Die eingestürzte Reichsbrücke, die Schüsse auf Heinz Nittel, der Tod von Elvis, wahlweise auch von Prince, Michael Jackson oder Amy Winehouse – das sind Ereignisse, bei denen man in der Regel weiß, wo man war und mit wem man sprach, als man davon erfuhr. Ob wir in 20 Jahren wissen werden, wo uns die Nachricht von der Corona-bedingten Ausgangssperre (egal, wie sie sich offiziell nennt) erreichte? Eher nicht. Denn zu schleichend hat der Virus und seine Bekämpfung unser Leben umgekrempelt. Aber darum geht es jetzt nicht in dieser hedonistischen Ecke des Weltweit-Netzes. Sondern um die letzte Verkostung mit Sozialkontakten, also in freier Wildbahn, an die wir uns erinnern.
Diese führte mich in den Keller von Trinkreif, jenen Freunden, von denen man immer wieder gereifte Weine beziehen kann. Ganz ohne Subskribieren und Mindestabnahme. Wenn drei Flaschen Viognier da sind, dann kann man sie erwerben. Und dann sind sie auch weg. Die Quelle dafür sind Gastronomen, aber großteils die privaten Wein-Keller des Landes – „und der Nachschub ist nicht das Problem“. Sagt Markus Inzinger, der mit Clemens Riedl die Premium Vintage GmbH gegründet hat. Verkauft würden Wein-Vorräte aus ganz banalen Gründen:
- Zu viel Wein, zu wenig Platz
- Der Geschmack ändert sich
- Leute ziehen um
- Personen erben und trinken keinen Wein (oder zumindest keinen hochwertigen)
- Und dann wären da noch Scheidungsfälle
Dass bei derlei Ankäufen mitunter auch Weine jenseits des Zweiten Frühlings erstanden werden („ein Blauer Portugieser aus den 1970ern oder ein 30 Jahre alter Welschriesling, den irgendjemand im Keller findet“ © M. Inzinger), liegt nahe.
Doch auch diese werden nicht einfach entsorgt. „Zwei Dinge kannst Du damit machen – Essig oder Weinbrand“, entschied man sich laut Clemens Riedl für zweiteres. Und weil die beiden Trinkreif-Burschen auch sehr Kunst-affin sind, gestaltete das Innen-Label des „brand #1“ Lionel Favre. Trinkt man das im Fass abgerundete Nachhaltigkeitsdestillat aus, sieht man auch, wie er entstanden ist.
Deutlich vom Holzfass geprägt ist auch der erste Duft – neben Sägespänen und Kiefernharz schimmert aber auch Karamell und Bitterorangen-Marmelade durch. Im Mund erweist sich „brand #1“ als sehr strukturiert, eine prononcierte Fruchtigkeit wird man angesichts der unterschiedlichen Wein-Provenienz naheliegender Weise auch nicht finden. Sanft für seine 48 Volumsprozent kleidet der Weinbrand den Gaumen aus und bringt Kokosraspel, Haselnuss und Zimtrinde. Der Nachklang ist lang, aber ebenfalls recht sanft – hier schleicht sich ein bisserl Salz-Erdnuss ins Rückaroma. Als Solist macht er Whisky-Freunden sicher auch Freude, unser Tipp allerdings: Mit einem Espresso reichen – die beiden mögen sich!
Bezugsquelle:
Trinkreif, „brand #1“ ist um EUR 55,- (0,5 Liter-Flasche) bei Trinkreif erhältlich, https://trinkreif.at/