„Es muss um die Qualität des Jahrgangs gehen und nicht den Stil des Winemakers“. Laurent Dufau ist für Scherze zu haben. Wenn es um die Weine des Château Calon Ségur geht, sind seine Aussagen aber glasklar und ernst. Nicht zuletzt damit wurde der Gast aus Saint-Estèphe vom renommierten Wein-Guide Hachette zum „Winzer des Jahres“ 2019 gekürt. Das Bordeaux-Weingut, auf dem schon im 12. und 13. Jahrhundert Trauben kultiviert wurden, gehört nach der Familie Gasqueton seit 2012 zur Versicherungsgruppe Crédit Mutuel.
Was Denise Gasqueton begonnen hat, setzt man heute fort: Die Pflanzendichte wird erhöht, vor allem will man aber den Anteil des Cabernets erhöhen. „Wir haben zuviel Merlot“, bringt es Laurent Dufau (erneut recht offen) auf den Punkt. Der hohe Lehmanteil auf einem Großteil der 55 Hektar brächte als Wasserspeicher eine „Frische und Finesse“ beim Cabernet Sauvignon mit. Was sich auch gleich testen lässt beim „Capbern“ 2014, der rund 60% der Rebsorte beinhaltet und vom Schwester-Weingut Château Capbern stammt.
Expressive Sauerkirsch-Noten werden hier von Untertönen aus Schwarzem Pfeffer und Lorbeer begleitet. Der gerne als „burnt toast“ beschriebene rauchige Ton, den der Wein auch am Gaumen mitbringt, deutet sich ebenfalls im Duft schon an. Im Mund wechselt er sich mit satten Amarena-Kirschen und einem Mix aus Langpfeffer, Zimtrinde und Piment ab. Merklich ist noch die Jugend des 2014ers, wenn die Säure durchkommt. Doch für alle, die Preis-Leistungsweine nicht im Bordeaux-Stil, sondern sogar aus dem Bordelais wollen: Capbern merken.
Der Vergleich mit dem eigentlichen Zweitwein des als troisieme cru classé eingestuften Château Calon Ségur, „Marquis de Ségur“, zeigt die Raffinesse von Capbern. Der Jahrgang 2015 bringt den Cabernet deutlicher, aber auch ein wenig plumper zum Vorschein. Aus dem Bordeaux-typischen Duft (eine Freundin umschreibt ihn blumig mit „wie bewachsene Burgmauern“) schält sich schnell Cassis und etwas edelsüßer Paprika heraus. Tintenblei und reife Kirschen übernehmen, auch Gewürznelken schwingen mit. Die anfangs säurige Fruchtigkeit wirkt schnell, als hätte man sie in Espresso getunkt – wieder sind die Schwarzen Johannesbeeren da, aber auch Brombeerhecke notieren wird. Die Frische und Lebhaftigkeit passt diesen grundsätzlich mehr herb als fruchtig grundiertem „Marquis“ noch nicht so ganz.
2014: Das Springinkerl von Saint Estèphe
Der Sprung, den wir mit Monsieur Dufau nun machen, ist recht unfair gegenüber dem Zweitwein, aber der „Cru“ des Hauses aus dem Jahrgang 2014 präsentiert natürlich ein gänzlich anderes Bukett: Zwetschkenröster und Langpfeffer sind da; überhaupt leiten etwas erdige Töne einen Wein ein, der von beträchtlicher Würze geprägt ist. Entsprechend wenig dunkle (Beeren-)Frucht findet sich hier. Zur Erinnerung: Es war kühl im Sommer und mit Cabernet bestockte Rieden und – seeehr allgemein gesprochen – das linke Ufer der Gironde profitierte vom warmen Herbst weitaus mehr.
Der Zug vom Beginn weg ist bei diesem Calon Ségur jedenfalls deutlich zu merken. Sauerkirsche und Kakao, aber auch Lebkuchen-Gewürze und eine zarte Pfeffrigkeit sorgen für einen überaus frischen Antritt. Er könnte ob seiner Jugend wahrhaft verkapselter sein, doch der 2014er zeigt sich heute als Springinkerl von Saint Estèphe. Die Heiterkeit in der Jugend bedeutet aber eines: Hier wird auch im höheren Flaschen-Alter für Freude gesorgt sein!
1998/2005: Ewige Jugend? Pflanzt Cabernet!
Wie bei einer Bordeaux-Probe üblich, sind vor allem die Jahrgangsunterschiede extra spannend. Im Falle von Calon Ségur kommt dazu die seltene Tatsache, dass der grand vin 2014 und die nächste Kostflasche (aus 2005) aktuell beim Austro-Importeur Kracher um den gleichen Preis stehen. Und natürlich, dass Anno 2005 noch die alte Besitzerfamilie ihre Vision eines Saint Estèphe umgesetzt hatte.
Feingliedrig ist der Duft dieses deutlich von der Sorte geprägten Jahrgangs – man versteht jetzt besser, was M. Dufau meinte, als er die Weine keinem Keller-Stil unterwerfen wollte. Denn 2005 riecht nach Borretsch und Lavendel, vor allem aber deutlich nach Schwarzer Johannesbeere. Auch im Mund steht Säure und Lebhaftigkeit im Vordergrund. Helle Beeren-Töne und eine fast prickelnd wirkende Mischung aus immer noch merklicher Säure und zartem Weißen Pfeffer sagen eines klar: Bitte noch warten, dieser 2005er hat noch nicht einmal sein erstes Reife-Plateau erreicht.
Kräutrig, aber nicht grün. Diese Unterscheidung ist wieder klar zu treffen, wenn als Letzter der Probe ein 1998er Calon Segur ins Glas kommt. Der Cabernet-Anteil ist hoch (55% Cab. Sauvignon, 8% Cabernet Franc), die Würze dieses Rebsorten-Duos ist in der an frische Petersilie erinnernden zweiten Nase unverkennbar. Zu Beginn breitet aber der Merlot sein Samtkleid aus – es duftet nach Brombeeren und Heidelbeeren. Die Ouverture im Mund spielt aber ein Apotheker-Orchester: Medizinale Töne wie von einem Kräuterbonbon, also viel Wurzelwerk und intensive Lorbeer-Noten, leiten einen Wein ein, der nun große Freude bereitet. Vor allem, weil die Säure immer noch merklich, aber top eingebunden ist in die dunkle Beeren-Mischung, die an „Hollerkoch“ – allerdings ohne die Süße von Zimt und Zucker! – erinnert. Der Nachhall bringt schwarze Oliven mit, signalisiert aber auch eines: Problemlos noch ein Jahrzehnt in Form!
Bezugsquelle:
Château Calon Ségur, Château Capbern 2014 kostet EUR 24,90, der „Zweitwein“ Marquis de Calon 2015 ist um EUR 34,90 erhältlich; Calon Ségur 2014 kostet ebenso wie der Jahrgang 2005 EUR 139, der Calon Ségur 1998 ist um EUR 159 zu haben, alle über Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com