Man könnte es schlicht mathematisch sehen. Wenn bei 260 Lagenweinen eine Riede gleich vier Mal die doppelten ++ (unser Symbol für die Besten) aufweist, dann ist das statistisch schon mal etwas. Doch Geschmack folgt keinen Algorithmen, auch wenn irgendwo da draußen schon Verkostroboter programmiert werden. Also gehen wir zurück ad vinum – und der kam in diesem Falle stets von der Kamptaler Lage Heiligenstein. Und es war vier Mal Riesling, der uns unter den 2019ern verzückte, die in Grafenegg bei der großen Jahrgangspräsentation der Traditionsweingüter eingeschenkt wurden.
Die markante Lage allein, auf deren Wüsten-Sandstein samt Porphyr jede Winzerhomepage hinweist, macht aber keinen Wein. Es ist auch die Winzer-Interpretation, die man in diesem Quartett schön sehen kann. Jeder Heiligenstein war beeindruckend, aber keiner war gleich. Selbst die Würze, die mineralische Signatur der Herkunft von diesem geologischen Solitär, prägte sich in jedem Fall anders aus. Und auch die Erstbegegnung mit den Rieslingen fiel jeweils anders aus.
Ein gutes Beispiel ist der janus-köpfige 2019er von Stefanie und Alwin Jurtschitsch. Seine erste Nase fällt intensiv wie eine Beerenauslese aus: Honig, reifer Apfel, etwas Pfirsich zeigt den Riesling an, Papiernuss und Birnenwürfel – man könnte noch lange so weiterschreiben.
Man merkt am Gaumen, dass dieser Wein einfach gefallen möchte (und das auch kann!). Er hat alles und das noch dazu schon jetzt in beachtlicher Balance. Der Schmelz ist nicht übertrieben, die Marillen-Frucht kenntlich, aber kühl. Und die zarte Extrakt-Süße wird von der jugendlichen Säure gut abgepuffert. Vor allem dieses Spiel fasziniert aktuell an Jurtschitschs Heiligenstein. Vielleicht war es der zugänglichste unserer Lieblinge; in jedem Fall aber kann dieser 2019er „Alte Reben“ Wein-Einsteigern ebensoviel Trinkspaß machen, wie er Kenner mit der Zunge schnalzen lässt.
Apropos alte Reben: 60 Jahre alt sind auch die Stöcke, die sich in den Heiligenstein bohren, wenn es um Ludwig Hiedlers Riesling von der Paradelage geht. Sohn Dietmar Hiedler schenkte den Wein bei der ÖTW-Kost aus und es war ein Jahrgang, der mit seinen September-Temperatur-Unterschieden (2-4 Grad nachts, bis zu 20 Grad tagsüber) dem Winzer Freude machte. Spannung bzw. Eleganz sind besonders bei diesem Wein, der wie eine Zitronen-Meringue duftet, perfekt ausgeprägt. Dazu kommt im Geruch auch eine in diesem Fall unreife Tropenfrucht: die Ananas hat Säure und auch noch grüne Anteile, was uns auf Kühle am Gaumen tippen lässt.
Windringerl aus Zitrusfrucht: Hiedlers Heiligenstein 2019
So kommt es dann auch. Denn dieser 2019er ist die Antithese zu den kräftigen Burgundern, die es bei den Hiedlers auch in meisterlicher Art gibt. Hier aber ist filigraner Riesling angesagt! Der säurige Windringerl-Touch findet sich auch am Gaumen wieder, womit das Thema gesetzt ist. Hier versteckt sich die Frucht nicht, aber sie ist hingetupft wie in einem Aquarell. Es ist ein bewusster leiser Antritt, dem man die Absicht des Winzers anmerkt. Warum noch kitschige Noten ausapern lassen mit einer Woche späterer Lese? Diese Frage beantwortet jeder Schluck von diesem Heiligenstein. Nicht mit einem „Nein“, sondern mit einem „Komplett unnötig!“. Was sich hier im Glas zeigt ist nämlich schon feinste Riesling-Klinge, das wird hinterher auch der Blick auf’s Etikett zeigen. Mit moderaten 13% hat man hier einen leichtfüßigen Weißwein in Langenlois gefüllt, dessen Würze ganz hinten noch an Kurkuma und weißen Pfeffer erinnert. Arthouse-Kino statt Blockbuster, könnte man auch sagen.
