Ja, sicher, man kann viele Vorurteile gegen die Oberliga des Bordelais haben. Dass sie oft von jenen kommen, die diese Weine nicht kennen und sich auch Prinzip kein „Château“ leisten wollen, macht es nicht besser. Aber in einem kann man von den Vertretern der Kracher Fine Wine-Verkostung lernen. Denn die Jahrgangsunterschiede wurden klar herausgearbeitet. Nicht immer ging das zugunsten eines perfekten Rotweins aus, wie etwa der Jahrgang 2011 bei Rauzan-Ségla zeigte. „Es war ein schwieriger Jahrgang“, räumte Jean-Basile Roland ein. Durch die Konzentration des Weins erhöhte man auch den Gerbstoff – es war ein „bretterharter“ Bordeaux, der noch viele Jahre Flaschenreife benötigt.
Er wirkte deutlich jugendlicher als der daneben eingeschenkte Jahrgang 2014. Dieser Rauzan-Ségla verbindet den Duft hartschaliger, roter Früchte wie Preiselbeere und Berberitze mit einem feinen Rauchton. Der hohe Anteil neuen Holzes unter den verwendeten Fässern trägt bei dem grand cru aus Margaux dazu sicher sein Quäntchen bei. Doch am Gaumen zeigt sich dieser Wein bereits recht zugänglich, das fruchtsüß wirkt die Kirsch-Note zu Beginn im Mund. Herb und reif, wandelt sich der Weichsel-Touch in eine würzige Note, die den Hall bestreitet. Die Balance dieses Weins ist auffällig, vielleicht schon zu früh einsetzend sogar für manchen „Wein-Wegleger“ – aber der 2014er war seiner der trinkfreudigsten Weine der ganzen Probe.
Wie schon im ersten Teil der Trinkprotokolle aus der Rahimi-Beletage angedeutet, zeigte sich auch hier, wie sehr man die Jahrgänge unterschiedlich belässt. Etwa beim 2015er des Château Montrose, der deutlich offener wirkte als der nur ein Jahr jüngere 2014er. Reife dunkle Beeren (Maulbeere und Heidelbeere), denen man ein herbes Lorbeerblatt aufgesteckt hatte, wirkten fast schon zu intensiv. Dagegen konnte der wunderbare Jahrgang 2014 mit einer Oliven-Weichsel-Mischung schon im Duft herb-säurig prunken. Das entsprechend verheißene Trinkvergnügen stellte sich mi einem nachdrücklichen Eindruck von Carob, Kirsche und Zwetschke. Da ist bereits alles da, es muss sich nur noch sortieren. Wenn die Bitterschokoladen-Töne des Gerbstoff zu schmelzen anfangen, wird dieser Wein viel Freude machen. Aktuell ist er „am Arbeiten“.
Die modernste Handschrift trug sicher der 2015er von Les Carmes Haut Brion. Ein Wein, der auch zum Kellergebäude von Stardesigner Philippe Starck in Pessac Léognan passt. „Seit 2012 arbeiten wir mit Ganztrauben“, verriet Kellermeister Guillaume Ponthier, der beim Jahrgang 2015 die Hälfte des Leseguts mit den Stängeln einmaischte. Vergoren wurde interzellulär unter der Stickstoffhaube und der Unterschied zu 2011 – dem zweiten gezeigten Wein – war deutlich. Statt Leder und roter, pfeffrig unterlegten Duftnoten waren es hier grüner Pfeffer und Efeu, die den nicht entrappten Anteil in der Nase zeigten. Getrocknete Kirschen deckten den Frucht-Teil des Bordeaux‘ ab.
Seidig hingegen fällt das Mundgefühl aus; Blutorangen und überhaupt frische Zesten sind der erste Eindruck dieses äußerst zugänglichen Weins. Fast exotisch wird diese Frucht nach einiger Zeit im Glas – dann denkt man an Guaven und Papaya. Doch die zweite, die würzige Seite, hat hier auch noch ein Wörtchen zu sagen. Getrocknete Tomate und ein gerade noch zu spürendes, sehr weiches Tannin machen diesen 2015er zu einem bemerkenswerten Rotwein. Der Les Carmes Haut Brion war vielleicht der einzige Wein in dieser Jugend, der sowohl bereits zugänglich, als auch mit klarem Potential versehen war. Hier muss man definitiv nicht warten. Was auch nicht mehr der Zugang jüngerer Weinfreunde ist, die keine Geduld für 15 Jahre „Kellerpflege“ haben.
Bereits wunderbar antrinkbar war auch der 2011er Château Pontet Canet. Er wurde von der Tochter des Eigentümers – auch hier ist es zum Glück noch die Familie selbst – Justine Tesseron (links zu sehen) präsentiert. Großes verspricht auch der 2016er mit seiner floral-zartbitteren Momentaufnahme aus Veilchen, Schokokuchen und Hibiskus. Die pikante Frische des Jahrgangs 2011 erreicht er nicht. Sie wird technisch von 4% Cabernet Franc und 2% Petit Verdot als „Weingewürz“ gebildet. 62% Cabernet Sauvignon als Basis liefern den Grundstock für einen Duft nach Sumach, feuchtem Herbstlaub und säurigen roten Früchten.
Herbe Früchte wie Berberitzen und eine feine Säure geben eine straffe Kontur, der Gerbstoff hingegen ist soft und bewegt sich in engen Grenzen. Beides sorgt für Trinkfluss, dem der ausgeklügelte Blend final noch eine lang nachfedernde Pikanz verleiht; wie rosa Pfefferbeeren oder – noch präziser – Chiliflocken (pul biber) bremselt der 2011er lange nach. Die oft bekrittelte Schwere und Unzugänglichkeit, um wieder ein Vorurteil zu zitieren, hat hier offenbar Hausverbot. Für uns einer der drei absoluten Lieblinge der gesamten Verkostung!
Ebenfalls mit einer herrlichen Differenz wartete das Duo aus Château Canon auf. Es war beinahe die gleiche Abfolge wie bei Pontet Canet. Nur, dass zum 2016er aus Saint-Émilion ein Jahrgang 2010 eingeschenkt wurde. Es war der älteste Bordeaux der Verkostung und einer der feinsten. Vorausgesetzt, man mag elegante Röstaromen. Denn wie eine Haselnuss-Schnitte roch es aus dem Glas, Feigen in getrockneter Form und Kaffeesatz ließen kaum Platz für fruchtige Düfte. Die Würze geht auch am Gaumen in Vorlage, doch sie wird im Trinkverlauf immer feiner bis in ein ätherisches Finale. Hier findet sich aber auch Kirschen und Cranberries, die in der eleganten Verzahnung mit abgeschliffenem Gerbstoff und der Pikanz der beiden Cabernets agieren. Der wunderbar elegante Eindruck vom Château Canon 2010 kann getrost als erstes Plateau dieses Weins angesprochen werden. Oder, um auf den Eigentümer Chanel anzuspielen: Äußerst kleidsam, diese Würzigkeit.
Bezugsquelle:
Château Rauzan-Ségla kostet EUR 92,90, der Château Montrose 2014 EUR 139,-, der Les Carmes Haut Brion 2015 ist um EUR 175 erhältlich und Château Pontet Canet 2011 um EUR 124,99. Der Château Canon 2010 wiederum ist um EUR 169,-/Flasche zu haben, wie alle Weine bei Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com