Wo holt man die letzten Finessen heraus, die Weine noch besser werden lassen? Diese Frage treibt Winzer stets um, auch wenn die Wege dahin unterschiedlich sind. Immer älter werdende Rebanlagen, die mehr Struktur und Würze einbringen als in ihrer dem Wachstum gewidmeten Jugend, sind quasi der nachwachsende Benefit. Doch darauf verlassen sich die Aushängeschilder Wein-Österreichs (wie alle Kollegen weltweit) natürlich nicht. Punkto Kellertechnik, vor allem bei Schwefel und Holzfass-Einsatz, scheut man Exzesse. Doch letzten Endes ist es die Einstellung, die Weinbauern nie ruhen oder mit Erreichtem zufrieden sein lässt. Puh! Eine reichlich philosophische Einleitung, wo doch ansonsten die ersten Zeilen eher darauf angelegt sein sollten, in den Artikel und damit die Weinbeschreibungen hineinzuziehen.
Doch ein Besuch bei Silvia und Albert Gesellmann macht nachdenklich. Denn hier wird genau dieses permanente Drehen an der Qualitätsschraube praktiziert. Es beginnt schon damit, dass es nicht den einen Königsweg, kein Schema „F“ und schon gar kein Dogma gibt, um noch besser zu werden. Dafür zeigt ein Gespräch mit dem Deutschkreutzer Winzer schnell, dass es auch einen dritten Weg neben industriellem Kellertechnik-Exzess und möglichst naturbelassenem Wein gibt. Die Fronten sind an sich klar und werden von einigermaßen paradoxen Aktionen – wie der staatlichen (!!) 40%-Förderung des Ankaufspreises für Umkehrosmose-Geräte a.k.a. „Der Konzentrator“ – begleitet. Dass Wein aber IMMER ein Kultur-Produkt ist, weil wir ansonsten nur von hand-gequetschtem Traubensaft reden, sollte trotz Generalverdacht gegen Kupfer und Barriquefässer auch auf Seiten der „Naturwein“-Fraktion unbestritten sein. Doch gut ist, was für den Wein gut ist. Und so ziseliert Albert Gesellmann mit seinem Präge-Stock quasi auf beiden Seiten dieser Medaille den Weinkaiser Probus immer deutlicher heraus.
Für mehr Leben im Weingarten führt an biologischer Bewirtschaftung à la longue kein Weg vorbei und klarerweise läuft die Komplett-Umstellung bei Gesellmann auch bereits. Dazu kommt eine rigorose Selektion der geernteten Trauben. Die seit 2011 in Betrieb befindliche optische Sortieranlage, eine der ersten des Landes, die per Mustererkennung unreife Beeren pneumatisch vom Förderband „schießt“, steht wiederum für die Optimierung kraft Technik. Als Winzer sollte man schließlich keiner sein, der aus jeder Zitrone (= unreife Beere) auch Saft (=Wein) machen muss. Und auch das neue, großzügige Kellergebäude wartet mit Innovationen auf, die man sich leisten können muss, aber auch wollen muss. „Wein entsteht im Kopf“, sagt Albert Gesellmann dazu und führt durch das auf exakt 16 Grad gekühlte Fass-Lager.
Um die Hefe in Bewegung zu halten, werden die Fässer teils maschinell gewendet. Selbst beim Pressen der Weine, das durch eine ausgeklügelte Trichter-förmige Edelstahl-Anlage im Neubau durch Schwerkraft erfolgt, geht man den japanisch anmutenden Weg des „total quality managements“. Der Beobachtung, „dass manche Trauben trotz vorhandener Reife nicht platzen wollten“, folgte eine Lösung, diese rigiden Beeren (die unnötig viel und „harten“ Gerbstoff in den Wein eintrügen) auszusondern. Dass es hier nicht um Menge geht, sondern um Qualität, wird einem trotz des blitzenden Ambientes im neuen Keller klar. Romantisch kann man es sich schließlich auch selber machen mit den Weinen – doch zuerst sollten sie optimal in die Flasche kommen.
Und das tun sie! Vom ersten Schluck weg, der mit der Sortenwahl ebenso wie mit der Stilistik irritiert. Denn es ist ein Sauvignon Blanc aus dem Mittelburgenland, der die Verkoster mindestens so munter macht wie der Brut-Sekt vom Blaufränkisch. Kein Kitsch, mehr Struktur als Tropenfrucht oder pipi de chat ist hier angesagt. Mit diesem Weißen erweitert sich die Palette des Rotwein-Meisters auf vier Abfüllungen in der ursprünglichen Traubenfarbe des Blaufränkischlands. Doch während die meisten Kollegen in den 1990ern auf den Rotwein-Zug aufsprangen, teils gar keine Weißweine mehr pflanzten, dreht aktuell die Situation ein wenig. Wenn ein Pachtweingarten zu haben ist, dann schlägt man zu. Und so gibt es von einer kleinen Parzelle am Hochberg einen Gemischten Satz – den „hochberg Weiß“ – der 1959 ausgepflanzt wurde. Es ist ein wunderbar vielschichtiges Glas Wein, in dem der zarte Rauch der alten, auf Kalk stehenden Rebstöcke sich mit viel Frucht (Orangenzesten, Hirschbirne) paart. Sein einziger Nachteil: Nach diesem Wein wartet der beste Weiße des RWB-Mitglieds – der Ried Steinriegl.
