Als Beispiel für die beklagenswerte Vertriebssituation des australischen Weins in Kontinental-Europa geisterte die Region Beechworth schon durch Folge 3 unserer Notizen vom „Australia Day Tasting“. Man kann die Gegend – zwischen Canberra und Melbourne situiert – aber auch als die Entdeckung der Londoner Verkostung werten. Denn diese Weine schaffen es wie kaum andere in ihrer Gesamtheit, die überkommenen Klischées von aufgepumpt fruchtigen Wuchtbrummen aus „down under“ zu pulverisieren. Wobei: Gesamtheit ist hier ein bescheidener Begriff – 140 Hektar würden auch im Austro-Maßstab die kleinste „Appellation“ aus Beechworth machen. In Australien ist das aber Zwergenformat.
Dass es dennoch gelang, „die Region mit ernstzunehmendem Wein auf die Landkarte zu setzen“, verdankt sich im Wesentlichen einem Pionier. Julian Castagna, selbst Winzer, würdigte das Werk seines Beechworth-Kollegen Rick Kinzbrunner. Denn der Pionier schloss bereits 1982 an die an sich alte Weinbau-Tradition an, die im 19. Jahrhundert begonnen hatte. Dazwischen lag der Goldrausch, der auch die so genannten „Victorian Alps“ erfaßte – Reben wollte da keiner mehr kultivieren. Dabei bieten die bis zu 1.200 Meter hohen Hügel beste Voraussetzungen. Uraltes Gestein, im konkreten Fall: Granit, trifft auf ein Klima, das mediterran zu nennen ist. Insofern haben sich auch eine Vielzahl italienischer Sorten (Nebbiolo, Sangiovese) hier etabliert. An Castagnas 2015er „La Chiave“ lässt sich der Unterschied zum Original aus der Toskana schon im Duft festmachen: Statt der immer etwas austeren Fleisch-Saft-Note und dem Wacholder eines Sangiovese findet sich hier hellere Frucht (Erdbeere), Mandeln und eine ausgeprägte Nussigkeit.
Castagna, der seit 1996 in der Region ist und streng nach biodynamischen Prinzipien Rudolf Steiners Weinbau betreibt, exportiert gerade mal in zwölf Länder. Speziell die Listung in Frankreich („da sind wir wie Daniel in der Löwengrube“) macht ihn stolz. „Wir machen Weine im Stil der Alten Welt“, präzisiert er, dass die Vorbilder in Frankreich und Italien liegen. Von dort hat er auch seine Idee bezogen, mit einem Touch Viognier seinen Shiraz aufzupeppen. Was das Weingesetz in weiten Teilen Europas verunmöglicht, den Verschnitt weißer und roter Trauben, war schließlich bis vor gar nicht so langer Zeit in der Toskana durchaus üblich. Julian Castagna (am kl. Bild links) sieht seinen 2%-igen Anteil des weißen Weins „wie Salz in der Küche – es geht um die Würze, nicht den Geschmack“, begründet er sein Faible für die australische Spezialität des „co-fermentings“ (mehr dazu hier im Beitrag über Clonakilla, einen Pionier dieses Shiraz-Würzens).
Der „Genesis“, besagter Mix aus 98% Shiraz und dem Vino-Gewürz namens Viognier hat als Basis eine ziemliche Reduktion des Ertrags. Anderthalb Kilo Trauben pro Stock sind es, die er 2015 geerntet hatte. Das Ergebnis bringt einen sehr offenen Charakter mit; fast laktisch (Kirsch-Yoghurt) duftet es nach roten Früchten wie Himbeeren aus dem Glas. Der Eindruck am Gaumen ist deutlich anders, hier kommt Säure ins Spiel, die man dem cremigen Duft nicht so zugetraut hätte. Leichtfüßig kommt der immerhin auch 13,5% Alkohol starke „Genesis“ auf den Gaumen, es ist ein untypischer Shiraz, dem man zuhören muss. Hagebutte trifft den Geschmack dieses säurig-herben, aber doch dezenten Weines wohl am besten. Wenn man so will, ist das Shiraz für Pinot Noir-Trinker – vor allem das Finish ist nahezu ätherisch. Die Kraft seiner Aromen, mehr in der Tiefe versteckt, denn an der Oberfläche damit protzend, legt er in den ersten Schluck. Nach hinten hin verhaucht der Rotwein von Castagna förmlich.
