„Pädophile Weintrinker“ war das aufrüttelnde Bild, das Hendrik Thoma wählte, um uns die Leviten zu lesen. Die Gastronomie, so der Master-Sommelier aus Hamburg, schätze die Schätze zu wenig. Und meinte damit gereifte Weine aus Österreich. Um hier Abhilfe zu schaffen, hatte Thoma mit Getränke Del Fabro zur Leistungsschau geladen, bei der 15 Weine zwischen 2013 und 1999 ins Glas kamen. Zwar eigne sich laut Thoma „nur 1% der Weltweinproduktion dazu länger als fünf Jahre zu reifen“, das Potential Österreichs in diesem Segment sei aber beachtlich. Die Youngsters zum Aufwärmen dienten dem Vergleich, denn teils kamen die selben Lagen in unterschiedlichem Alter (jung und gereift) ins Glas.
Am augenfälligsten wurde dies bei einem Wein, den Thoma als erstaunlich günstig für sein Lagerpotential empfand. Norbert Fidessers „Sauvignon Blanc“ von der Lage „Sandberg“ zeigte zunächst als 2013er, was die Sorte im Weinviertel kann: Eine „Duftbombe“ mit Holunderblüte, gelber Paprika und Dörrmarille, aber auch einen intensiven Spargel-Bouquet, signalisierte, dass man sich nicht auf einen grasigen Sauvignon wird einstellen müssen. Ganz im Gegenteil, am Gaumen dominierten die Tropenfrüchte, wieder auch etwas gelber Spargel, insgesamt aber fehlte die große Länge, Thoma verwendete das Bild von „zwei ungleich langen Armen – das muss sich harmonisieren“.
Wo die Reise hingeht in der 1992 gepflanzten Rebanlage, demonstrierte dann der 2007er „Außer dem Holz“. Dieser Sauvignon Fidessers prunkte mit sattem Karamell im Duft, dazu einer ganzen Reihe an gelben Früchten, einmal mehr an Apfelkompott erinnernd, dann wieder an Marillen. Wieder ist da auch der gelbe Spargel, diesmal wird er aber als Creme brulée serviert: Buttrig und mit deutlicher Vanille-Note beginnt der 2007er am Gaumen, ehe sich über eine Grapefruit-Ader das Spiel verlagert. Gegen Ende ist der „Außer dem Holz“ dann richtiggehend pikant, rote Paprika und eine fast prickelnde Art runden das Finish ab.
Ein frisches Federspiel aus 2006
Der meistbesprochene Wein der Probe war wohl das 2006er „Federspiel“ vom Nikolaihof. Familie Saahs ist für einiges berühmt, seit langem für die Biodynamie im Weingarten, seit kurzem für die 100 Parker-Punkte. Allerdings gehört man auch zu den bekennenden Spätabfüllern. Der Riesling 2006 kommt also als praktisch „aktueller“ Wein in den Handel. Preislich liegt er im moderaten Wachauer Bereich, was die Aromatik betrifft, ist er hingegen eine eigene Liga. Ob es eine eigene Klasse ist, wurde viel diskutiert. Denn diesen Wein muss man mögen. Allein der fast penetrante Eistee-Geruch kennt in Österreichs Weinwelt kaum Parallelen. Allerdings kommen dazu Mandelnoten von Spekulatius-Keksen, ganz am Anfang eine fast an „Bazooka“-Kaugummi gemahnende Note, die später zarter wird und mit Kirschblüten gut beschrieben ist. Am Gaumen erinnert die Opulenz fast an Chardonnay, es ist aber fruchtiger Schmelz, nicht die barocke Anlage, die den Riesling breiter wirken lässt, als er den Analysewerten nach ist. Zumal der intensiven Steinobst-Aromatik (Marillen-Gelèe) eine wunderbare Frische entgegen wirkt, die diesen Wein zum idealen Apéro macht. Von hier aus kann es in alle Richtungen weitergehen. Nur gut muss es werden, denn das Level liegt nach dem Nikolaihof Riesling 2006 echt hoch.
Wie sie altern, nötigt Bewunderung ab
Bei den Rotweinen der Probe hielt sich die Überraschung in Grenzen, hier hat man gelernt zuzuwarten. Dennoch ist spannend, im Einzelfall zu sehen, wohin sich die Aromatik eines Weines bewegt. Zumal etwa der „Ungerbergen“ von Engelbert Prieler aus dem Jahre 2001 beinahe in ein Lehrbuch für Pyrazine gehört: Paprika in Reinkultur, dazu Cassis, dass man nie auch nur in die Versuchung kommt, hier keinen Cabernet im Glas zu vermuten. Das allerdings war nur der Duft. Denn am Gaumen dreht das Ganze in Richtung eines feinen St. Laurents, zu Beginn stehen die Zeichen sogar auf Pinot Noir. Weich mit zarter Erdbeer-Note beginnt dieser Wein, der nicht nur voller Saftigkeit ist, sondern einen merklichen, fast jugendlichen Gerbstoff mitbringt. Die blättrige Würze gegen Ende ergänzt den animalischen Charakter (Steak-Saft) gut, im Rückaroma wird er gar noch salzig auch. Ein echtes Vergnügen – nach 14 Jahren.
Für den Mastersommelier aus Hamburg stellte die größte Überraschung unter den Roten aber der „Pannobile 2003“ von Judith Beck aus Gols dar. Thoma merkte zurecht an, dass die meisten Weine des heißen Jahrgangs, der in seiner Jugend zum Hl. Gral des Roweins made in Austria hochstilisiert wurde, längst tot sind. Doch der Golser Blend aus Zweigelt und Blaufränkisch hebt schon einmal ohne Altersfirne an: Schlehe, Bockshörndl und die deutliche Würze des schwarzen Pfeffers in der Nase machen neugierig. Der Trinkeindruck ist einfach zu beschreiben als „dunkel und dicht wie ein Mokka“. Damit allerdings haben wir nur die Oberfläche angekratzt; dahinter lagert ein überraschend lebendiges Tannin, die Noten eines herb-kräftigen Blaufränkischs (schwarze Olive und Lorbeer-Blatt) kommen durch. Wie eine gehaltvolle Bitterschoko klingt der „Pannobile“ aus. „Dunkle Reduktion“ steht neben dem Plus bei den Kostnotizen.
An diesem Wein Judith Becks lässt sich ein gutes Fazit zum Thema reife Weine insgesamt ziehen. Denn nicht das schiere Alter überrascht; 12 Jahre hält ein derart dichter, fruchtsatter Blend schon locker, Aber das „Wie“ ist entscheidend. Diesen Tiefgang besaß der Wein in seinen ersten fünf Jahren definitiv nicht. Nur beim Wein stimmt das Märchen, dass Falten attraktiver machen, wirklich!
Bezugsquelle
Alle beschriebenen Weine führt Getränke Del Fabro; Fidessers Sauvignon Blanc „Sandberg“ 2013 kostet EUR 10,50, der reife „Außerm Holz“ 2007 EUR 16,70.
Nikolaihof, Riesling Federspiel „vom Stein“ 2006 ist um EUR 14,20 erhältlich.
Vom Weingut Prieler sind Restmengen vom Cabernet Sauvignon „Ungerbergen“ 2001 um EUR 38,20 zu haben und Judith Becks „Pannobile“ 2003 kostet aktuell EUR 23,10, www.delfabro.at