Pomelo, Yuzu und jede herbe Zitrusfrucht dieser Welt findet sich im Duft dieses 2018ers, der auch ein exquisit-rauchiges Sesam-Tönchen als Signatur des Kalkbodens mitbringt, das dem Chardonnay immer gut steht. 30% neues Barrique fand sich im Ruhelager dieses Weins, was schon im ersten Schluck für vollmundiges Gefühl sorgt. Dabei ist dieser Wein keineswegs fett oder breit in seiner Anlage. Die erste Geschmacksnote, die wir notieren, lautet „Kapern“. Karamellisierte Ananas, aber auch Zitrusfrüchte (wie schon in der Nase) stehen ebenfalls klar vorm Verkoster-Auge, das hervorstechendste Merkmal des „Steinriegl“ ist aber der salzige Zug, der vor allem im Abgang die Oberhand gewinnt. Die Kombination dieser herb-(zitrus)fruchtig-salinen Eindrücke lässt einen bisweilen an Noilly Prat oder Fino Sherry denken. Betrachtet man den Deutschkreutzer Weissen von dieser Seite her, dann hat er genau genug Schmelz und Kraft, um diesen belebend-frischen Charakter auszutarieren. Und vielleicht sieht man als Kenner der jährlichen Produktion Gesellmanns schon hier eine kleine, aber merkliche Verbesserung vom einst in der Jugend holz-geprägteren Weißwein zu einem noch feiner balancierten Parade-Burgunder.
Blaufränkisch, der eine Bremse braucht: „vom Lehm“ 2018
Ebenfalls bereits bio-zertifiziert ist der Einstige in die Blaufränkisch-Welt, der ein herrliches Preis-Genuss-Verhältnis aufweist. Der „vom Lehm“ 2018 zeigt alles, was die Sorte ausmacht. Es beginnt zwar etwa unkonventionell mit einem Duftbild, das sich nicht zwischen Säure (dafür steht Ribisl, Veilchen) und Kraft (repräsentiert vom Duft nach Fleischsaft, Tinte und Pfeffer) entscheiden kann. Dieser Blaufränkisch macht den Eindruck eines gewichtigen Herrn, der die Pfunde aber an den richtigen Stellen hat. Am Gaumen wird das noch klarer. Saftig-stoffig kommen die Beeren-Töne (Brom- und Heidelbeere) durch, eine schüchterne Pfefferminz-Note würzt den „vom Lehm“, wieder ist da viel Schwarzer Pfeffer und auch die anderen Begleiter haben genau eine Aufgabe: Trinkfluss befördern! Das tut die jugendliche Säure, die aber niemals Oberhand gewinnt, sondern ein brav dienender Assistent des General Managers namens Frucht ist, ebenso wie der Gerbstoff. Das zarte Bitterl im Finish verdient fast ein wenig Dankeschön, denn sonst ginge der Blaufränkisch allzu süffig über die Lippen. So aber hat man was nachzuschmecken und nachzudenken bei diesem gewaltig guten Auftakt in Rot.
Dass Wein trinken keine exakte Wissenschaft darstellt, braucht man nicht zu betonen. Der gefühlte Eindruck war aber bei etlichen der aktuellen Gesellmann-Weinen, dass sie in der Duftigkeit bereits in der Jugend feiner und vielschichtiger geworden sind. Am deutlichsten fiel uns das beim „Bela Rex“ auf. Der 2017er brachte neben Traubenkern-Öl, Preiselbeere, Pfeffer, Hollerbeeren und Blut auch noch eine prononcierte Eukalyptus-Note mit. Das wunderbare Duftbild, das in so unterschiedliche Richtungen – von kräutrig-grüner Frische bis gerbig-dunklen Beeren – marschierte, täuschte auch nicht. Saftiges Mundgefühl gehört bei diesem beliebten Blend aus Cabernet Sauvignon und Merlot mit zur DNA, doch die Balance in der Jugend dieses Topsellers überraschte. Wie in einer Checkliste kann man hier die Bestandteile abhaken: Feine Würze findet sich ebenso wie eine elegante Säure und ein durchaus deutlicher, aber recht spät einsetzender Gerbstoff. Er rundet die Sauerkirsch-Frucht mit einer Art Edelschokoladen-Guss zartherb ab. Wenn große Cuvéetier-Kunst darin besteht, Sorten zu verweben, bis kein dominierendes Element mehr keck hervorlugt, dann hat man sie hier im Glas.
Während wir hier vom Abschleifen der Gegensätze sprechen, steht der „hochberc“ des Jahres 2016 dafür, wie aus einer Rebsorte Nuancen herausgekitzelt werden können. Die ersten Duftnoten sind fast nur ein ätherisches Flimmern, in dem einmal die Zedernholz-Note durchschimmert, dann wieder ein frisch gemahlener Kaffee, aber auch Kornellkirschen (Dirndl) und Cranberries melden sich zu Wort. Müsste man es zusammenfassen, wäre wohl „säurige Brombeere“ die korrekte Bezeichnung. Diese offene, frische und zugängliche Art zeigt der Wein – auch hier durchaus abgesetzt von den ersten Jahrgängen – auch am Gaumen. Dieser Fluss aus saftigen Waldbeeren schlängelt sich an Inseln der Würze vorbei. Assam-Tee, Schoko-Streusel und Langpfeffer kann man sich auf der Aromen-Landkarte notieren. Es ist eine frühe Top-Form, in der sich der „hochberc“ da zeigt. Und für uns ein Beweis mehr für die stetige Weiterbewegung der Qualitätsschraube beim „Creitzer“ Paradebetrieb.
Bezugsquelle:
Weingut Gesellmann, „hochberc Weiß“ kostet EUR 15,20, die Flasche Chardonnay „Ried Steinriegl“ kommt auf EUR 20,50, der Blaufränkisch „vom Lehm“ auf EUR 11, „Bela Rex“ 2017 ist um EUR 34 zu haben und der „hochberc“ 2016 um EUR 36 erhältlich – alle ab Hof bzw. im Webshop, www.gesellmann.at