16 Generationen zurückreichende Stammbäume sind selten in der Champagne, wobei auch bei Philipponnat alles mit dem Weinhandel begann. 1522 soll Apvril le Philipponnat Weingärten zwischen Ay und Dizy kultiviert haben. Dass der für Pinot Noir bekannte Ort die französischen Könige (seit den Tagen Ludwig X als Comtes de Champagne auch Herren über Ay) belieferte, gab den Philipponnats Prestige. Darauf kann man in republikanischen Zeiten zwar nicht mehr bauen, doch die Champagner des Hauses sprechen ohnehin für sich. Allesamt sind sie energie-geladen und bar jedes Fruchtexzesses. Dennoch ist man im Keller in Mareuil-sur-Ay bestrebt, keine reinen Gaumen-Prickler abzuliefern. Die Komplexität, die dieser trockene Stil ermöglicht, zeigt sich vor allem beim Jahrgangschampagner deutlich.
Er wurde ebenso wie die beiden Brut-Champagner ohne Jahrgang bei der Jahrgangspräsentation von Kracher Fine Wine vorgestellt und „trinkprotokolliert“. Wenig überraschend spielt beim Einstiegsschaumwein ohne Jahrgang („Royale Réserve Brut“) der Pinot Noir auch die Hauptrolle. 68% macht er in der Assemblage aus, 29% Chardonnay und 3% Pinot Meunier ergänzen den roten Hauptdarsteller. Dazu kommen aber bis zu 30% Reserve-Weine, die im Holzfass gereift wurden. Denn Philipponnat verwendet noch einiges an Holz in der Produktion, teils auch bei der Vergärung, das wird allerdings erst bei der „Extra Cuvée“ ein Thema. Und die haben wir noch nicht im Glas. Stattdessen vertiefen wir uns in den mit acht Gramm Dosage versehenen Brut. Knackig ist dieser Duft zu nennen, der an Weißen Mohn und Kirschblüten erinnert und auch nicht mit hellem Getreide geizt. Statt dem weichen Hefeton eines Briocheteigs darf hier aber der Sandwich-Wecken röstige Kühle verbreiten. Dazu trägt auch der zart herbe Duft eines schon eingeschrumpelten gelben Apfels bei.
Im Mund wird es dann druckvoll. Aus der cremigen Perlage entsteigt dann nicht die schaumgeborene Venus, sondern herb-säuriger Zitrusabrieb. Das bringt Trinkfluss und -laune, die sich mit dem finalen Gerbstoff-Bitterl des „Royale Réserve Brut“ (Marke: Papier-Nuss) noch steigert. Man speichelt unwillkürlich ein und will noch einen Schluck trinken. Magnifique!
Dieser Champagner aus Ay hat allerdings noch einen Bruder, der sich nur in einem Merkmal unterscheidet: Er ist als „pas dosé“ komplett trocken. Das merkt man im direkten Vergleich bereits der Nase an. Diese Royale Réserve riecht nach weißen Blüten, die schwer zu präzisieren sind, klar tritt aber Grapefruit im Duftbild hervor, dfas noch kühler und eleganter wirkt als beim „Brut“. Als idealer Aperitif zeigt der Champagner eine durchgängige Frische, die von einem Säuregerüst getragen wird, das man beim hohen Pinot Noir-Anteil vielleicht nicht erwartet hätte. Das animierende Bitterl allerdings verrät die Rotwein-Dominanz und hat wesentlichen Anteil am Charme dieses Schaumweins. Das gilt auch für die finale Würzigkeit, die weniger Salz, als vielmehr feinst gemahlenen Weißen Pfeffer als letzten Ausweis höchster Lebendigkeit zeigt.
Das Salz, das Grand Cru-Trauben gerne aufweisen, hat man aber auch im Repertoire bei Philipponnat. 70% Pinot Noir aus Ay und Verzy wird mit 30% Chardonnay aus dem ebenfalls klingenden Champagner-Ort Mesnil-sur-Oger vermählt, um daraus den Millésimé namens „Extra Cuvée 1522“ zu machen. Der aktuelle Jahrgang 2016 besticht durch seine Frische, die zwei technische Prämissen hat: Die weitgehende Unterbindung der malolaktischen Gärung (alias Milchsäureabbau) und die mit 4,25 Gramm als „Extra Brut“ angelegte Dosage. Die ohne Regengüsse durchgeführte Lese und ein relativ später Erntezeitpunkt garantierten 2016 zudem vor allem beim Chardonnay außergewöhnliche Qualität.
Die kreidige Frische aus Mesnil kann man förmlich riechen; der Duft nach „Goldfischli“ steht für Salz und Sesam. Die Zitronen-Noten fächern sich in Baiser und Zesten auf, beide Anteile sind deutlich wahrzunehmen. Dazu kommt die flirrende Qualität, wenn auch nicht die Süße, von Holunderblüten. Schlank und elegant legt sich dieser Jahrgangschampagner auf den Gaumen. Ganz klar wurde hier der Balance der Vorzug vor einem einzelnen Charakterzug gegeben. Melisse und zitrische Geschmacksnoten sind vorhanden, ein feinst gesponnener Gerbstoff treibt wie eine Bass-Line den Trinkfluss voran. Die sechs Jahre Hefelager haben diese Eigenschaften perfekt verwoben – zeitlos wie eine Perlenkette aus Bläschen stellt sich dieser Philipponnat dar. Vielleicht sollte man sie an den kommenden Festtagen anlegen a.k.a. ins Glas bringen.
Bezugsquelle:
Champagne Philipponnat, Royale Réserve Brut kostet – wie die Royale Réserve Non Dosé – je EUR 40,72; die „Extra Cuvée 1522“ 2016 ist um EUR 109,- erhältlich, alle drei im Fine Wine Shop, www.finewineshop.com