Mitunter will man auch provozieren. Winzern sagen wir dann gerne: „Wein erzählt zu wenig spannende Geschichten“. Dendrologische Feinheiten im Eichenfass-Ausbau oder epische Auslassungen, was man mit den Bio-Trauben alles nicht macht, bringen noch keine neue Klientel. Und die braucht jedes alkoholische Getränk aktuell, da der Zeitgeist eher sportlich-asketische Typen mag. Warum die ihre digitalen Weltfluchtgeräte besser zu bedienen vermögen, erschließt sich uns nicht. Ist aber auch egal, denn es gibt eine gute (!) neue (!!) Weingeschichte, die mit dem schönen Satz beginnt: „Meine Frau hätte mich gerne psychiatrieren lassen“.
Es war die Reaktion auf den Entschluss von Jost Höpler, mit gerade 80 Jahren Weinbauer zu werden. Und das lange, nachdem er den Betrieb im burgenländischen Breitenbrunn an Sohn Christof übergeben hatte, der einen der Export-stärksten heimischen Erzeuger daraus formte. „Jungwinzer“ Jost allerdings ging in einem anderen Bundesland zu Werke. In einem Weingarten am Kronjuwel des Wiener Weinbaus: am Nussberg. Genauer gesagt, in der „Unteren Schoß“, wo sich der Weingarten des Großvaters befindet. Mit gerade einmal vier „Zeilen“ hat der lange verpachtete Rebgarten aber eine feine Historie.
Denn Hugo Meinl, der dieses Filet-Stück erworben hatte, war nicht nur einer der größten Steuerzahler der K.u.k. Monarchie, sondern auch ein ungewöhnlicher Unternehmer. Als Ausgleich vom Tagwerk – der industriellen Textil-Erzeugung – pflegte er einen Gemüsegarten auf der Hohen Warte und eben den Weinbau am Nussberg. Vinifiziert wurde standesgemäß im Keller der Villa des Opas, die von den Hofopern-Architekten Van der Nüll und Sicardsburg geplant worden war.
Viel wichtiger aber war, dass Hugo Meinl seinen Wein auch als Marke schützen ließ. 1932 bereits wurde der „WiraWåxt“ eingetragen und firmiert daher als drittälteste Weinmarke Österreichs. Auch wenn es bis 2019 dauerte, bis ein „Alter, der es nicht lassen kann“ (so Jost Höplers Eigendefinition), die Marke ebenso wie den Weingarten wieder in Stand setzte. Der 82-Jährige ist das, was man in Wien als „Sir“ bezeichnet und er will sich bei seinem Hobby „als Pensionist leisten, jeder einzelnen Pflanze das zu bieten, was sie braucht“.
Die Jungfernlese wanderte nicht mehr in eine Villa, sondern in den Keller von Christof Höpler, der diesen Wiener Gemischten Satz vinifiziert. Auch wenn der nicht so heißen darf – der Verzicht auf den Phantasienamen „WiraWåxt“ wäre der Preis dafür. Doch ein DAC-Label will Höpler ohnehin nicht zwingend für seine Mini-Produktion, für die jeden Herbst 27 Verwandte und Freunde zur Ernte anrücken. Denn mittlerweile gibt es den zweiten Jahrgang des 82-jährigen Jungwinzers vom Nussberg.
Der Rebsorten-Mix ist hier ungewöhnlich, denn er besteht im Wesentlichen aus Sauvignon Blanc, Pinot Blanc und Welschriesling. Und Jost Höpler sucht beim Verkosten auch die frischen Töne des Sauvignon, der in Wien selten ist, und in der kühlen Vergärung auch seine Frische behält. Tatsächlich zeigt der 2020er auch kühlschrank-kalt schon eine schöne Kräuterwürze, die wie ein bouquet garni duftet; Frankfurter denken vermutlich auch an ihre Grüne Soß‘ bzw. die Kräuter dafür.
Man merkt den alten Stöcken aber an, dass sie alle ihr Recht im „WiraWåxt“ einfordern. Der kreidig-kalkige Duft, der kurz die Kräuter übertönt, ist offenbar ein Erbteil des Weißburgunders, von ihm stammt auch eine schöne, helle Nuss-Note. Und der Welsch? Er bringt die fruchtigen Anklänge, vor allem einen frischen Gelben Apfel ein.
Stroh-hell im Glas, zeigt der Nussberger Mischsatz, der nicht so heißen will, viel Struktur – die Säure ist frisch und vor allem anhaltend. Das ist nicht bei allen „jungen“ Wienern so, in diesem Fall aber kommt zu den Erwähnten Kräutern auch ein Touch von Grapefruit-Zeste, etwas Grüner Pfeffer ist ebenfalls präsent am Gaumen. „Knackig frisch“ wäre wohl das beste Attribut für Höplers Wein; denn auch Grüner Apfel gesellt sich zu den Eindrücken. Ein ganz leichter Gerbstoff der Marke Limetten-Schale rundet das Potpourri ab.
Wer als Wein zu Gebackenem früher gerne zu „reschen“ Südsteirern griff, als das noch leistbar war, wird hier seine Freude haben. Historiker und Nostalgiker des „Alten Wien“ sowieso. „Ich war beim Arzt“, lacht dazu Jost Höpler, „und von seiner Seite spricht nichts dagegen, dass ich noch weitere Jahrgänge „WiraWåxt“ ernte“. Wir wünschen es ihm: Ad multa vina!
Bezugsquelle:
Jost Höpler, „WiraWåxt“ 2020 ist um EUR 8,- (0,75 Liter-Flasche) über das Weingut Höpler erhältlich, www.hoepler.at