Google-t der Flame „de rijkste Belgen“ (= die reichsten Belgier), stößt er irgendwann auch auf Virginie Saverys. Sie stammt aus der Eigentümerfamilie der Antwerpener Reederei Compagnie Maritime Belge. 1895 gegründet, als man noch Schiffsverbindungen zur Kolonie Belgisch-Congo benötigte, sorgte das CMB-Vermögen auch für ein Invest, das Weinfreunde betrifft: 2009 übernahm Madame Saverys nämlich Avignonesi, das seit 1974 aktive weltberühmte Weingut in Montepulciano. Die Umstellung des toskanischen 160 Hektar-Gutes auf biodynamischen Weinbau fällt in die Ägide der 59-jährigen Belgierin.
Experimente wie das „Juice Asylum“ mit seinen weitgehend naturbelassenen Weinen verantwortet in Montepulciano Alessio Zenigata Guidi. Und er war daher auch der berufene Mann, die aktuelle Produktion Avignonesis in Wien bei Hermann Sussitz‘ Wein- und Delikatessenhandlung vorzustellen. Die Überraschungen begannen am Karmelitermarkt bereits bei der „kleinen Ware“; denn den Anfang macht ein Weißwein, der aus der Dreier-Serie namens „Cantaloro“ stammt (es gibt diesen Einstieg auch als Rosé und Roten). „Es ist der dritte Jahrgang überhaupt“, leitete Master of Ceremony Guidi den Abend ein. Und offenbar hat man schnell seinen Weg beim Weißwein gefunden.
Der weiße Cantaloro erinnert Kenner aber auch an jene Zeit, als man in der Toskana gerne Weißweine als Frischekick zu den Rotweinen zusetzte. Im Chianti praktisch ausgestorben, dreht man bei Avignonesi diese Tradition quasi um. Ein weiß gepreßter Sangiovese, der somit keine Farbe aus den Schalen auslaugen kann, kommt zu einem Blend aus vier weißen Rebsorten des Weinguts. Für den Jahrgang 2018 sieht diese Mischung so aus: 41% Sangiovese, 23% Chardonnay, 18% Trebbiano, 15% Malvasia, 3% Grechetto.
Im Glas ergibt dieser „Alltagswein“, wie man ihn in Montepulciano nennt, einen Duft-Mix aus Rice Crispies, Zitronen-Eis, mehligem Apfel und etwas Estragon. Knackig und wieder mit ordentlich Zitrus-Biss kommt der „Cantaloro“ 2018 in den Mund, wo sich Grüner Apfel und später auch Passionsfrucht mit leichter Säure vermengen. Gegen Ende hin melden sich auch noch salzige Erdnüsse, die den Weißwein vom Rotwein-Gut ins Finish bringen. Wer Chablis kennt, hat hier eine toskanische Verwandtschaft vorliegen. Wer es nicht tut, darf ich auf einen leichten Sommerwein mit animierendem Zug freuen, der geradezu perfekt zu Garnelen und Muscheln paßt.
Doch natürlich will Signore Guidi seine Roten präsentierten – und so geht es weiter zum zweiten „Cantaloro“. Der bringt im aktuellen Jahrgang 2018 ordentlich Substanz mit (14%), der Blend verbindet die Hauptsorten Avignonesis – 60% Sangiovese, 37% Cabernet Sauvignon, 3% Merlot. Intensiver Frucht-Geruch erinnert an Zwetschkenröster, Hibiskus und Haselnuss-Creme. Mit einem Film aus Himbeer-Marmelade, Weichseln und schwarzen Nüssen (Johannisnuss) legt sich dieser Wein auf den Gaumen. Er ist ein Paradefall dafür, Rotweine angekühlt zu servieren; so macht er als Solist Spaß. Allerdings ist Alessio Guidi vollinhaltlich zuzustimmen: Dieser Rotwein fürs „kleine Geld“ ist ein echter Allrounder als Speisenbegleiter.
Während der Cantaoloro – auch in Rot – weitgehend im Stahltank lagert, sieht das beim nächsten Wein anders aus. Der Vino Nobile di Montepulciano aus dem Jahr 2015 reifte 18 Monate in großen Eichenfässern und Barriques. Das Holz ist bestens integriert, denn der Duft nach Rauchpaprika (piment d’Espelette), Steaksaft, tomates concassées und reifen Kirschen lässt davon wenig ahnen. Der saftige Kostschluck erinnert an Granatapfel-Saft, aber auch dunkle Erdbeeren aus dem Wald. In seiner gegenwärtigen Jugend ist die Säure noch sehr präsent, auch die Würze schiebt kräftig an – zarter Paprika und erdiger Langpfeffer bilden den Abschluss. Da kann man gerne noch ein wenig warten.
Bezugsquelle:
Avignonesi, Cantaloro Bianco IGT 2018 kostet – wie auch der Cantaloro Rosso IGT 2018 – EUR 11,50, der Vino Nobile di Montepulciano 2015 ist um EUR 22 zu haben, alle bei Sussitz, www.sussitz.eu