frucht!). Saftig ohne Ende ist dieser Wein, den Clou bildet aber ein deutliches „Bitterl“ im Finish, das an Pink Grapefruit-Schalen erinnert. Dieser nicht süße Ausklang baut auch allen Prädikatswein-Skeptikern eine goldene Brücke aus Wohlgeschmack.
Ich möchte in jedem Süßwein Botrytis haben – bei uns sind es immer zwischen 5 bis 10% – denn die Weine werden tiefgründiger.
Gerhard Kracher, Winzer
Die Beerenauslese, der „Allrounder“ des Illmitzer Hauses, besteht stets aus Chardonnay und Welschriesling in wechselnden Anteilen. Im verkosteten Jahrgang 2017 sind es 40 zu 60 % und der Duft ist vom intensiveren „Chardo“ sowie dem sanften Einsatz von Holzfässern geprägt: Es duftet nach Vanille, etwas Kompottpfirsich, aber auch salzig-pikanten Aromen wie Zwiebelkuchen und Quittenkäse. Letzteren macht Gerhard Kracher als Signatur des Welschrieslings aus. Wunderbare Tropenfrüchte legen sich auf den Gaumen, vor allem die Ananas schillert zwischen frischer-säuriger Art und dem schon fast überreifen Typus. 135 Gramm Restzucker sorgen für einen intensiven Film, der sich wie ein fruchtiger Teppich – allerdings nie pappig süß – ausrollt. Gegen das Finish hin wird es salziger, man denkt an Paradeiskraut, vielleicht auch etwas Harissa-Paste, die auch im Rückaroma eine nahezu greifbare Salzigkeit hinterlässt.
Die rote Beerenauslese, diesfalls ein 2018er Jahrgang, ist eine Nische in der an sich schon schmalen Süßwein-Welt. Krachers Zweigelt trägt in diesem Jahr eine deutliche Sorten-Stilistik. Der mitunter eher an Malven-Tee erinnernde Geruch im Glas geht diesmal klar in Richtung der Zwetschken-Düfte der Sorte. Etwas Filterkaffee, aber auch die leicht herben Walderdbeeren, ergänzen den Duftbogen. Im Mund tragen die 140 Gramm Zucker einmal dick auf, ehe die herbe Grundierung – Rooibos-Tee beschreibt es wohl am besten – einsetzt. Fast Kaffee-artig klingt dieser Wein aus, der perfekt zu jedem Schokoladendessert passt.
Ohne Jahrgang kommt seit 2003 die TBA „Noble Reserve“ in die Flasche. Die Inspiration einer möglichst jahrgangsunabhängigen Cuvée kam aus der Champagne. Neben den beiden weißen Hauptsorten – Welschriesling und Chardonnay – gibt ein 5%-Anteil an Traminer die exotische Sahnehaube. Es riecht nach Blutorangen und Pfirsich zugleich, aber auch etwas gedörrte Mango und Papaya finden sich im Duftbild. Pfirsichsaft ist die erste Assoziation, die sich beim Kostschluck einstellt. Die knapp 200 Gramm Zucker sind gut eingebunden, er bestreicht den Gaumen wie ein Marmeladebrot mit Kumquats, Steinobst wie Pfirsich, aber auch Honigmelone.
Widerstreitende Visitenkarte: Grande Cuvée 2017
Mit 270 Gramm kam 2017 die goldgelbe „Visitenkarte“ Krachers, die Grande Cuvée, in die Flasche. Ananas-Stückchen, aber eigentlich fast schon Lychee, sorgen für tropischen Eindruck in der Nase. Ergänzt wird das von Puffreis, weißer Schokolade und einem leichten Anflug von Marille. Mächtig legt der Chardonnay-Anteil vor, etwas Banane bringt noch zusätzlich exotischen Charme. Wie immer fasziniert das Spiel der beiden Rebsorten, das mal die Frische und Zitrus-Quitten nach vorne drängen lässt, dann wieder die reife Mango-Ananas-Tönung des Chardonnays. In diesem Falle darf man vorm Bewegtbild des Laptops wohl wirklich von „großem Kino“ sprechen.
Bezugsquelle:
Weinlaubenhof Kracher, Beerenauslese Cuvée 2017 kostet EUR 16 (0,375-Liter-Flasche), die Traminer Auslese 2017 EUR 10, für die Zweigelt-Beerenauslese 2017 werden EUR 16 verrechnet, während die TBA „Noble Reserve“ um EUR 12 (0,187 Liter) zu haben ist; die Grande Cuvée (= TBA No.6) 2017 wiederum kostet EUR 41 (0,375-Liter-Flasche), alle im Webshop des Weinlaubenhofs, www.kracher.at