Wer gleich zwei Grappa-Museen – eines in Bassano, eines am Produktionsstandort Schiavon – unterhält, hat auch etwas über den weltberühmten Tresterbrand zu erzählen. Jacopo Poli liebt es aber auch, die Geschichte ein wenig zu entmystifizieren. Denn zum Symbol Italiens wie die Pasta, rote Sportwägen oder die ebenfalls weltberühmten Füllfedern aus Bassano (Montegrappa) wurde der Grappa erst spät. „Am Anfang bekam die Herrschaft den Wein, der Trester blieb den Pächtern des Landes“, erklärt der Brenner beim Rundgang durch die beeindruckende, ziegelrote Grappa-Kathedrale im Veneto. 40% aller Grappe kommen aus dieser Provinz, dem Herzland des Destillats, das auch entsprechend alle Rebsorten der Region nutzt.
Dass sich sein Urgroßvater, eigentlich am Plateau von Asiago beheimatet, hier ansiedelte, lag an der Eisenbahn, die Schiavon mit der Welt draußen verband. Gleich gegenüber von der Station der „Schwarzen Kuh“ (vaca mora) vertrieb Giovanni Battista Poli nicht nur seine Strohhüte, sondern als Wirt bald auch eigene Destillate. „Der ehemalige Kuhstall wurde zur Destillerie“, beschreibt sein Urenkel die Anfänge, die auf eine Phase mit einem mobilen Brenn-Wagen bei den Winzern folgte. Das legendäre Gerät, ein imposantes Kupfergefährt, steht heute im „Museo della Grappa“. Die Strohhüte über den Brennblasen sind eine andere Reminiszenz an „GioBatta“ Poli. Bei unserem Besuch wird gerade der „Amorosa di Dicembre“ erzeugt – der Name bezieht sich auf den Lesezeitpunkt der Vespaiolo-Trauben. Diese bleiben für die regionale Süßwein-Spezialität des DOC-Gebiets Breganze aber noch am Stock, um einzuschrumpfen.
Ist der „Torcolato“ genannte Wein (hier eine Kostnotiz zu diesem Käsebegleiter) einmal gepresst, wird bei Poli der Trester gebrannt. Der aktuell bereits gefüllte Grappa bringt mit einer Melange aus Trockenfrüchten und Himbeeren viel Frucht mit. Man denkt aber auch an Feigen-Kaffee und – in den würzigsten Momenten dieses Destillats – an Wacholder. Wer Grappa mit rustikalen Noten verbindet, braucht aber keine Angst haben: Der erste Schluck zeigt schon, wie weich dieser Tresterbrand über die Zunge rollt. Wieder matchen sich die Früchte um die erste Position; gedörrte, aber immer noch zart süße Zwetschken schmeckt man, aber auch die rote Fraktion (diesmal: Erdbeere) ist präsent. Zu dieser Schönheit im Ausdruck passt die Flasche mit dem langen Hals – „dem Schönheitsideal der Frauen, die Amedeo Modigliani malte“, wie Jacopo Poli das Design sehr italienisch erklärt.
Es war die schlechteste Phase der Grappa-Geschichte, aus der man bei Poli heute die Kraft zieht. Denn zeitweilig konnte nicht einmal das eingestürzte Dach erneuern, halb im Freien wurde produziert, während rundum die industrielle Grappa-Erzeugung einsetzte. In Schiavon blieb man aber der alten handwerklichen Machart treu. „Diskontinuierlich“ wird gebrannt, also jede neue Charge an Traubenresten manuell in die Brennblasen geschaufelt und nach zwei Stunden wieder entfernt. „Vier mal 25 Kilo“, rechnet der Grappaiolo vor, während er im aromatischen Dampf des Brennkessels die Vespaiolo-Reste entfernt. Was viel klingt, relativiert sich. Denn aus 20 Kilo Trester werden gerade zwei Flaschen fertiger Grappa.
Bei Poli feiert man 2023 das Jubiläum eines der Prestige-trächtigsten Grappas. Der weltweit gesuchte „Supertuscan“ der Marchesi Incisa della Rochetta wurde vor 30 Jahren auch zu einem Grappa: „Sassicaia“ kann auch in der Welt der Trester als grandiose Variante gelten. Fünf Jahre verbringt der Brand mit dem klingenden Namen in den ehemaligen Rotweinfässern. Die Edelholz-Noten sind auch die ersten Eindrücke in der Nase; Nougat, schmelzende Butter und Keksteig zeigen sich schmeichelnd. Spannend fällt die Frucht-Seite aus, die an Weingartenpfirsiche anklingt und hoch elegant wirkt.
Der Kostschluck dieses Grappas bestätigt den Eindruck der Patisserie-Noten. Ultraweich und mit einem Mix aus gedämpften Steinfrüchten und Birne legt sich der „Barili di Sassicaia” auf die Zunge. Wieder denkt man an Butter-getränkten Teig, wobei der leichte Pfeffer, der im Finish dagegenhält, einen Kontrapunkt setzt. So oder so: Mit höchster Eleganz bis in den langen Nachhall spült der 29. Jahrgang dieses Destillats die letzten Zweifel an der Kategorie Grappa hinweg.
Die Königsklasse des Destillats lässt sich vor Ort aber auch noch erkunden. Denn die beiden Jahrgänge, die man auch Trester von Château Lafite verarbeiten konnte, sind längst ausverkauft. Polis „La Première“ reift acht Jahre in den ehemaligen Fässern des premier cru aus Pauillac. Schokoladig und mit süßen Trockenfrüchten wie frisch aus dem Panettone überzeugt diese Rarität. Wer in Schiavon vorbeikommt: Es gibt noch ein paar Restflaschen dieses Elixirs!
Bezugsquelle:
Poli Grappa, Grappa „Amorosa di Dicembre“ (Torcolato) ist um EUR 48,90 (0,5 Liter-Flasche) zu haben, der „Barili di Sassicaia” wiederum ist um EUR 77,90 (0,5 Liter-Flasche) erhältlich, alle beide bei Weisshaus, www.weisshaus.at