In seiner mehr als lesenswerten, aber bis dato nur auf Italienisch erhältlichen Geschichte der Gastro-Welterfolge hat Alessandro Marzo Magno der bitteren Geschmacksvorliebe seiner Landsleute eine eigene Hommage gewidmet. Im Kapitel über den „Spritz“, der anfangs gänzlich ohne Aperol auskam, findet sich in „Il Genio del Gusto“ (Come il mangiare italiano ha conquistato il mondo) eine Würdigung der verschiedenen Bitterquellen. Von der Artischocke (im Cynar) über den Rhabarber (eben im Aperol) und eben die Chinarinde (z. B. im China Martini aus Turin). Es gibt also eine breite Auswahl an bitteren Likören, die man als Basis für Sommergetränke nehmen kann. Diese Mischung gab’s übrigens durchaus auch hierzulande, Senioren mit Hosenträgern und beigen Blousons tranken sommers mitunter einen Rossbacher mit Tonic.
In Italien wird die Hose aber nicht über den Bauch gezogen, da geht man es eleganter an, wenngleich Tradition schon eine Rolle spielt. Und so holen wir zum Beginn der Sommerdrink-Serie gleich einmal ein Getränk vor den Vorhang, das Italiens Barkeeper-Exporte (keine Londoner Bar von Rang kommt ohne einen aus!) schon lange als Geheimwaffe nützen. Immer dann, wenn Wermut gefragt ist, in einem Drink, kann nämlich auch Barolo Chinato ins Glas. Den Piemonteser Edelwein Barolo kennt man, den „chinesischen“ Beinamen verdankt diese Version der China-Rinde, auch als Fieberbaum-Rinde oder Chinchona bekannt. Die hat allerdings nichts mit dem Reich der Mitte zu tun, das peruanische „quina“ (wörtlich: Rinde) wurde im Sprachgebrauch zu „China“. Für die Indios war die Heilpflanze schlicht „Rinde der Rinden“, also „quinquina“.
Wie kommt denn das Chinin in meinen Barolo?
Chinin also, der Bitterstoff des Tonic Waters und jahrhundertelang Malaria-Medikament, wurde mit anderen Aroma-Gebern (Wurzeln, Kräutern, Blüten und Früchten) dem Rotwein beigemengt. Man erwartete auch hier Heilwirkung, denn das Rezept stammte aus den Apotheken Turins und Chinchona wirkt ja auch „febrifug“, also fiebersenkend. Mittlerweile findet man den Barolo Chinato meist als unetikettierte Hausmischung. Aldo Vajra vom nach seinem Vater Giuseppe Domenico benannten Weingut G. D. Vajra füllt ihn aber auch offiziell ab.
Bereits die Nase seines gewürzten Weins bringt eine vielschichtige Melange mit: Nuss, aber auch Holunderbeeren, dazu Zimtrinde und ein herb-säuerlicher Akkord, der wahlweise als Heidelbeere oder Schlehe benannt wurde von den Verkostern. Saftig nach Heidelbeere lässt sich der Barolo Chinato auch am Gaumen an; Gerbstoff und Honig-süße Noten halten sich die Waage. Dazu kommt die zart grün unterlegte Würze, die dem Heidelbeer-Aroma Noten von Basilikum und Lorbeer mitgibt. Eine schöne Länge rundet diesen piemontesischen Geheimtipp ab.
Wem das pur zu wenig sexy ist, sei auf die Meinung von Daniele Prevato (Caffè Florian, Venezia) verwiesen. Der Barchef des prestigeträchtigen Lokals am Markusplatz gab gegenüber dem oben bereits erwähnten Alessandro Marzo Magno zu Protokoll, was er für den kommenden Aperitiv-Trend hält: „Ein Spritz mit Barolo Chinato – den würde ich mal probieren!“. Na, dann tun wir das, Signore Prevato, mit der Trinkprotokoll-Sommerdrink 2016-Empfehlung numero uno:
Barolo Chinato-Spritz
(nach Daniele Prevato, Caffé Florian)
4 cl Barolo Chinato
6 cl Prosecco
Sodawasser
Zubereitung:
In einem großen Glas (Ballonglas) mit viel Eis zuerst den Prosecco, dann den Barolo Chinato einschenken und mit Soda nach Geschmack auffüllen. Als Garnierung dient klassischer Weise eine halbe Orangen-Scheibe.
Bezugsquelle:
G. D. Vajra, Barolo Chinato ist um EUR 29,90 (0,5 Liter-Flasche) beim Piemont-Spezialisten „Il Barolista“ erhältlich, www.barolista.at