Es kann vieles sein, wenn zur „Master Class“ geladen wird. Das beginnt schon mit dem anwesenden Master – da kann vom werblichen Erweckungsprediger für ein Weingut bis zum mundfaulen Vertreter eines Spirituosenhauses alles dabei sein. Und das betrifft natürlich auch die Inhalte. Je tiefer man in die Produktion von Wohlgeschmack eindringt, desto panischer werden die Marketingabteilungen oft. Wenn Nelson Hernández dabei ist, darf man aber Entwarnung geben. Und ein dickes Lob an den „maestro ronero“ aus Venezuela aussprechen: Selten wurde ein Rum-Haus transparenter vorgestellt, als er es mit Diplomático tut. Inklusive der Mitnahme von Melasse und dem „sugar cane honey“ als Vorstufe, dem wichtigsten Rohstoff des Rumhauses, zur Vergleichsverkostung. Hat man selten am Teller!
Was umso mehr zu schätzen ist, da die Kategorie aufgrund des Zuckerlimits der EU (2021 erst eingeführt) unter starker Beobachtung steht. Rezepte mussten geändert werden, um weiterhin „Rum“ auf die Etiketten schreiben zu dürfen. Denn alles über 20 Gramm Zucker pro Liter heißt nun anders. Meist verschwurbelt: „Spirits Drink based on Premium Rum“ zum Beispiel. Bei den Destilerías Unidas hat man ebenfalls Abstriche bei der „Dosage“ gemacht. 17 Gramm sind es nun, wobei auch hier ein interessantes Experiment mit Señor Hernández durchgetrunken wird bei seinem Besuch im Wiener Loca.
Er hat nämlich auch den „new make“, also ungelagerten Rum in Fass-Stärke (65% vol.) mitgebracht. Und der wird dann mit dem zwei Jahre gelagerten Destillat verglichen. „Süße kann auch vom Fass kommen, nicht nur der Dosage“, so die Lehre des Rum-Meisters. Das stimmt und es gibt ein neues Produkt, das diese zweifache Süßequelle für den venezolanischen Rum deutlich zeigt.
Denn auch die „Selección de Familia” weist die 17 Gramm Zucker auf wie der Bestseller „Reserva Exklusiva“. Nur ist in diesem Fall auch eine neue Fass-Art im Spiel. Genauer gesagt, sind es zwei Sherry-Typen, die man von Sandeman bezieht (auch da ist Nelson Hernández unüblich transparent): Ehemalige Oloroso-Gebinde und solche des süßesten Sherry-Typus namens Pedro Ximénez (schmissiger: PX).
Der Duft fällt in der Tat anders aus als beim Klassiker des Hauses. Getrocknete Himbeere als Stellvertreter der roten Früchte, die der Sherry einbrachte, ist präsent. Auch Haselnuss, eigentlich sogar: Haselnuss-Creme wie aus einer Keks-Füllung, merkt man deutlich. Dazu kommen auch klare Fass-Noten der Abteilung „hard spice“ – in diesem Falle Gewürznelke und Muskatnuss-Abrieb.
Süße ist bei der „Selección de Familia” vom Beginn weg zu spüren, sie ist aber immer in fruchtige Noten eingebettet. Im Geschmack erinnert das anfangs an karamellisierte Ananas. Auch ein mächtiges schokoladiges Wohlbehagen kleidet den Gaumen aus. Der Schlussakkord fällt dennoch recht kräftig aus – wir haben es schließlich mit 90% Rum aus der Pot Still-Brennblase zu tun. Das Rückaroma gehört aber wieder den roten Früchten, die an den doppelten Sherry-„Trick“ erinnern. Und zu einem geradebrechten „muy bien“ verleiten. Wenn man schon neben dem „maestro ronero“ sitzt.
Bezugsquelle:
Ron Diplomático, Selección de Familia” kostet EUR 49,14 (0,7 Liter-Flasche) beim Versandhandel Vinorama, www.vinorama.at