Es wurde ein Abend voller Erinnerungen. 40 Jahre ist es her, dass der viel zu früh verstorbene Winzer Gianni Masciarelli sich daran machte, mit seinem Weingut die wenig bekannte Region Abruzzen und deren Montepulcianos auf die globale Genusslandkarte zu setzen. Was mit mageren 9.000 Flaschen und 2,5 Hektar Grund begann, weitete sich zu seinen Lebzeiten sukzessive aus. Die Tatkraft seiner Witwe Marina Cvetic, einer gebürtigen Kroatin, führte das Erbe ab 2008 weiter. 2,3 Millionen Flaschen Wein von 60 Parzellen zwischen Chieti und L’Aquila sind rein quantitativ der Beleg, dass die Vision Masciarellis verwirklicht wurde. Und der Osteria-Chef an meiner Seite kaufte noch bei Gianni (†2008) persönlich. Ja, er sperrte sich sogar einmal versehentlich in dessen Weinkeller ein („der Lift fuhr nicht mehr hinauf“).
Wo die Abruzzen an Burgund grenzen: Trebbiano 2018
Die persönlichen Reminiszenzen kreisen auch um die Weißweine – beide hielten wir den Trebbiano für besser als den ebenfalls großen Chardonnay – des Hauses, aber auch den Jahrgang 1998 von „Villa Gemma“: Der trug die begehrten drei roten Gläser („Tre Bicchieri“) im Weinführer Gambero Rosso und ist leider auch in der Osteria auf eine letzte Flasche geschrumpft. Die werden wir ein anderes Mal leeren, beschließen wir mit großen Augen. Denn die haben sich geweitet, als am ersten Glas des aktuellen „Trebbiano Riserva“ geschnuppert wurde. Der Weißwein aus den Abruzzen wird bereits in Holz vergoren, reift ein gutes Jahr in neuen Barrique-Fässern und bekommt auch noch ein Jahr Flaschenreife mit. Das allein ist einfach technisches Hintergrund-Wissen, ein Papiertiger.
Doch die Kraft der Aromen zeigt sich bereits im Duft, der einen ähnlich gelungenen Holzeinsatz beim Weißwein verrät wie manch burgundischer Chardonnay. Das Holz ist merklich bei diesem Mitglied der „Marina Cvetic“-Weinlinie (eines von fünf Labels der Tenute Agricole Masciarelli). Zugleich ist es aber bereits in dieser Jugend des Weins in die zweite Reihe verbannt: Kleehonig, Früchteplunder mit Vanillecreme, etwas Mango und Birne Helene legen stattdessen vor und zeigen die Vielschichtigkeit dieses 2018ers schon dem Riechorgan an.
Supersaftig am Gaumen, mischt sich einen Schluck später wieder Tropenfrucht mit Vanillecreme und Mandel-Schokolade. Ein zarter Rauch-Ton im Geschmack schwillt an und leitet diese Spannung im Finale aus – da übernehmen dann Gerbstoff und Säure die Stützung des mächtigen Gebälks aus Frucht. Und hat man sich an diese Wucht an Eindrücken erst gewöhnt, fallen die feineren Linien auf. Etwa das zitronig-salzige Rückaroma, das dazu beiträgt, diesen 14% Alk.-Weißwein als ungemein süffig zu empfinden.
Dass es in der bekanntesten und prestigeträchtigsten Linie des Hauses, Villa Gemma, einen Rosé gibt mag anfangs verwundern. Doch mit der französischen, aber auch der leichten österreichischen Gangart hat der 2020er Cerasuolo wenig zu tun. Um einen Spoiler zu setzen: Miriam Lee Masciarelli (am Bild links mit ihrer Mutter Marina) sieht ihn eher als „sommerlichen Rotwein denn als Rosé“.
Die Winzer-Tochter hat damit zweifellos recht. Sieht man diesen Wein erst im Glas, hält man leicht für möglich, dass ihn einige nur der Farbe wegen kaufen würden. Ob das noch Grenadine oder schon Almandine-Rot ist, sei dahingestellt, aber das Rubin-Gefunkel macht ebenso neugierig wie die satten 14% Alkohol am Etikett des Weins. Wie er das macht, diese Kraft weg zu schwindeln, ist ein Mysterium. Denn die Duftnoten nach Erdbeere und Malve, die an das Campino-Zuckerl erinnern, zeigen davon nichts. Cremigkeit, das ja, aber kein alkoholisches Feuer. Nirgends!
