Roederer hat Zeit: „Alle 30 Jahre ein neuer Wein – das ist der Rhythmus des Hauses“, erklärt es der Kellermeister des Champagnerhauses, Jean-Baptiste Lécaillon. Entsprechend sehnsüchtig erwarteten Schaumweinfreunde den „Brut Nature“, besagten Neuzugang aus dem Hitzejahr 2006. Der jetzt vorgestellte Schaumwein – der in Österreich zeitverzögert auf den Markt kommt (ja, so geht das „kleinen“ Champagner-Märkten) – geht auf eine Beobachtung aus dem heißen Jahrgang 2003 zurück. Kellermeister Lécaillon stellte fest, dass die Pinot Noir-Trauben des Anbaugebietes Cumières mit ihrem Tonerde-Kalk-Boden sehr gut durch das Jahr 2003 kamen. Mit dem heißen September 2006 hatte man erneut die Voraussetzungen für eine Cuvée, in der fruchtiger Pinot (zwei Drittel stammen aus der roten Traube) den Ton angeben sollte.
Auftritt: Philippe Starck. Der Star-Designer trinkt nur undosierten Champagner („Das ist quasi Wein am Knochen“) und bekam auch ein Mitspracherecht über die Flaschengestaltung hinaus. „Egal, worum es geht, man sollte nicht einfach im Außen wirken, sondern ins Innere vordringen“, so der selbstbewußte Franzose. Geworden ist es eine Etikette auf japanischem Papier, die in einer Mischung aus gedruckter und geprägter Schrift kund tut: „Dieser Champagner ist ein Brut Nature Millésimé, erzeugt 2006 von Louis Roederer und Philippe Starck in Reims, Frankreich.“
Für nicht so Schaumwein-affine Leser ist hier eine kleine Nachhilfe in Sachen Dosage angebracht: Diese auch „Versandlikör“ genannte Zugabe vor der Abfüllung besteht aus Zucker und Reserveweinen, also älteren Jahrgängen. Bei Louis Roederer liegt man im niedrigen Bereich von 9 Gramm pro Liter, aber manche Jahrgänge brauchen eben überhaupt keine Dosage. Beziehungsweise verzichten immer mehr Produzenten auch gerne aus „ideologischen“ Gründen darauf: Man will den puren Wein denkt man die „Zurück zur Natur“-Philosophie, die auch hinter Raw Wines, Orange Wines und anderen minimal-invasiven Winzer-Methodiken steckt, konsequent auch für Schaum-Wein weiter. Nebenbei erwähnt: Auch Frédéric Rouzaud, der aktuelle Chef beim Familien-Unternehmen Roederer, lässt 75 von 240 familien-eigenen Hektaren biodynamisch bearbeiten.
Entfernung des Vordergründigen – Champagner für Chablis-Freunde
Alles schön und gut, aber wie schmeckt nun der „Neue“ in der Roederer-Familie? Also: Der ersten Fruchtnase (Melone und unreife Marille) folgt eine Andeutung der Säure, die an Ananas und gelbe Tomate erinnert, kurz blitzen auch rauchige Noten auf. Der erste Schluck ist das, was britische Kollegen gerne als „mouthfilling“ beschreiben – die Kraft stammt aber von der Frucht, nicht der Perlage. Durch einen leichteren Pressdruck (fünf statt sechs Kilo wie sonst) sollen sich „die Bläschen im Hintergrund halten“, wie es Jean-Baptiste Lécaillon formuliert. Tatsächlich schiebt sich gleich einmal die Zitrusfrucht-Aromatik in den Vordergrund. Pomelo und Grapefruit sorgen für eine dezente, elegante und vor allem lang anhaltende weinige Art.
Das Bild vom skelettierten Champagner, das Starck andeutete, passt ganz gut. Das ist ein Wein für Kenner, die weder Cremigkeit, noch die Chardonnay-Schwere brauchen. Als Aperitif zu fordernd, als Solist ein Großer, könnte man sagen. Karg hingegen wirkt diese minimalistische Cuvée jedoch nie; selbst im Finish spielt sich viel ab, hier kommt auch noch ein Gerbstoff-Ton, am ehesten wieder an Zitrusschalen erinnernd, dazu.
P.S.: Wer diese weinig-pure Stilistik liebt, sollte sich die Starck’sche Flasche sichern. Denn: „es ist ungewiß, ob und wann es wieder einen nächsten Jahrgang dieser Art gibt“, so Peter Permann, Verantwortlicher beim Österreich-Importeur P. M. Mounier.
Bezugsquelle:
Champagne Louis Roederer, „Brut Nature 2006“ ist um EUR 99,90 bei Wein&Co. erhältlich, www.weinco.at