IT oder Performance Marketing klingt jetzt nicht allzu sehr nach Genuss. Doch die Arbeit mit der linken Gehirnhälfte braucht eben auch Ausgleich – und so stehen hinter einer spannenden Neugründung für Weinliebhaber zwei „IT-ler“. Die gewohnte Präzision der Brotjobs von Clemens Riedl und Markus Inzinger (Otago Online Consulting) findet sich schon in der Namensgebung von Trinkreif.at (Untertitel: Premium Vintage Wines). Es geht um Weine im „besten Alter“, mit klarer Keller-Provenienz und naturgemäß limitierten Mengen davon. Ganz wichtig aber: „Wir richten uns an Leute, die die Weine trinken wollen“. Spekulanten-tum und Wein als Investment ist Inzinger, selbst spät berufener Wein-Fan, ein Gräuel. Wie sich solche Kellerschätze entwickeln, denen das Duo bundesweit nachspürt bei Gastronomen und privaten Sammlern, überprüften wir gemeinsam bei „Back to the 90ies“, anhand von zwölf Weinen.
Und wenn man schon Keller-Schätze einer Reifeprüfung unterzieht, kann man das gleich in einem der schönsten Keller Wiens tun. In der WineBank, drei Stockwerke tief umittelbar hinter dem Stephansdom, lagern Privatiers einige historische Flaschen (ehrfürchtig raunt man von einem Madeira aus dem 18. Jahrhundert). Doch heute ist Chef Gerhard Strasser „nur“ der Host und begibt sich mit Master of Ceremony Julius Neubauer auf die Zeitreise in die 1990er. Einige der „Zeitkapseln“, deren Korken gezogen wurde, dürften schon vergriffen sein, wenn diese Nachlese erscheint.
Das gilt auch für unseren persönlichen Wein des Abends. Insofern wollen wir auf den kalifornischen Chardonnay keine zu langen Zähne machen. Nur so viel: Shafers „Red Shoulder Ranch“, Jahrgang 1996, hat nach 21 Jahren noch eine dezente Säure aufzuweisen, mit der er den Abgang auffrischt. Davor sorgte der gar nicht so anheimelnd nach grünem Speck und Quitte riechende Weißwein für einen satten buttrigen Einschlag. Es war der dritte Jahrgang, den man in Napa Valley vom Chardonnay erzeugte, und eine offenbar „singende“ Flasche: Vanille und cremiges Mundgefühl, dazu Südfrüchte, notierten wir.
Der Bruch zwischen dem karamellig-tropischen Schmelz und der Finesse im Abgang hatte was. Hier zerfiel nichts, sondern der 1996er Shafer zeigte zwei Seiten von Chardonnay in einem Schluck: „Old school“ Neue Welt-Stil traf auf Meursault. Auf schräge Weise gut, auf perverse Weise jung. Aber eben nicht mehr wirklich erhältlich.
Dass der Amerikaner einen echten Meursault verblies, der als 1995er noch dazu fast gleich alt war, lag leider an einer nicht optimalen Flasche des Franzosen. Das passiert schon mal. [Auffällig positiv allerdings war, dass unter 12 Weinen kein einziger mit Kork-Beeinträchtigung war.] Der zweite Platz unter den Weißweinen (den Aperitif, einen 2005er Riesling „Goldloch“ vom Schlossgut Diel kann man wegen seiner relativen Jugend nicht mitrechnen) ging daher nach Österreich.
Ein 1999 gelesener Riesling Steinertal aus der Wachau von Franz Xaver Pichler entpuppte sich als Studie in Sachen Rauchigkeit. Der Urgesteinsboden „wirkt sich gut auf die Lagerfähigkeit aus“, verspricht man am Weingut zu dieser Lage – und diese Flasche hielt sich daran: Der Duft nach Salzkaramell und Rauch mischt sich zwischen die reiferen Töne, aus dem Petrol schälte sich klare Marillenfrucht und etwas Honig. Am Gaumen zeigte sich der Wein von „F.X.“ deutlich filigraner, als man es erwartet hätte; der sortentypische Weingarten-Pfirsich mischt sich mit weißer Schokolade und einem mineralischen Ton.
