Der Gin wird nie fad. Aber es darf durchaus Abwechslung sein im Longdrink-Glas. Und genau der hat sich das junge Brenn-Unternehmen Nordcraft in Altona verschrieben. Mario Gallone steht als Destillateur an den kleinen Brennblasen, die Waterkant-Namen wie „Michel“ tragen. Der Zugang ist dem eines London Dry-Gins ähnlich, das heißt, jegliches Aroma stammt aus der gemeinsamen Destillation der Kräuter, Blüten und Wurzeln (auch „botanicals“ genannt).
Nur, dass man eben nicht auf Wacholder (Gin) oder Kümmel (Aquavit) als aromatische Mitte des nordisch-klaren Destillats setzt. Sondern sich jeweils an andere botanische Kombinationen wagt. In beiden vorliegenden Produkten handelt es sich um ein Duett aus der Natur. Letzteres darf man bei der Rohstoff-Beschaffung so sagen: Die Gärtnerei Sannmann ist nach Demeter zertifiziert und steuert etwa die Dille und Petersilie zum Erstling aus der Holstenstraßen-Brennerei bei. Dazu kommt als markanteste Zutat aber die Gurken sowie 20 weitere Ingredienzen. „Dry Botanical Spirits“ nennen Rainer Hosie (kl. Bild links) als Vertriebsfachmann und Brenner Gallone diese Abfüllungen.
Dank eines Etiketts wie aus dem Pflanzenbestimmungsbuch ist auch klar, was man hier gefüllt aromatisch vor sich hat: Dille und Gurke. Oder, auf Start up-Englisch: „Dill & Cucumber“. Und richtig, würzig wie ein Senf-Relish kommt der Duft aus dem Glas. Sofort erinnert der „Dry Botanical Spirit“ an Dillgurken (wie aus einem „Chicago-Style Hot Dog, falls es wer kennt). Das feine Mundgefühl lässt jede Schärfe vermissen, dafür zeigt der 43%ige Brand ordentlich „grüne“ Kraft: Balanciert verbinden sich Gurke und Kräuter, im pfeffrig-langen Abgang kommt neben dezentem Gerbstoff auch noch etwas Braune Senfsaat durch. Wer die dänische Aquavit-Tradition auf Dill-Basis kennt, findet hier eine vergleichsweise weniger eindimensionale und auch weit weniger „schnapsige“ Alternative. Als pures Begleitungsstamperl schreit derlei förmlich nach rohem oder lediglich gedämpftem Lachs.
Im Longdrink für die Terrassen-Saison geht neben Tonic Water vor allem ein biochemischer „Verwandter“ der Dille besten: Zitronen haben ebenfalls Karvone aufzuweisen. Doch auch ohne derlei Spezialwissen rockt ein mit Lemonade verlängerter „Nordcraft“ ziemlich.
Spannend ist dann die „rote“ Etikette, die Nordcrafts „grünen“ Brand ergänzt. Hier hat man es Deutsch belassen am Label, schließlich klingt die Alliteration „Beere & Bete“ weit besser als „Berry & Beetroot“. Ja, hier kommt in der Tat die Rote Rübe in die Brennblase – und das mit Himbeeren (nebst anderen Botanicals zur Abrundung). Allerdings wird hier ein „Geist“ aus den Zutaten erstellt, was technisch eine andere Herstellung als bei den Kräutern des „Dill & Cucumber“ bedeutet.
Gemüse und Früchte zu einer Schnapscuvée zu verbinden, stellt eine Spezialdisziplin dar. Wir haben z. B. über die gebrannte Kombi von Marille und Paprika hier schon einmal geschrieben. Bete und Beere haben zumindest farblich mehr gemein, aber sie ergänzen sich auch gut. Erdig, aber nicht dumpf, sondern nahezu strahlend riecht es nach Roter Rübe, die Beeren heben schon einmal die Duftnoten auf ein anderes Level. Die erste Assoziation – Rote Rüben-Salat – mag ein wenig irritieren aus dem Trinkglas, doch es schwingt kein Kümmel mit, viel mehr Himbeere und eine leichte Nussigkeit, die in ihrem Zusammenspiel mit Beerensüße ein wenig an Sesam-Soja-„Lack“ vom Nobel-Asiaten anstreift. Sanft und wieder mit einem „rübigen“ Druck legt sich dieser „Botanical Spirit“ auf den Gaumen. Die kühlen Himbeeer-Noten lassen sich ein wenig bitten, ihnen gehört dann aber die zweite Hälfte des Kostschlucks. Gemeinsam mit Melisse, Orangenminze und einem Schwung Weißem Pfeffer heben sich im Finish nochmals alle Nuancen dieses unkonventionellen Destillats.
Auch hier geht natürlich ein „Beere-Bete-Tonic“ im Highballglas, gerne auch ergänzt um Kräuter wie Minze. Wer einen „Sour“ schätzt, hat hier eine trocken-sommerliche Version an der Heimbar. Zart dosiert, also eher wie ein Barbitter verwendet, peppt der zweite Nordcraft aber auch Blanco Tequila, Mezcal und vor allem Bourbon-Drinks überraschend auf. Und sollte jemand eine „Bloody Mary“ mögen. Da ist die zweite Heimat des „Dry Botanical Spirits“. Neben Altona, versteht sich.
Bezugsquelle:
Nordcraft, Dry Botanical Spirit „Dill & Cucumber“ ist – ebenso wie der „Bete&Beere“ – um EUR 39,95 direkt im Webshop der Destille erhältlich, www.charleshosie-1918.com