„Bei Zitrusfrüchten sind wir autark“, sagt Giovanni Giuseppe Caffo und führt stolz durch die 16 Hektar „agrumi“, wie er die Orangen, Chinottos, Cedratzitronen, Mandarinen und Bergamotten mit einem Sammelbegriff nennt. Schiegersohn Enzo überwacht die Anlage, die ohne Spritzmittel auskommt, da das Wertvolle für die Caffos die Schalen der Früchte darstellen. Sie liefern in Kalabrien einige der 29 Zutaten für jenes Getränk, das sich in den letzten zehn Jahren zum beliebtesten Kräuterbitter („Amaro“) des Landes gemausert hat. Nicht alle sind bekannt, doch die meisten stammen aus Kalabrien.
Hier hatte die ursprünglich sizilianische Familie – in Santa Venerina am Fuß des Aetnas begann 1915 die Firmengeschichte – immer mehr an Fahrt aufgenommen, seit Giovanni Giuseppe Caffo das Rezept des „Amaro Sprint“ überarbeitet hatte. Der Fokus auf die berühmten Kräuter und Zitrusfrüchte Kalabriens stand damals Pate für den neuen Amaro. Entsprechend erfolgte auch die Bezeichnung nach einer lokalen Sehenswürigkeit, dem Capo Vaticano. „Nein, mit dem Vatikan hat das nicht zu tun“, lachen „Pippo“ Caffo (der Senior) und der heutige Firmenchef Sebastiano „Nuccio“ Caffo gleichzeitig. Auch wenn zum Firmen-Hunderter 2015 auch Papst Francesco eine Magnum des Amaros überreicht bekam. Denn die Priester, die auf dem markanten Felsen oberhalb des bekannten Strands von Grotticelle standen, waren römische Haruspices, also Vogel-Schauer, die daraus Omen ableiteten. Das „Kap der Weissagungen“ mit dem Blick Richtung Ätna und auf die vulkanischen Isole Eolie findet sich auf jeder der kantigen Flaschen, die mittlerweile vier Millionen Mal gefüllt werden.
Es riecht nach Bergamotte beim Firmen-Rundgang, denn gerade werden die gestern geernteten Früchte geschält. Kisten-eise werden die Zesten vorbereitet, die dann ihr Aroma an den Alkohol abgeben (in Behältern, die wie eine große Fritteuse aussehen). Ebenfalls im Spiel ist das Süßholz Kalabriens, das auch einer anderen Innovation der „Distilleria F.lli Caffo“ das Aroma gibt: „Liquor-ice“ war der erste 100%-ige Lakritz-Likör und zog eine Reihe an Mitbewerbern nach sich. So quasi nebenbei erfährt man, das auch Haribo seine Lakritze aus dem Süden Italiens bezieht – die Qualität der drei-jährigen Pflanze von den sandigen Böden Kalabriens gilt als die beste.
Das Geheimnis der Aromen-Orgel
Aber wie gesagt, welche Zutaten in welcher Menge in das finale Rezept fließen, ist geheim. Selbst auf dem computer-gesteuerten „Mischpult“, mit dem Nuccio Caffo die Produktion steuert („Stell Dir das wie eine Orgel vor“!), sind die Zutaten der einprogrammierten Ingredienzien mit Nummern codiert. Da lassen wir doch lieber das Produkt selbst sprechen, den „Vecchio Amaro del Capo“ mit seinen 35 Volumsprozenten: Die vielschichtige Art zeigt sich schon im Duft des Amaros; da sind Nüsse zu riechen, aber auch Zimtrinde, Gewürznelke und ein Touch Lakritzschnecke vom berühmten Süßholz der Caffos. Der erste Schluck bringt röstige Mandeln, weißen Pfeffer, aber auch die Muskatblüte (Macis) mit auf den Gaumen. Serviert man ihn eiskalt, dann kommen auch noch Sternanis und die bitteren Noten eingelegter schwarzer Nüsse („Johannisnuss“) durch. Eine Espresso-Note beschließt den „Vecchio Amaro“ dann.
Die Edelvariante des kalabrischen Erfolgsproduktes dreht dann ein wenig an der Alkoholstärke. Doch nicht nur die 37,5% Vol. sind anders, auch der Alkohol, mit dem die Mazerate gemischt wurden, stammt vom Feinsten. Es ist alter Weinbrand aus einem Blend lokaler Rebsorten (Greco Bianco, Gaglioppo oder Magliocco), der aktuell aus dem Brenn-Jahrgang 1972 stammt. Der Duft bringt hier die Zitrusfrüchte schön heraus, vor allem die Orange. Rosinen, etwas Kamille, aber auch ein an Stracciatella-Eis erinnernder Mix aus Schoko und Vanille ist zu erschnüffeln. Die Orange prägt gemeinsam mit satten Walnuß-Schlieren auch den Gaumen. Sternanis und Nelke sind da, aber auch ein Waldhonig-Akkord. Dessen Süße und die pfeffrige Grundierung durch den Weinbrand liegen im Widerstreit und sorgen für Spannung bei diesem kräftigen Amaro. Man könnte ihn getrost Freunden trockenerer Rums oder Whisky-Trinkern empfehlen. Hier spielt sich aromatisch wie beim „Vecchio Amaro“ selbst einiges ab, wenngleich bei insgesamt weniger Süße als im Original.
Denn nicht ganz unbeteiligt am Höhenflug war die moderne Präsentation des Kräuterbitters. Praktisch alle Werbemittel weisen entweder das Wörtchen „ghiacciato“ (eisgekühlt) oder „-20 Grad“ auf. Fast routinemäßig greift sich Nuccio Caffo daher die kantige Flasche zur Temperaturkontrolle. Idealer Weise kommt sie direkt aus dem Gefrierfach zu den Gästen. Der Geschmack verändert sich in der vereisten Variante in Richtung der Bitter-Töne. Die subtilen Gewürze treten zurück, dafür wirkt der Veccio Amaro runder und gefälliger, er bleibt auch länger haften. Am besten serviert man zum Vergleich beide Varianten, denn es sind fast zwei eigenständige Getränke, die man zu trinken meint.
Und dann wäre da noch die italienische „Gin & Tonic“-Version, die mit dem Amaro und Tonic Water im Verhältnis 1:4 gemischt wird. Ein Schuß Zitronensaft dazu und fertig ist das Capo Tonic. Und als Sommerdrink erinnert es uns vermutlich mehr an Italien als Zitrusfrüchte im österreichischen Winter.
Bezugsquelle:
Caffo, „Vecchio Amaro del Capo“ kostet 18,90 (ein Liter), die „Riserva“ ist um EUR 44,90 zu haben, beide in den drei Ammersin-Filialen in Wien oder via E-Mail, https://ammersin.at