Tele-Tastings sind nicht mehr ganz so neu wie noch im ersten „Lockdown“. Und doch können sie staubtrocken sein, auch wenn Wein verkostet wird. Durchgehechelt durch Jahrgänge, Bodenprofile und Analysewerte. Mitunter hat das getrennt-gemeinsame Verkosten vorm Bildschirm aber auch den Unterhaltungswert einer Doppelconférence. So geschehen bei der von Markus Inzinger (trinkreif) moderierten Runde mit Martin und Hans Nittnaus. Die Rhetorik des Vater-Sohn-Duo aus Gols ließt die Spannung der Generationen, die Unterschiedlichkeit von Jazz-Musiker (Senior „John“ Nittnaus) und „Verkaufsjimmy“ (Eigendefinition von Jungwinzer Martin), gelungen durchblitzen. Und nicht unbeträchtlich schwang auch die Aura der 100 Punkte im virtuellen Verkostraum mit, die beide wenige Tage zuvor einheimsen konnten.
Der Auftakt mit einem Weißwein, noch dazu der Allerweltssorte Chardonnay, wirkte überraschend. Doch es ist ein Wein, der viel vom anderen Zugang der „Nittnäuse“ zu erzählen vermag. Das verstehen auch Laien, die sich zumindest erinnern können, wie heiß 2016 der September ausfiel. Der Alkohol – um bei den nachvollziehbaren Werten zu bleiben – ist geradezu moderat mit 12,4%. Frühe Lese, meist als erste Sorte überhaupt, sorgt beim „Freudshofer“ 2016 für Frische. „Butter-Vanille-Kokos-Töne haben mit nie gefallen“, will John Nittnaus die Sorte selbst und ihren Boden sprechen lassen. Konkret geht es um kühlen Muschelkalk-Grund in Jois, der fast weiß schimmert. Der Wein selbst riecht reduktiv und doch sehr „wild“: Fenchelgrün und Sesam (für uns immer ein Signal für Muschelkalk), für den Winzer auch „Schießpulver“, sind die Duftnoten.
Der Chardonnay wirkt in der Tat wie frisch von der F.X.Mayr-Kur. Kein Gramm Fett oder Fruchtsüße, dafür säurige Komponenten und Pikanz, sind da. Kumquats und Senfgurke beschreiben diesen extrem engmaschigen Wein, der würzig-sauer für Zug sorgt. Sehr frisch wirkt das nach vier Jahren und auch ziemlich alterslos. Und auch deshalb lieferte er eine gute Ouverture, denn das Phänomen wird auch bei den Rotweinen auftreten, die Martin und Hans Nittnaus nun kommentieren.
Du musst den Wein im Kopf haben, bevor Du ihn machst.
Hans „John“ Nittnaus, Winzer
Der meist exportierte Wein des Weinguts etwa zeigt eine Leichtigkeit, die ihn in die Nähe des Pinot Noir rückt, wie es Nittnaus, der Ältere, formuliert. Der „Kalk und Schiefer“ 2018 ist ein Blaufränkisch aus dem Bilderbuch, der sich anfangs aber noch ein wenig tarnt. Der Duft erinnert an würziges Grün, vor allem Stangensellerie, die erste Frucht-Nase bringt auch Heidelbeeren mit Stängel mit. Doch der Kostschluck ist wie eine Identitätsfeststellung: Ribisl, Sauerkirschen und Säure – da ist die sortentypische Signatur des „BF“. Es ist ein fast tänzelnder Wein, der schneller weggetrunken ist als analysiert. Aber das muss man in diesem Fall gar nicht. Seidig und süffig, mehr muss man zum 2018er Einstieg in Sachen Rotwein nicht wissen.
Wie erwähnt, fand die trinkreif-Verkostung unmittelbar nach der Verleihung der 100 Punkte durch den renommierten Falstaff an den 2017er „Jungenberg“ statt. Und genau von diesem Wein gibt es via Zoom zwei Vorgänger-Jahrgänge zu verkosten. Vorweg sei gesagt: Der reine Schieferboden dieser Joiser Lage ergibt jedenfalls wunderbare Würzigkeit. Und er zeigt in den Jahrgängen 2016 und 2013 ein ziemlich unterschiedliches Bild. In einer Blindverkostung hätte man sie vermutlich gegengleich zugeordnet. Denn vor allem der Gerbstoff des älteren Weines – beide reiner Blaufränkisch – ist noch so jugendlich, dass man sich die Augen reibt. Doch gehen wir’s der Reihe nach an.