Und so setzt der Rosé, der stärker ist als viele Rotweine auch am Gaumen sein Verwirrspiel fort: Ribisln und Blutorangen sorgen für eine kühle Anmutung; wieder täuscht das Leichtigkeit vor. Granatapfel beschreibt am besten die Geschmacksrichtung, denn im Finish ist hier auch einiger Gerbstoff zu merken. Davor ist der Cerasuolo aber sehr saftig, was auch an der Säure liegt, die man aber erst merkt, wenn der Wein aus den Abruzzen ein wenig wärmer geworden ist. Zu kalt serviert, kann dieser recht „rotweinige“ Rosé seine Finessen nicht zeigen. Und dass er nicht zu warm wird, dafür sorgt ohnehin seine trinkanimierende Art.
Blumen-Duft mit Gulasch-Pikanz: Montepulciano 2017
Der herausragende Wein der Kollektion war aber dennoch ein „echter“ Roter. Der Montepulciano d‘Abruzzo, der Gianni Mascarelli so bekannt machte (und umgekehrt!) kommt mit dem „Marina Cvetic“-Etikett aus dem Jahrgang 2017 auf den Tisch. Und es ist ein Wein, der schon in der ersten Nase seine Komplexität offenbart: Blumen-Duft von Geranien und Veilchen paart sich mit deutlich pikanten Zügen, die fast an Gulasch-Saft erinnern in ihrer Paprizität. Als wäre dieser Widerstreit, der das Aroma-Rad in zwei gänzlich verschiedene Richtungen dreht, nicht genug, setzt der 2017er noch einen feinen Mokka-Duft darüber. Bliebe noch die Frucht zu erwähnen, die zwischen Heidelbeere und Brombeere changiert und immer wirkt, als wären ein paar würzige Blätter mitgepflückt worden.
Vom ersten Schluck an wirkt dieser Wein nachdrücklich und legt sich mit cremigem Schmelz auf den Gaumen. Dabei ist er auch frisch und zeigt ordentlich Säure, was nach Widerspruch klingt, hier aber bestens zusammengefügt ist. Überhaupt scheint bei diesem Montepulciano alles der Struktur zu dienen. Frucht muss man hier suchen, will es aber gar nicht. Die Johannesbeere wird nämlich sowohl von viel Würze – es ist wieder der feine Paprikapulver-Ton! – überlagert, als auch von feinstem Gerbstoff begleitet. Der Umgang mit dem neuen Eichenholz erscheint ähnlich meisterlich wie beim Trebbiano. Vielleicht kann man ihn sogar als noch gelungener bezeichnen, da trotz der stützenden Gewürze nach 18 Monaten Barrique immer dieser kühle Charakter durchschimmert.
Dass dieser Jahrgang in Italien als extrem heiß und wenig gut gilt, lässt sich kaum nachvollziehen. Der Frost im Frühjahr brachte aber in den erhöhten Lagen von San Martino sulla Marrucina offenbar eine Art natürliche Ausdünnung, die diesen Montepulciano d’Abruzzo jetzt schon zu einem herrlichen Wein macht. Lagerfähig ist er natürlich auch, aber was rät Martina Cvetic selbst? „Zum Filet Steak mit schwarzen Trüffeln oder gegrilltem Fleisch“. Das klingt doch nach einem wunderbaren Eröffnungswein für die heurige Grillsaison. Grazie, Gianni e Marina!
Bezugsquelle:
Tenute Masciarelli, Trebbiano Riserva „Marina Cvetic“ 2018 kostet EUR 23,90 bei Lobenbergs Gute Weine, www.gute-weine.de
Cerasuolo d’Abruzzo Superiore „Villa Gemma“ 2020 gibt es im 6er-Pack mit drei Flaschen der weißen Cuvée „Bianco“ im Webshop des Weinguts, https://store.masciarelli.it/; der Jahrgang 2019 des Rosés ist um EUR 9,95/Flasche noch bei Pro Idee erhältlich, www.proidee.at
Montepulciano d’Abruzzo Riserva „Marina Cvetic“ 2017 ist um EUR 21,90 bei Mair&Mair zu bestellen, www.mair-mair.com