„Wir gehören keiner Versicherung und auch nicht den Chinesen“ – nur Bordeaux-Winzer leiten so eine Verkostung ein. Und man muss sagen, mit Recht. Das Saint-Estèphe-Weingut Cos d’Estournel des französischen Unternehmers Michel Reybier gehört zu den nicht mehr so vielen französisch geführten Top-Produzenten des Médoc. Die Weine stellte am Illmitzer Weingut Kracher, einem der heimischen Importeure seiner Grand crus, Reybiers Schwiegersohn Dimitri Augenblick vor. Dank österreichisch-russischer Wurzeln klinge sein Name nicht sehr französisch, beim Kommentieren der Weine klingt er aber wie ein stolzer Winzer, pflegt aber auch eine feine Ironie (wie schon beim Eingangszitat ersichtlich).
So spricht er auch nicht vom Zweit-Wein, als er den Pagodes de Cos einschenkt – „wer verlangt den Zweitwein? Alle fragen nach einem Pagodes – und er ist auch eigenständig“. Der Jahrgang 2012 kann die Dominanz der 60% Cabernet Sauvignon in der Cuvée nicht verleugnen. Die rote Paprika dreht aber im Duft rasch in Richtung herber Früchte wie Schlehe oder Sauerkirsche ab. Im Hintergrund setzt aber auch der Merlot ein paar wohlriechende Tupfen: Milchschokolade und Zwetschkenröster sind hier die gefälligeren Duftnoten. Am Gaumen beginnt der Pagodes mit einem saftig-seidigen Auftakt, wieder ist da viel Schokolade, aber auch Himbeere, die mit einer deutlichen Würze (Wacholder!) garniert ist. Das Finish gehört dann dem Cabernet, der zusammen mit gut eingebundenem Tannin für einen langen, die herb-würzigen Noten aushauchenden Abgang sorgt. Wie ein elegischer Trompeter, der den Ton lange hält, könnte man sagen und sich Chet Baker oder Don Ellis auflegen zum 2012er Pagode des Cos.
Vom Deuxième Grand Cru Classé, wie das Gut in Saint-Estèphe seit der berühmten Bordeaux-Klassifikation von 1855 eingestuft ist, stehen vier Jahrgänge vor uns. Beginnend mit dem ältesten, 2005 geerntet, unterscheiden sich die Blends weniger in ihrer Zusammensetzung, die stets einen rund 78%-igen Cabernet Sauvignon -Anteil mit sich bringt. Dazu kommen, wie ein Gewürz eingesetzt, zwei bis drei Prozent vom Cabernet Franc, entsprechend charakterisiert Dimitri Augenblick „Würzigkeit als die DNA von Cos“.
Beim 2005er kommt vor allem die dunkle Frucht durch, sie erinnert an Holunder-Beeren, frisch zerdrückt, die Gewürze kommen im Duft als zartes Piment und grüner Pfeffer durch. Im Mund zeigt dieser Jahrgang seine erste Trinkphase; sehr saftig und mit einem dunklen Beerenmix (Brombeere vor Holunder) rollt er über den Gaumen. Das Tannin hingegen sorgt für ein lebendiges Rückgrat, das ihn noch in die Zukunft trägt. Ein großer Wein, den man bitte, bitte noch nicht jetzt trinken sollte. „Bis 2025“ mache er sicher viel Trinkfreude, kommentiert auch Augenblick.
Ein simplexer Typ: der 2006er „Schizo“-Cos
Unser Favorit hingegen war der aus einem Jahr mit kühlem Frühling und heißem Juli stammende Cos d’Estournel 2006. Für Bordeaux-Freunde gilt er nicht als ganz Großer, zu fortgeschritten wirkt er, um ihn lange wegzulegen. Ja, seine Randfärbung geht schon leicht ins Braune, doch haben wir es hier mit einem etwas schizophrenen Typ zu tun: Älter für das Auge wirkend, hat der von kräftiger Säure und dem Sortencharakter des Cabernet geprägte 2006er viel Jugend zu bieten. Zwischen all den Noten von Maulbeere, Kakao, Amarettini-Keksen im Geruch sticht eine fast schon als Chili-Schote verkleidete rote Paprikaschote durch. Ähnlich breit ist das Spektrum des Kostschlucks: „Silky“ im Beginn, wird der Wein immer würziger.
Auf einen roten Früchte-Mix, der hell und freundlich wirkt in diesem 13,5% starken Wein, kommen die versprochenen Gewürze. Kampot-Pfeffer, aber auch Majoran notieren wir, das elegante Finish steht (ähnlich wie beim 2005er) im Zeichen jugendlicher Tannine, verwoben mit Kräutern.
Für diesen Charakter seiner Weine hat Dimitri Augenblick ein schönes Wort – simplexity. Der Wein sei zwar einfach zu trinken und schmecke auch nicht Bordeaux-Sammlern (simple), habe aber eine vielschichtige Dimension, wenn man sich darauf einlässt (complex). Große Weine sollten beides haben. Aufs Podest der vermögenden happy few gestellt, zu verrotten, hat eben genau so wenig Sinn wie Banalität. Simplexity aber braucht beides. Das merken wir uns.