Beachtlich waren in der Beechworth-Probe aber vor allem die Chardonnays. Sie scheinen sich mit den Tag-und-Nacht-Unterschieden der Temperatur in den australischen Alpen wohlzufühlen. Leider ist Keppell Smiths 2017er „Beechworth“ nicht in Europa erhältlich. Dieser Chardonnay vom Weingut Savaterre riecht nach Kokosraspeln und Salz-Zitronen, abgerundet mit kühlen Birnen-Scheiben. Die Eleganz dieses Weines erstaunt auch am Gaumen, wo sich Gelbe Kiwi und Maracuja einen Wettlauf um das exotischere Aroma liefern. Die säurige Art der gelben Früchte setzt dann ein Touch Grapefruit-Zeste fort, die den „Beechworth“ 2017 ins Finale trägt. Der herbe Schlussakkord macht aus diesem trinkfreudigen Chardonnay ein unglaublich appetitanregendes Weinderl. Aber: Leider, leider, wegen der Verfügbarkeit von Savaterre wär’s.
Weltklasse vom Wachküsser: Giacondas Estate Vinyard
Das trifft auch auf den großartigen Wein zu, den Julian Castagna als den Pionier der Region ausgelobt hatte: Estate Vineyard 2017 vom Weingut Giaconda. Er hat zum Glück als einziger Beechworth-Wein aufgrund seiner Weltklasse auch einen deutschen Importeur. Doch der, Hendrik Thoma von Wein am Limit, druckt einen „Warnhinweis“ in seinen Katalog: „Die uns zugeteilten Mengen sind so gering, dass wir nur zwei Flaschen pro Bestellung abgeben können. Wir möchten Spekulanten fernhalten und möglichst viele Weinfreunde glücklich machen“. Kostet man den Wein, den Kenner der Burgunder-Szene auch als „more Côche than Côche-Dury“ bezeichnen, versteht man diesen Ausnahmestatus.
Dieser widersprüchliche Wein hat an sich ordentlich Holz gesehen (bis zu 40% neues Barrique gönnen sich Rick und Nathan Kinzbrunner jährlich), doch die Duftnoten entführen in andere Aromawelten. Vanille? Schokolade? Butterkeks? Alles Fehlanzeige! Es duftet nach Lilien und Zündholz-Schwefel, vor allem aber bringt der „Estate Vineyard“ den Sesam-Stangerl-Ton der idealen Terroirs für diese Sorte von Beginn weg mit. Dass sich auch ein leichter Stein-Ton – mehr Mispel als das süßere Marzipan – dazwischen mengt, erhöht die Vorfreude auf diese Burgunder-Sorte. Zu Recht! Wann schreibt man schon „kühle Lychee“ in einer Kostnotiz?
Mit diesem Auftakt setzt dieser in einem unterirdischen Stollen gereifte Chardonnay ein. Es folgen eine feine Säure, die einen flirrenden Tanz von unreifen Marillen und Pink Grapefruit einsetzen lässt, sowie endlich der Einfluss des Fasses. Wie es technisch gelingt, so lange Duft und Geschmack des Ausbaus – Stahl gibt es bei Giaconda auch zum Vergären nicht – hintanzuhalten, ist rätselhaft. Dafür belohnt der Wein mit einem Schlussakkord, der nicht anders zu beschreiben ist als mit „Salzkaramell“. Die Würze des Bodens ist hier schlicht mit dem Creme-Ton der Barriques verschmolzen. Wer ein Bild benötigt: Beim Herrenschneider wäre das, als hätte ein 120er Loro Piano-Flanell einen knallroten Nadelstreifen eingewebt. Und wie bei großen Theater-Aufführungen, um eine andere Analogie zu bemühen, lohnt sich das Vorbestellen seiner „Tickets“ nach Beechworth!
Bezugsquelle:
Castagna, „Genesis“ (Syrah/Viognier) 2015 ist um rd. EUR 70,69 lediglich bei Les caves de Pyrene, einem britischen Naturwein-Händler, erhältlich: shop@lescaves.co.uk
Giaconda, „Estate Chardonnay“ 2017 (vergriffen!) kostete EUR 109 beim deutschen Händler Wein am Limit, der Jahrgang 2018 wird für Ende Mai 2020 erwartet, https://shop.weinamlimit.de