Sekt aus England? Wer die letzten drei Jahre nicht auf den Britischen Inseln war, verwandelt sich jetzt wohl in den Wackeldackel – vor lauter Kopfschütteln. Doch mittlerweile kaufen selbst Champagner-Familien Parzellen mit kreidigem Untergrund auf. Pierre-Emmanuel Taittinger etwa bepflanzt aktuell rund 40 Hektar in Kent mit Trauben für die Schaumweine der Domaine Evremond. Die gibt es dann aber erst im Jahr 2025 oder so.
Denn geologisch trennt die französische Schaumwein-Hochburg und den britischen Süden mit seinen Kreidefelsen nicht viel. Doch die Klimaerwärmung wird auch weiterhin in England kühlere Lesen ermöglichen. „The proof of the pudding is in the eating“, meinen die Briten ja gerne – und tatsächlich haben die Insulaner den spekulierenden Franzosen etwas voraus: Sie trinken bereits Sparkling Wine made in England. Wer etwa bei Starkoch Heston Blumenthal im Dinner, seinem Restaurant mit Hyde Park-Blick, einkehrt, erhält zum Start ein Glas Nyetimber. Fortnum & Mason, die alten Delikatessenhändler führen ihn ebenso. Und mittlerweile riskiert man es nach Japan und Dänemark auch in Österreich, dem Gast einen britischen Sekt zu erklären. Erich Wagner importiert die drei Abfüllungen der britischen Weinbaupioniere.
Die Trauben von Nyetimber wachsen in West Chiltington, etwa auf halbem Weg zwischen Brighton und Portsmouth. 170 Hektar hat man in Sussex ausgepflanzt, seit man 1998 mit dem Weinbau auf dem historischen Gut startete, das König Heinrichs VIII Thomas Cromwell schenkte. Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay hat man sich in der Champagne als Sorten abgeschaut, 2006 übernahm der niederländische Investor und Weinliebhaber Eric Heerema das Weingut und setzte es sich in den Kopf, seine neue Wahlheimat Großbritannien als Schaumwein-Land international zu etablieren. Er holte die kanadische Önologin Cherie Spriggs (am Foto rechts) an Bord, die als Chefönologin an der Qualität von Nyetimber feilt.
Weinig mit Spuren von Brioche: die 2010er Classic Cuvée
Neben einem Rosé dem Chardonnay-Sekt Blanc de Blancs füllt sie auch die Classic Cuvée, die auch bei uns ins Kostglas kam. Frische prägt den Sussex-Schaumwein vom ersten Schnuppern an. Geht’s auch analytischer? Of course! Limetten-Schale, gelber Apfel und eine zarte Hefenote, über die wir noch diskutieren werden. Die feine Perlage im ersten Schluck legt sich nach kurzem als cremiger Film über den Gaumen…. keine Frage, Druck und aromatische Kraft hat der Engländer! Sie lässt sich zunächst als Zitroneneis, also kühle und zitrische Aromen vereint, beschreiben, auch säurige Ananas könnte man sagen. Bemerkenswert, ehe wir weiter schreiben, ist, dass der Wein fasst allen schmeckt, die sich einen Nipper von der Kuriosität gönnen wollen. Frische, Druck und belebende Art sind einmal da, so findet jeder, der keine zuckrigen Sprudler braucht, seinen Zugang.
Lediglich eine Diskussion, ob nicht zu wenig Hefenoten für ein „Champagner-Rezept“ (außerhalb der Champagne darf bekanntlich nichts als Champagner am Label bezeichnet werden) zu finden sind, entflammt an der Theke. Dabei entwickelt sich die in der Nase noch dezente Brioche-Note am Gaumen recht deutlich. Wenn man dem Nyetimber etwas Zeit lässt. Denn die Balance, abgerundet von leichtem Gerbstoff im Abgang, der gleich Lust auf einen weiteren Schluck macht, bleibt lange erhalten. Auch wenn sich die Kohlensäure schon allmählich entbunden hat.
Nach einer guten Stunde, in der wir die Frage „Brioche or not Brioche?“ trinkend erörtern, zeigt sich der Rest im Glas immer noch schön weinig. Die verbliebene Aroma-Kombination aus gelber Apfel, Zitronenschale und (dezenter, aber doch:) Marille erinnert entfernt an Grünen Veltliner. Das werden die Engländer nicht aussprechen können – ausstehen als Vergleich ihres Prestige-Produkts vermutlich noch weniger – dem Absatz des Exoten in Austria mag es aber helfen. Und weinige „Champagner“, auch wenn sie nicht so heißen, sind den Kennern immer noch die liebsten.
Bezugsquelle:
Nyetimber, Classic Cuvée 2010 ist um EUR 49,- (0,7 Liter-Flasche) bei Wagners Weinshop erhältlich, www.wagners-weinshop.com