Jetzt ist er also da! Das neue Jahr begann mit einem Wein, über dessen Winzer der letzte Eintrag bei uns den Titel trug: „Bevor Kästenbaum kommt“. Was so heißt wie Kastanienbäume, ist eine imposante Riede, die man am eindrucksvollsten vom Parkplatz oberhalb von Gumpoldskirchen in Augenschein nehmen kann. 450 Meter sind für die Verhältnisse des Steinfelds schon ein ziemlicher Mugel. Dazu kommt aber die spezielle Bodenbeschaffenheit des Weingartens am Anninger. Die kalkhaltigen Böden weisen unter der Braunerde nämlich auch einen hohen Eisenanteil auf. Diese Formation macht die Lage für Burgunder-Sorten spannend. Das zeigte bereits das französische Edel-Klon-Material von Pinot Noir – der rote „Kästenbaum“ gehört taxfrei seit seinem Erscheinen in die absolute A-Liga der heimischen Blauburgunder. Auf den weißen „Kästenbaum“ galt es – siehe oben! – aber zu warten. Der erste Jahrgang wurde 2018 geerntet, aber die Reinischs ließen ihrem neuen Premium-Wein neben der Reife in gebrauchten, kleinen Holzfässern für 10 Monate auch noch Flaschenreife angedeihen.
Für Christian Reinisch, einen der drei Brüder am Johanneshof, ist er schließlich auch „eine vinophile Genussanlage“. Das schadet es nicht mitzubedenken, denn es relativiert auch den Preis. Bevor jetzt gleich wieder wer schreit „da krieg ich sechs Flaschen Weißwein drum“. Erstens: Ja, zum Beispiel auch bei Hannes, Christian und Michael Reinisch. Zum zweiten aber spielt diese Abfüllung vom Johanneshof in einer Liga, die über Österreich hinausreicht. Und drittens ist es ein Wein für die lange Strecke. Auch das sollte man verstehen, um ihn nicht mit „easy drinking“-Veltliner zu messen. Vielleicht eher mit einem „Vielles vignes“ aus dem Mâconnais. Oder anderen Chardonnays aus ihrer Heimat Burgund. Vielleicht auch mit klassischeren Abfüllungen aus dem Kalifornischen. Aber mit nur vier Fässern fällt dieser Weißwein beim 40 Hektar großen Weingut quantitativ ohnehin nicht ins Gewicht. Keiner muss also kaufen. Aber wer kann, der sollte.
Das ergab das erste Beschnuppern des „Ried Kästenbaum“ Chardonnay 2018, nebenbei einem biologisch zertifizierten Wein. Der von Thermenregion-Weinfans erwartete Erstling bringt schon als Ouverture ein burgundisches „Stinkerl“ mit, das ein wenig an Schießpulver, mehr noch an Sesam-Knäckebrot erinnert. Der Rauch übernimmt aber schnell die Regie und lässt vorerst wenig Raum für Frucht-Düfte. Allenfalls Apfel-Schlankerln bzw. -Schalen werden ausgemacht. Mit Mühe kommt auch die Duftspur des gold-farbenen HARIBO-Bärchens (das, das nach Ananas schmeckt) durch. Parallel frischt aber auch der salzige Anteil auf; er wird bisweilen von Karamell (eher die nicht süße Ausführung) begleitet. Selchfleisch blitz kurz auf, dann wieder eher die marokkanische Salzzitrone. Sicher ist nur, dass sich hier viel in der Nase abspielt. Wohlgemerkt bei einem gerade frisch geöffneten 2018er. Und: Kitsch-freier Chardonnay, auch das ist hier im Geruch bereits ausgemacht!
Das Suchspiel in Sachen Frucht geht für die, die das unbedingt brauchen bei einem Chardonnay, am Gaumen weiter. Viel Druck und herbale Noten schickt der „Kästenbaum“ als Vorhut. Kräftig ist er mit 14% ja auch. Aber weder überholzt, noch alkoholisch. Mundfüllend und strukturiert, lassen sich durchaus einzelne Geschmacksnoten festhalten: Kurkuma zuerst, dann die Vanille der zart getoasteten, aber doch im Hintergrund merklichen Fässer. Allenfalls die Quitte lässt sich in der Rubrik „fruit assessment“ ankreuzen, wie das die Masters of Wine (MW) so gerne in ihren strukturierten Weinbeschreibungen tun. Doch wie man weiß, wenn man das eine oder andere Trinkprotokoll verfasst hat: „Quitte“ ist meist eine rhetorische Sammelbox, die alles umfasst, was nicht strahlendes, fruchtsüßes Obst ist. In diesem Fall bringt die leichte Säure, die nicht leicht zu entdecken ist, aber auch Maracuja – mehr Kern als passiertes Fruchtfleisch – mit.
Dieser Kombination kann man in der Tat lange frönen. Herbe Frucht, schöner Schmelz, der dank salzig-jodiger Bodentöne auch genug Würze mitbringt, und feinster Rauch verweben sich zum Ganzen. Dieses komplexe Gespinst weigert sich übrigens auch in den Folgetagen voneinander zu lassen – der „Kästenbaum“ 2018 schmeckt auch aus der zunehmend leereren Flasche immer noch nach seiner Herkunft. „Letschert“ wird hier gar nichts. Was nur eine Frage aufwirft: Wie wird sich dieser herrliche Wein in den nächsten Jahren entwickeln? Leicht umsetzbar daher der Neujahrsvorsatz 2021: Den kosten wir wieder!
Bezugsquelle:
Johanneshof Reinisch, Chardonnay „Ried Kästenbaum“ 2018 ist um EUR 70 ab Hof bzw. im Webshop erhältlich, www.j-r.at