Haben wir’s nicht gesagt? Wermut wird uns weiter begleiten. Denn dieser Tage kommt die nächste Neuheit – nach dem Lavanttaler Bärmut (den wir hier vorstellten) ist es dieses Mal ein echter Wiener. Mit dem Platzhirschen der Hauptstadt in Sachen aromatisiertem Wein, Leonhard Spechts Burschik, kommt man sich aber nicht ins Gehege. Da ist erstens die Aufmachung vor, die schon einmal signalisiert, dass die „Sissi“ – so heißt der Wermut-Neuling – nur spielen will. Und das recht lasziv. Kann man mögen, diese optische Freizügigkeit Anno 2020, muss man nicht.
Aber es geht schließlich um den Inhalt bei uns. Und auch dort setzen sich Andreas Sael und Peter J. Tikal ab. Das Duo steht hinter der Wiener Wermut-Company. Womit man auch annehmen darf, dass da noch mehr kommt als der mit „Weiss“ gelabelte „Sissi“. Diese hat jedenfalls keine schlechten Eltern. Roland Kroiss und Tochter Julia vom wunderbaren Sieveringer Heurigen-Weingut Kroiss stellen den Grundwein für den Wermut. Und der Wein macht schließlich gemäß der Definition der bittersüßen Aperitif-Kategorie den größten Anteil des Getränks aus. Nun kommt es noch auf die Gewürzmischung an, die neben dem Bitterkraut Arthemisia zum Einsatz gelangt. Der ebenfalls vorgeschriebene Schnaps soll schließlich nicht durchkommen, sondern nur abrundend wirken. Das tut er bei der Sissi, auch wenn mit 18 Volumsprozent die obere Marke der Kraft gewählt wurde. Aber schließlich soll guter Wermut ja auch im Cocktail Kante zeigen.
Und es soll keiner sagen, dass ihr Charakter nicht ausgeprägt wäre – ein Schnuppern macht einen da sicher! Wer sich noch an die blass-orange, süße „Schaumzuckerware“, erinnert, die wie Semmerln, Flesserln und Stangerl aussah: Diese hieß „Wiener Gebäck“ und genau so riecht der Wiener Wermut! Also nach ordentlich Vanille, mit einem süßen Unterton, so wie er aktuell vorweihnachtlich aus so mancher Heim-Bäckerei kommt. Bitter wird das Duftbild erst in zweiter Lesung. Wäre das kein Aperitif, sondern Aftershave, könnte man klug von „Herznote“ und „Kopfnote“ faseln. Ist der Wiener Wermut aber nicht und somit geht es an den Kostschluck!
Der fällt deutlich herber aus, denn der likörsüße Duft ließ eine derart trockene Anmutung nicht erwarten. Zitruszesten sorgen praktisch von Beginn weg für eine herbe Grundierung. Orange, aber vor allem Grapefruit, spielen da im Vordergrund mit. Das Vanillin kommt zwar auch am Gaumen durch, aber keineswegs dominant. Es gibt der Sissi eine nicht unpassende blumige Note. Süß ist der Wermut aber nicht, vielmehr wird er im Finish zunehmend spürbar herb. Im Gegensatz zu vielen anderen Produkten kann man sich den neuen Wiener Apéro auch pur durchaus vorstellen. Zitronenschnitz, Eiswürfel – und gut ist’s.
Wobei natürlich auch die Mischung mit Tonic Water funktioniert, es sollte nur kein zu herbes sein. Persönlich können wir uns das auch gut in einem „Wodkatini“ vorstellen; da bekäme selbst der neutralste Brand eine schöne Komplexität. Doch den besten Vorschlag findet man bei den „Sissi“-Machern Andreas Sael und Peter J. Tikal selbst. Sie adaptieren den „White Negroni“ mit dem Wermut. Das Rezept von Wayne Collins ist generell ein merkenswertes, auch in der Ur-Fassung mit dem Weinaperitif Lillet: Zu einem Teil Gin und einem Teil „Sissi“ gesellt sich der Enzian-Likör Suze mit einem halben Teil. In Zentilitern (cl) wären das für Rechen-Schwache beispielsweise je 4 cl Gin und Wermut sowie 2 cl Suze.
Das ergibt einen wunderbaren Feierabend-Drink, nicht nur in an sich bitteren Zeiten! Oder man öffnet eine der 840 nummerierten Flaschen der Erstfüllung aus dem 13. Bezirk zum Kekse backen. Schnell weiß man da nicht mehr, wo der Wermut-Duft endet und der Vanillekipferl-Geruch beginnt. Optisch passt der Vanillezucker ohnehin zum „Wermut Weiss“!
Bezugsquelle:
Wiener Wermut, „Sissi“ ist um EUR 24,90 (0,5 Liter-Flasche) im Webshop der Manufaktur erhältlich, www.wienerwermut.at