Der Jahrgang 2010, jüngster in der Cos-Probe, wird das nämlich auch zeigen. Man kann ihn trotz seiner Jugend als einen zugänglich, saftigen Typ sehen oder allein über dem Duft schon Zeile um Zeile füllen. Dass wir es am Ende mit einem Bordeaux mit 15 Volumsprozenten zu tun hat, merkt man aber so oder so nicht. Denn die würzige Art der vereinigten Cabernets (78% Sauvignon, 2% Franc) liefert von der grünen Paprika über das indische Gewürz Asafoetida und Lavendel bis zu den wacholdrigen Noten von Wurzelspeck viel Nasen-Stoff. Am Gaumen hingegen scheint der 2010er buddhistisch in sich zu ruhen. Zugänglich zeigt er sich, aber mit Zwetschken und einem bereits recht reifen Tannin (auch die 15% verdanken sich ja viel Sonne) bringt er allemal eine pfeffrige Ader im Finish zum Vorschein: „Wie wenn Du Pfefferkörner kaust“ (© D. Augenblick). Doch angesichts der im Duft angezeigten Möglichkeiten kommt da definitiv noch mehr, momentan gefällt es dem 2010er Cos seine „simple“ Seite zu zeigen.
Der Vergleich mit dem 2008er macht hier sicher. Er hat ein Prozent mehr Cabernet Franc zu bieten, duftet nach Zwetschken, Holunder und Vanilleschoten. Ähnlich sanft beginnt er am Gaumen, der Samtschleier im Mund täuscht aber: Die Brombeer-Noten drehen rasch in Richtung Cassis, die Nougat- und Kokostöne des Fass-Holzes bekommen einen säuerlich-herben Touch im Finale. Vor allem mit mehr Luft verändert sich hier der Schmelz hin zu einer komplexeren Aromatik – und da sind wir erst am Anfang, schließlich ist das erst der 2008er.
Überraschung! Liebe, Loire und ein weißer Cos
Selbst unter den „Cos“-Fans hätten „viele noch nie davon gehört“, kommentierte Monsieur Augenblick (am Foto links) den letzten Wein. Denn in Bordeaux schließt man gerne mit einem Weißwein ab, das erfrische den Gaumen wieder. Dass es den weißen Cos d’Estournel gibt, verdankt sich aber nicht diesem Brauch, sondern der Liebe. Erstens jener von Michel Reybier zu seiner Tochter und zweitens deren Faible für Weißweine von der Loire. In Port de Goulée wurden daher auf knapp neun Hektar weiße Sorten auf die Cabernet Sauvignon– und Merlot-Reben aufgepropft. Es sind Sauvignon Blanc und Sémillon, die seit einigen Jahren als Blend gefüllt werden. Der Wein (mit 75% dominiert der Sauvignon) kommt in der klassischen Flasche, aber mit grünem Etikett auf den Markt – allerdings gibt es nur 800 cases davon. Wir kosteten den 2013er.
Die Nase versucht dem irrlichternden „geheimen“ Cos zu folgen: Anfangs sind kreidige Noten da, über die ein Sturm aus Tropenfrucht hinwegzieht – Passionsfrucht vor allem, aber auch ein Duft, der sich erst nach einigem Nachdenken als das gute, alte „Wiener Zuckerl“ von Heller, in der Variante Ananas, entpuppt. Dann wieder kommen intensive Orangen-Noten durch, die meinen Nachbarn an „Capri Sonne“ erinnern, und auch Mango. Das klingt nun süßer, als es dann im Mund wird, aber vor allem spricht das für einen reifen Jahrgang 2013.
Den zu einer bitter-süßen Zitrusfrucht – man mag (je nach Erfahrung mit den Rautengewächsen) an Yuzu denken oder an Mandarine – kommt eine buttrige Grundierung, in die sich gegen Ende auch Salz mischt. Anfangs leicht oxidativ wirkend, braucht dieser Wein Zeit im Glas. Dann oszilliert er ähnlich wie die großen Roten des Weinguts und bietet die versprochene „Simplexity“ (unser neues Lieblingswort!).
Bezugsquelle:
Cos d’Estournel, „Pagodes de Cos“ 2012 ist um EUR 61,60 (0,75 Liter-Flasche) erhältlich, der Grand Cru „Cos d’Estournel“ 2008 kostet EUR 180, der Jahrgang 2005 ist um EUR 295 erhältlich, alle bei Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com
Den Grand Cru „Cos d’Estournel“ 2010 gibt es um EUR 159, den Jahrgang 2006 um EUR 131 pro Flasche (jeweils in der 12er-Kiste!) beim Spezialisten Millésima. Er führt auch den weißen „Cos d’Estournel“ (Sauvignon blanc/ Sémillon), allerdings nur mehr den Jahrgang 2016 – um EUR 117, www.millesima.de