Die Zufälle. Gibt es sie? Regieren sie uns? Wer zieht die Fäden? Man kann beim Wein schnell philosophisch werden. Doch in diesem Fall sind die Umstände recht banal, schienen aber wie zwei Bande eine Spur zu begrenzen, die auf einen Wein hinführte. Denn eigentlich war es eine Veltliner-Kostwoche gewesen. Und was soll man sagen, nach 25 Proben hat man dann eine stilistische Bandbreite am Gaumen, die sich in Variationen wiederholt. Das spricht nicht gegen die Paradesorte, das wäre auch so, wenn man „überkostet“ von Riesling oder Sauvignon Blanc wäre. Doch schon der erste Schluck von diesem Weißwein war anders. Damit ist mal der erste Cliffhanger hingeschrieben (vielleicht brauchen’s bei Netflix ja noch Showrunner für eine Fingernägel-zerkauende Winzer-Serie?).
Zudem stand Saibling mit Beurre blanc und Zitrus-Risotto am Speiseplan und das ist nicht die leichteste Weinbegleit-Übung. Doch auch da machte der Wein des Abends gute Figur. Was umso heiterer stimmte beim Trinken, weil er aus einer absoluten Nicht-Weißwein-Gegend stammt. Das Blaufränkisch-Land heißt schließlich nicht von ungefähr so. Auch wenn das dominante Rotwein-Keltern im Mittelburgenland relativ jungen Datums für ein 100 Jahre altes Bundesland ist. Wer noch einen alten Rudolf Steurer besitzt (=geniales Weinbuch der frühen 1990er Jahre), kann dort nachlesen, wie verbreitet weiße Rebsorten wie Veltliner oder Weißburgunder in Neckenmarkt noch vor 35 Jahren waren. In jenem Weinort mit teils überraschend hoch gelegenen Weingärten ist auch die Familie Wellanschitz beheimatet. Und Stefan David als Sohn des Hauses hat sich mit der Geschichte des Weinbaus in der Gegend genauestens befasst.
So sehr, dass er das letzte Erbe an weißen Weingärten erhalten wollte: Teils in der Cuvée „Querschnitt“, um die Mikromengen überhaupt kommerziell nutzen zu können, teils reinsortig. So hält es der Winzer auch beim jüngsten Zugang im Portfolio, dem Furmint. Der gerade generell eine kleine Renaissance in seiner alten Heimat erlebt, nachdem er von der Haupt-Rebsorte im damaligen K.u.k. West-Ungarn auf acht Hektar landesweit dezimiert worden war. Doch das ist eine andere Geschichte. Stefan David schickte uns seinen Welschriesling. Und die Sorte ist – dritter Zufall! – ohnehin ein sentimentaler Favorit im Trinkprotokoll-Kammerl. Dass dieser Wein noch unter dem schwarz-weißen Label Kolfok vermarktet wird, gefällt zusätzlich. Denn der „Kolfok“ ist in Neckenmarkt-Horitschon das, was in der Buckligen Welt ein „Beanka“ ist. Was ist gegen derlei vokalreiche Lautmalerei schon ein hochsprachlicher „Querkopf“?
Für den 2018er, der ins Glas kommt, passt diese Bezeichnung, denn er ist nie ganz zu verstehen. Anfangs ist es die Säure und Frische, die wirkt wie ausgefahrene Krallen, die einen vorsorglich auf Distanz halten sollen. Dann aber rollt sich diese angriffslustige Wildkatze zusammen und lässt sich die Sonne behaglich auf den Bauch scheinen. Fad wird einem mit diesem Kolfok nicht. Denn schon die Nase dekliniert eine ganze Palette von herb-kühlen Noten durch. Schwerlich käme man auf die Sorte, denn der Apfel-Ton des Welschriesling ist einer unter vielen. Kräftiger aber sind Quitte, getrocknete Kamille, etwas Wermutkraut und Bergamotte ausgeprägt. Das ist schon mal etwas anderes als die „Gelber Apfel-Zitus-leichte Tropenfrucht“-Mischung unserer Veltliner-Woche.
Zumal es auch am Gaumen mit einer straffen Säure weitergeht, die wirkt, als hätte man einem Riesling vom Schiefer das Rückgrat entnommen, die Marille aber in der offenen Wunde belassen. In der Tat ist der Schiefer der Lage Burgstall, hart an der ungarischen Grenze, ein Geheimnis der Reife und der ungewöhnlichen Aromatik. Interessanter Weise wirkt der Welschriesling dazwischen fast breit im Sinne von mundfüllend (nicht von „spannungslos“ oder „fad“!). Wäre er eine Frucht, könnte man den Kolfok „mehlig“ nennen. Was ein wenig mit der Mischung zusammenhängt, die dem Wein auch den Beinamen – Nolens volens – eintrug. Denn durch die frühe Ernte gab es noch nicht alle Gerätschaften, das G’schirr des Winzers. Die erste Charge konnte daher nicht gerebelt/entrappt/entbeert werden. Sie wanderte zur Vergärung mitsamt den Stielen in ein Holzfass. Dieser Teil wurde dann abgepresst und erst im Frühjahr 2019 mit dem regulär aus Ganztrauben gewonnen Löwenanteil vermählt. „Wein, der geworden ist und nicht gemacht“, nennt das Stefan David.
Und es mag dieser doppelte, nicht planbare Weg (wieder Zufall?) gewesen sein, der den Wein so lebendig macht. Eine wahnsinnige Spannung prägt diesen „Welsch“, den man so kaum kennt. Und da reden wir nicht vom Mittelburgenland, sondern vom gesamten Bundesgebiet. Denn die Rechnitzer Variante, an sich auch ganz vorne beim Image-Zertrümmern von der „leichten, belanglosen“ Sorte, schmeckt doch ganz anders. Dazu kommt der mit 12% angenehm niedrige Alkohol, der aber keineswegs ein Leichtgewicht ausmacht. Im Gegenteil, der Stängelanteil und die Maischegärung geben dem unfiltrierten, aber nicht trüben Weißwein ordentlich Aromen-Power.
Vor allem der Gerbstoff am Ende wirkt sich wie der Hopfen eines guten (!) IPA aus: Er hängt nicht als Bitter-Ton nach, sondern entfaltet sich nochmals in fruchtige Verästelungen. Im Falle des 2018er Kolfok ist das vor allem eine Variation von Zitrusfrüchten, vor allem Bergamotte, Pomelo und Kumquat. Dass ein Wein mit so feinen Agrumen ideal zum Fisch war, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Nicht ganz leicht zu bekommen ist dieser Querkopf von einem Wein (aber sonst wär er wohl auch kein Kolfok, sondern ein Flitscherl). Aber jeden Euro wert. Und die gute Nachricht: Es gibt auch noch Magnums. Falls mal etwas Größeres zu begießen sein sollte als unser zarter Saibling aus Puchberg.
Bezugsquelle:
Kolfok, Welschriesling „Nolens volens“ 2018 ist um EUR 22,50 bei Wein am Limit erhältlich, https://shop.weinamlimit.de