Die Spannweite ist also beachtlich in der Bestenliste. Während Jurtschitschs oder Hiedlers 2019er mit 13% gefüllt wurde, stehen bei Michaela und Ludwig Ehn satte 14,5% Alkohol am Etikett. Das große ABER: Beides geht sich wunderbar aus. Denn Ehns Riesling duftet bereits nach einem attraktiven Mix aus Zitrusfrüchten: Orangenspalte stehen für den saftigen Teil des Weins, Salzzitronen zeigen die mineralische Würze und Engmaschigkeit an. Dass beides keine falsche Vermutungen des Riechorgans waren, macht der Kostschluck klar. Lebendig und fast schon „bremselnd“ frisch ist das Mundgefühl dieses 2019er Heiligensteins, der wieder viel zitrusfruchtigen Charme zeigt. Es ist aber nicht die säurige Version von Grapefruit, Zitrone und Orange, sondern ihre saftige Ausprägung. Ein bisserl darf man an „Nimm 2“-Zuckerl denken. Eine Analogie, die bei Probe Nr. 100 in Grafenegg nichts mit der Süße zu tun hat, sondern dem Schmelz dieses gelbfruchtigen Rieslings.
Er ist – was den allein betrachteten Alkoholwert ad absurdum führt – der frischste in unserer Top 4 der aktuellen „Heiligensteine“. Und Ehns 2019er stellt den idealen Wein dar, um ihn in den nächsten Jahren zu beobachten. Denn dieser Umbau in der Flasche, diese aromatische Entwicklung verfolgt man sicher mit Genuss.
Die große Ausnahme punkte Jahrgang in unserer Doppel-Plus-Riege war dann der 2018er Heiligenstein, den Schloss Gobelsburg vorstellte. Allerdings hat auch er sein Plateau noch nicht erreicht. Die Klasse blitzt aber in jeder Hinsicht durch. Hier nimmt z. B. die Würze einen Zug von frischem Fladenbrot an – Schwarzkümmel und Sesam sind da, aber die Frucht lässt sich ebenfalls nicht lumpen. Herrlich reife Tropenfrüchte, vor allem Papaya und Mango, erfreuen die Nase. Und über allem schwebt ein feines Rauch-Tönchen.
Der Gaumen beginnt weniger expressiv, hier wirkt der 2018er immer noch engmaschig. Die viel gelobte Meyer-Zitrone (so ein Blogger-Liebling), hier hat sie wirklich ihren Auftritt! Die feine Klinge zeigt sich in der säurigen Frische, die der Riesling bei aller offensichtlichen, un-überriechbaren Reife erhalten hat. Etwas Ananas und Grapefruit bilden diese Jugendlichkeit; letztere bringt mit ihren Zesten auch Gerbstoff mit, der aber fein wie ein Nebel ist. Ein herausragender Wein, auch wenn er merklich noch nicht alle Trümpfe ausgespielt hat!
Bezugsquelle:
Weingut Jurtschitsch, Riesling „Alte Reben“ Ried Heiligenstein 2019 kostet EUR 39,95 in den Filialen und im Webshop von Wein&Co., www.weinco.at
Weingut Hiedler, Riesling „Ried Heiligenstein“ 2019 ist um EUR 30 ab Hof bzw. im Webstore zu haben, https://hiedler.at/
Weingut Ludwig Ehn, Riesling Reserve „Ried Zöbinger Heiligenstein“ 2019 kostet EUR 19 ab Hof bzw. im Webshop, https://ehnwein.at
Schloss Gobelsburg, Riesling „Ried Heiligenstein“ 2018 ist um EUR 30,61 bei Vinorama erhältlich, www.vinorama.at