Der einzige Trinkmoment, in dem er sich sein Alter – immerhin 18 Jahre – anmerken lässt, erfolgt im Finish. Hier bleibt der Pichler-Riesling etwas kurz, davor jedenfalls zeigte sich der Steinertal 1999 in allen Belangen am Punkt. Und es gibt noch Restmengen, so die Trinkreif-Gründer, allerdings von den Jahrgängen 1997 und 1998.
Stammersdorf, linkes Ufer: Wieningers 1999er Cuvée
Von einem der überraschendsten Weine des Abends gibt es hingegen fast noch üppige Mengen, sogar fünf Magnums waren von Fritz Wieningers Cabernet/Merlot aus dem Jahr 1999 vorrätig. Die Wiener Cuvée präsentierte sich am Punkt, Marzipan und dunkle Beeren sorgen für einen einladenden Duft. Die reife Heidelbeer-Note signalisiert den Cabernet Sauvignon, es fehlt allerdings jegliches Pyrazin (das beim parallel verkosteten Ruster Blend der gleichen Sorten als Stachelbeer-Paprika-Mix durchkam). Die Säure ist nach 18 Jahren immer noch merklich, mit dem Tannin-Gerüst könnte man ihn versuchsweise auch in eine Bordeaux-Probe stellen. Der saftigen Frucht stehen auch Aromen wie Steinpilz und Kakao zur Seite, vor allem aber sorgt das lange, vom aushauchenden Gerbstoff getragene Finish für Trinkanimo. Was ist ein solcher „Altwein“, den man auch Laien n nicht erklären muss, geschweige denn schönreden? Na, trinkreif eben!
Dass Österreich als dem Land des zu oft ausgelebten Syndroms „Bouteille praecox“, die internationalen Weine ein wenig was vorgeben, zeigten dann zwei bekannte Winzer-Gemeinden: Montalcino mit einem 1993er Brunello und Margaux mit einem Deuxième Cru Classé aus dem Jahr 1990. Beginnen wir mit dem ältesten Wein der Runde, dem Château Lascombes. Fast stichig kommt der Geruch aus der wie alle Weine der Probe drei Stunden belüfteten Flasche; der frische Duft verbindet Cassis und Bouquet garni. Weit gefälliger zeigt sich der 27-jährige Bordeaux dann am Gaumen, dunkle Beeren bilden ein saftiges Gerüst, um das dann die würzigen Noten tanzen. Gerbstoff ist vorhanden, aber recht elegant mit der Frucht verwoben. Man kann sich den Geschmack hinter derlei Wein-Prosa wie eine Preiselbeere vorstellen: Nicht süß, aber saftig, herb und mit einer gewissen Säure. Hier ist noch lange nicht das Ende erreicht, eher ein Zwischenplateau. Tannin im äußerst langen Abgang und wieder diese Lorbeerblatt-Note, die gegen die satte Brombeere auftritt, serviert der 1990er im Rückaroma.
Vieles, was den Margaux auszeichnete, lässt sich auf den Brunello di Montalcino übertragen. Nur, dass beim drei Jahre jüngeren Italiener die Form noch ansteigen dürfte. Der 1993er La Magia ist leicht selchig im Geruch, dazu mit einigen Unterholz-Noten (Champignon und Waldboden) versehen. Auch hier sind Frucht und Gerbstoff gut verzahnt, allerdings ist die Gesamtaromatik weniger dunkel, es sind hellere Fruchtnoten (Kornellkirsche zum Beispiel) als beim Margaux, dafür kommt auch die Würze – schwarze Olive, Lorbeer – klarer durch. Je länger man den Brunello mit seiner Holunderbeeren-Aromatik im Glas hat, desto stärker merkt man, dass er sich noch aufbaut. Auch die Säure trägt ihn sicher noch weitere fünf Jahre, ohne dass er sich Sorgen um sein Alter machen müsste. Weinen wachsen zwar keine grauen Haare, streng riechen wie die alten Männer können aber auch sie. Davon waren wir hier weit entfernt. Aber die Trinkreif OG heißt schließlich auch nicht Zu spät kennen gelernt-GmbH.
Bezugsquelle:
F. X. Pichler, Riesling „Steinertal“ 1997 bzw. 1998 ist um EUR 64 bzw. 59 erhältlich; Fritz Wieningers, Cabernet-Merlot 1999 um EUR 44, der Brunello 1993 von der Fattoria La Magia um EUR 54 und Château Lascombes 1990 um EUR 79, alle bei Trinkreif OG (und so lange der Vorrat reicht), www.trinkreif.at