Von der Bergamotte war ja erst die Rede hier bei uns. Und mangels Teepflanzungen im Vorgarten wurden die Südfrüchte zu Ölzucker verarbeitet. Den kennen wenige, den „Earl Grey“ hingegen fast jeder. Auch Menschen, die keinen Tee trinken. Die Bergamotte steuert aber nur die äußere Würze zu diesem Klassiker des aromatisierten Tees bei. Das ist auch wörtlich zu verstehen. Denn das ätherische Öl der gelben Zitrusfrüchte gelangt im klassischen Verfahren nur von außen mittels eines Filterpapiers an die Tee-Blätter, die darin eingewickelt sind. Dass man das heutzutage abkürzt und mit Aromen nachhilft, wird nicht verwundern angesichts der Industrialisierung der Lebensmittel.
Bei dieser Kritik wird gern aber auf eine andere Sache vergessen, die nicht unwesentlich ist. Den Tee. Denn der war ursprünglich auch ein komplexer Blend. Und kann somit beträchtlich in seiner Qualität variieren. Die drei (einstmals unter britischer Herrschaft vereinten) Regionen des Subkontinents Darjeeling, Ceylon und Assam vereinten die Stärken ihrer Tees. Die Farbe gibt der goldbraune Darjeeling, aus Sri Lanka kommt die Frische-Injektion und die Potenz steuert der Assam-Anteil in der Mischung bei. Derlei muss man nicht wissen, man erfährt es aber, wenn man Rainer Schmidt zu seinen Gewährsleuten zählen darf. Der Teehändler aus dem deutschen Norden hat bei seinem „Special Earl Grey“ aber noch drei weitere Komponenten dabei. Tarry Lapsang Souchong, der bekannte Rauch-Tee, steht am einen Ende. Der duftige Jasmin-Tee am anderen. Und sogar ein wenig Grüntee kommt in den Blend von Hanse Tee, wie Schmidts Unternehmen heißt. Das tropfenweise zugefügte Bergamotten-Öl vollendet dann diesen komplexen Tee, der mit den „fannings and dust“ im gängigen „Earl Grey“-Beutel wenig zu tun hat.
Sechs Tees vereint für die ideale Tasse
Auch diesen Fachausdruck, ungefähr mit „Brösel und Staub“ wiederzugeben, verdanken wir einer langen Verkostung mit Schmidt. Dass Teeblätter im Ganzen da eine andere Qualität aufweisen, versteht man da schon bei der Wortwahl. Nun aber zurück zum ersten Tee, den im Duft eine leichte Röstnote auszeichnet. Wohlgemerkt, keine Rauchnote. Die ist beispielsweise beim britischen „Smoky Earl Grey“, den wir auch nach dem Brexit gerne schlürfen, weitaus präsenter. Hier aber erinnert die Nase an warmes Eichenholz. Leichte Gebäcknoten und die Süße des Jasmin-Tees vereinen sich mit dem an Orangen erinnernden Bergamotten-Duft. Entfernt erinnert diese herb-süße Mischung an Lübecker Marzipan – und an Jaffa Cakes, in jedem Fall etwas mit dunkler Schokohülle.
Das Mundgefühl ist recht cremig und lässt den Tee selbst zur Geltung kommen, keine draufgepappte Aromatisierung. Tatsächlich sollte man vor Überextraktion warnen! Lieber ein wenig kürzer ziehen und weniger Tee nehmen als sonst. Denn dieser „Earl Grey Darjeeling“, wie er bei Hanse Tee heißt, ist intensiv und sollte nicht mit Bitterkeit des Auszugs die Subtilität töten. Im Idealfall bildet der Rauchtee ein leichtes Tannin-Gerüst, die Frische der Zitrusfrucht kommt dann erst im letzten Drittel wieder durch. Auch hier zeigt sich ein „Bitterl“ der Bergamotten, das die natürliche Frucht mitbringt.
Wer sich selbst als fortgeschrittener Teetrinker jegliche Aromatisierung verbittet, mag vielleicht nicht einmal diesen edlen „Earl Grey“ schätzen können. Aber auch für ihn gibt es einen Tee in Rainer Schmidts Repertoire. Es ist der aus Nepal stammende Schwarztee, von dem gerade 50 Kilo Jahresernte vorliegen. Sein Name erinnert ohnehin an paradiesische Zustände wie in James Hiltons Roman „Lost Horizon“: Shangri-La. Optisch fällt dieser Tee auch Laien auf. Denn die Blattspitzen bei diesem „Nepal Golden“ leuchten tatsächlich golden aus der Menge der fermentierten dunklen Blätter heraus. Das Photo gibt das nicht ganz so wieder, dafür sieht die Tassen-Farbe nahezu exakt so aus wie am Cover des Großen Teebuchs von Rainer Schmidt, dem wir unsere Bekanntschaft verdanken.
Der Duft des Shangri La ist einerseits wunderbar nussig. Wer etwa geröstete Lupinen kennt, wird diesen Duft hier wieder finden, vielleicht auch etwas vom Kürbiskern. Die Dominante allerdings ist Schokolade; herber als Milchschokolade, aber keineswegs im adstringierend-dunklen Aromen-Sektor von Bitterschokolade angesiedelt. Auffällig schön fällt das Mundgefühl dieses Nepal-Tees aus, das seidig weich ist und für uns an Esskastanien anstreift. Ein sanfter Gerbstoff beim Trinken lässt auch an Maroni-Schalen denken. Als „wunderbarer Nachmittagstee“ wird der schwarze Nepal von Händler Schmidt ausgelobt. Was insofern stimmt, da er mit (nicht zu süßem!) Gebäck wunderbar harmoniert. Muss ja keine Madeleine sein wie bei Marcel Proust. Aber Sandmasse an sich geht schon in die richtige Richtung.
Lässt man ihn etwas länger ziehen, entwickelt sich sein kräftiger Geschmack allerdings so, dass er auch Kaffee-Liebhaber auf den Tee-Geschmack bringen könnte. In dieser Zubereitung verliert er zwar an Finesse, ist aber auch als Start in den Tag gut vorstellbar. Kraft und Schokoladigkeit ohne Bitterkeit wie ein guter Espresso – das bekommt der Tee schließlich schon lange hin. Man muss nur den richtigen wählen. Und ihn nach seinem Gusto zubereiten. Der Schneefall draußen lädt jedenfalls aktuell zu tee-glichen Experimenten ein.
Bezugsquelle:
Hanse Teehandel, „Special Earl Grey Darjeeling“ kostet EUR 6,- (50 Gramm-Packung; für 100 Gramm sind es EUR 11,-), der „Nepal Golden Black Tea Shangri La“ ist um EUR 8,80 (50 Gramm bzw. EUR 16,75 für 100 Gramm) erhältlich, beide im Online-Shop, www.teeverkostungen.com