Aus dem zu Recht gelobten Jahrgang 2016 stammt ein „Jungenberg“, der auch bei Nittnaus kräftiger (14% Alk.) ausfiel, das aber perfekt zu kaschieren weiß. Wildthymian ist zu reichen, überhaupt viel Kräuterwürze, eine klare mineralische Signatur findet sich im Duftbild, dazu etwas Haselnussschokolade und Heidelbeer-Mus. „Wie Kaschmir und doch mit Grip“, beschreibt Martin Nittnaus das Mundgefühl. Und diese Beschreibung „pickt“! Denn so elegant der 2016er in seiner Struktur ist, so schwer ist eine konkrete Frucht festzupinnen. Klar, findet sich die Weichsel, aber es ist die Finesse, mit der dieser Wein punktet. Umgekehrt heißt das aber auch, dass dieser Blaufränkisch schon sehr gut antrinkbar ist.
Das mag neben der Bodenprägung der grade 2.200 Flaschen „Jungenberg“ 2016 auch am perfekten Holzeinsatz liegen. Wie viele Spitzenbetriebe suchte auch John Nittnaus nach den letzten Qualitätsschrauben, an denen man noch feiner justieren konnte. Eine Entscheidung fiel früh – seit 2004 wurde sukzessive von Barrique-Fässern auf 500-Liter-Eichengebinde umgestellt. Zwei Jahr später begann man mit der biodynamischen Bewirtschaftung der Rieden. Dogmatik ist aus Gols keine zu vernehmen, aber ein klarer Befund: „Die Weine sind immer lebendiger, kommt mir vor“.
Das ließe sich auch für den 2013er aus der Joiser Lage sagen, die damals noch als „Tannenberg“ gefüllt wurde, aber punkto Rebmaterial und Vinifizierung absolut vergleichbar mit 2016 ist, so der Winzer. Es ist der dunklere Typus der beiden, und das bereits im Duft. Tiefe, reife Beerenfrucht, der Thymian ist wieder da, aber nicht so frisch wie beim 2016er. Hier sind es eher die getrockneten Gewürze, die Steinpilze und Brombeere ergänzen. Ein bisschen Carob (=Bockshörndl) riecht man und eine faszinierende Ader von Tonkabohne, die man sich wie wenig süßes Marzipan vorstellen darf.
Im Mund wirkt er geschliffen; die Frucht ist hell-rot, die Würze aber dunkel. Mit diesem Bild fasst man den mineralischen Jungenberg/Tannenberg vielleicht am besten. Denn zwischen diesen Polen lebt der Wein. Als Drittes prägt ihn das Tannin, das ebenso wie die Säure auch nach sieben Jahren nahezu jugendlich, in jedem Fall aber stark präsent ist. Beides garantiert eine lange Lebensdauer. Womit das überraschende Fazit lautet: 2013 noch lagern, 2016 kann zu Weihnachten auf den Tisch!
Wem das immer noch wie „Kindsmord“ vorkommt, wäre mit dem 2009er „Commondor“ bestens bedient. Denn auch von der berühmten Nittnaus-Cuvée (Merlot und Blaufränkisch) standen drei Jahrgänge bereit. Und auch hier gab es mit dem 2007 einen überraschend jugendlichen Vertreter, der sein erstes Plateau gerade mal erreicht hat. Der „Commondor“ 2009 hingegen bereitet jetzt große Freude. Der Duft bringt blättrige Würze mit, überraschender Weise auch geräuchertes Paprikapulver, das an Cabernet erinnert – auch wenn den John Nittnaus schon lange aus der Cuvée verbannt hat. In diesem Fall dürfte der Golser Ungerberg einen besonders würzigen Blaufränkisch-Anteil ergeben haben. Denn auch Zigarren-Rauch findet sich im Duft; der Merlot hingegen hat hier dunkle Beeren eingebracht.
Auch wenn wir uns nun in Gols und bei einem Zwei-Sorten-Blend befinden, steht wieder diese herrliche Balance zwischen dunkler Würze und fruchtiger Sanftheit zu Buche. Fast seidig wird dieser Wein am Gaumen, viel Schwarze Johannesbeere und Brombeere ist zu schmecken, es ist ein sanfter und doch finessenreicher Wein. Der Gerbstoff am Ende wirkt als Podest, auf dem sich diese beiden Bestandteile präsentieren können. Denn im Rückaroma kommen noch einmal die Kräuter (bisschen Lorbeer, etwas Koriander) und ein Amarena-Kirsch-Ton durch. Und auch wenn der Zoom-Sitzungston keine Dolby-Surround-Qualität liefert: Im Glas war das großes Kino!
Bezugsquelle:
Anita und Hans Nittnaus, Chardonnay „Freudshofer“ 2016 ist um EUR 25, der Blaufränkisch „Kalk & Schiefer“ 2018 um EUR 15 zu haben. Restflaschen vom Blaufränkisch „Jungenberg“ 2016 kosten EUR 50, vom Blaufränkisch „Tannenberg“ 2013 ebenfalls EUR 50 – und der Commondor 2009 ist als Halbflasche zu EUR 30 erhältlich, alles bei Trinkreif, https://trinkreif.at