Wenn einer der Uniformität trotzt, hat er schon halb gewonnen im Trinkprotokoll. Aus der Flut der verkosteten Weine (momentan wird für drei Projekte parallel verkostet, in Proben heißt das 800) ragen Dinge heraus, die dem Mainstream trotzen. Bei Hans „John“ Nittnaus und seinen Söhnen wird man mit solchen Prämissen fast immer fündig. Der weiße Leithaberg etwa, den Martin Nittnaus einschenkte, hat mit den mineralischen, meist aber auch opulenten Chardonnays der Gegend nichts zu tun.
Kalk kommt schon auch durch, dazu aber eine vegetale Nase, die an eine ganze Balkonzucht an Küchenkräuter denken lässt. Ich kann mich nicht erinnern, wann das letzte Mal ein Wein dieses Bukett zeigte. Cremig durch den Holzeinsatz, kommt aber auch am Gaumen dieser grünwürzige Zug durch, was einen ganz eigenen Wein ergibt, sehr entfernt manchem Lagen-Sauvignon aus der Steiermark vergleichbar. Aber auch das trifft den Kern nicht. Ein Phänomen, das uns weiter unten im Text auch in Rot begegnen wird.
Der Leithaberg des Jahrgangs 2011 stellt die rote Nittnaus’sche Interpretation des DAC-Gebiets dar. Säurige Duftnoten, Ribisl etwa oder auch Himbeere, machen den ersten Eindruck aus, am Gaumen wird eher die herb-säurige Dirndl die Assoziationskette anführen. Dicht und saftig jedenfalls wird er nach einiger Zeit im Mund, Tinte und Graphit, auch etwas Kochschokolade halten gegen die würzig-säurigen Noten.
Der Commondor wurde 2011 erstmals nur aus Merlot und Blaufränkisch (80 zu 20) cuvéetiert, wie Martin Nittnaus erzählt. Der erhöhte Merlot-Anteil anstatt des Zweigelts macht einen stoffigen Wein aus der Paradecuvée, die immer dann im Alter aufdreht, wenn es ein eher säurebetontes Jahr war. Momentan sperrt sich der Wein fast noch zum Verkosten, auch wenn die Klasse natürlich durchblitzt.
Ganz anders, wenngleich auch mit langem Leben versehen, stellte sich jener Wein dar, den ich persönlich immer in den Top 5 des heimischen Rotweins habe, seit es ihn gibt – der Tannenberg. Wie immer stellt auch beim 2009er vom Schiefer-Quarzit-Hügel bei Jois die Nase das erste Vergnügen dar: Preiselbeere, viel Kirsche und auch ein schöner Steinton, diese Marzipan-Note passt gut zu der intensiven an PEZ-Wildkirsche-Zuckerl erinnernde rot-säuerliche Aromatik. Am Gaumen wird es noch nicht so expressiv, dafür schickt einen der Wein auf eine Reise. Man kann den feinen Nuancen nachspüren, nicht wenige überfordert dieser burgundisch-elegante Blaufränkisch. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem floralen und rotbeerigen Wein belohnt, über den man lange sinnieren kann.
Um nicht missverstanden zu werden: Der Tannenberg ist kein verkopfter Wein, keiner, der den intellektuellen Zugang des Weinwissers braucht, schon gar nichts für Trinksnobs. Eher schon kann man ihn als skelettierte Version eines Blaufränkisch sehen, was selbst für die Säure gilt. Die prickelt nämlich nur an der Oberfläche, ohne den zarten Kirschgeschmack zu überlagern. Alles an diesem Wein ist dezent, aber im Übermaß vorhanden. Das klingt paradox, aber gerade das unterscheidet diesen Wein von allen anderen.
Selbst der in seiner Kargheit vergleichbare Blaufränkisch Steinweg aus dem Landessüden (von Christoph Wachter) hat eine dunklere Würze, der Tannenberg hingegen birgt ein Geheimnis. Immer wieder beeindruckt mich das ätherische Finish. Der Wein verhaucht geradezu am Gaumen, bleibt aber auf wundersame Weise doch haften, als hätte der Blaufränkisch einen Astralleib. Wobei man nie vergessen darf: Wir stehen hier seeehr am Anfang einer Entwicklung. Wir haben schlicht noch keinen zehnjährigen Tannenberg. Wer einen will, sollte aber jetzt mit dem Sammeln beginnen.
Bezugsquelle:
Anita und Hans Nittnaus, Leithaberg DAC weiss 2012 ist um 18 EUR, der rote Leithaberg DAC „Alte Reben“ 2012 um 22 EUR, die Cuvée Commondor 2011 um 42 EUR und der Blaufränkisch „Tannenberg“ 2009 um 58 EUR erhältlich, alle bei Weinhandel Wild. www.weinhandel-wild.at