Die Menükarte im Fabios ist auf Kork gedruckt. Wird wohl um Nachhaltigkeit bei Ruinart gehen, denkt der Laie. Denn das nachwachsende Eichenrinden-Material ist da ein gutes Symbol dafür. Aber nein! Florence Boubée-Legrand hat eine andere Botschaft aus Reims mitgebracht – und sie überrascht Champagner-Freunde. Denn es ist eine Rückkehr zur Reifung unter Korkverschluss, die den „Dom Ruinart“ des Jahrgangs 2010 auszeichnet.
Bis in die 1960er hinein war diese in der Champagne üblich, doch wie viele Erzeuger rückte auch die zu LVMH gehörende maison Ruinart zugunsten der Kronenkorken davon ab. 1998 begann man allerdings wieder, auch die Reifephase auf der Hefe unter Korkverschluss zu testen. „Es war ein Experiment“, so Madame Boubée-Legrand, das man sich über die Jahre anschauen wollte. Denn schließlich ist auch die Aromatik nach zehn Jahren ein Thema. 2008 hingegen überzeugte diese Version alle im Haus. Sinn macht diese Art des Verschlusses ohnehin nur bei einem Hefelager von mindestens sechs Jahren. Und der aktuelle „Dom Ruinart“ lag noch weitere Jahre auf der Hefe, ehe er degorgiert wurde.
Auch dieses „Umkorken“ findet nunmehr wieder händisch statt, wenn auch mit weitaus weniger Dosage als früher üblich. Als „Extra Brut“ gefüllt, stellt der Blanc des Blancs nun die erste Abfüllung seit Jahrzehnten dar, die wieder die tirage sous liège verwendet. Sie bringt ebenso wie die Arbeit an den Chardonnay-Weingärten (Laubwand, Begrünung, früher Lesezeitpunkt) Pluspunkte beim Erhalt der Säure – elementar für jeden Blanc des Blancs. Daher ergänzen auch die grand crus von der Côte des Blancs (90% der Assemblage stammen aus Le Mesnil-sur-Oger, Avize, Chouilly oder Cramant) rund 10% aus Sillery im Gebiet der Montagne de Reims. 12 Jahre später – im März 2022 – wurde dieser 2010er dann degorgiert, wir hatten also eine perfekte Flasche vor uns.
Das zeigt der Duft des luxuriösen Schaumweins, der anfangs an Olivenöl mit Zitrone, Eischnee und gegrillte Haselnuss erinnert. Letzteres ist eine Eigenheit des Chardonnays, die mittlerweile mit den „Pyrrolen“ (für Chemiker: 1-Methylpyrrol-2-Methanethiol und 1-Ethylpyrrol-2-Methanethiol) in Verbindung gebracht wird. Eine Erkenntnis der Universität Bordeaux, wie uns Florence Boubée-Legrand zur Seezunge mit Kapernblütenbutter flüstert: Das buttrig-nussige Element verdankt sich keineswegs den Holzfässern, sondern stammt von der Rebsorte selbst. Begleitet wird dieser dezent röstige Zigarrenkisten-Duft von einer anderen rauchigen Note, die vor allem Barleute kennen – geflämmter Orangenzeste.
Am Gaumen kommt dann die Bestätigung für die Klasse des 2010ers. Wie alle Spitzenchampagner bringt er die an sich zart widersprüchliche Kombination von frischer Säure und cremigem Mundgefühl mit. Beide Seiten sind da und kommen je nach Laune zum Vorschein. Bewusst wurde etwas kühler eingeschenkt, um der Entfaltung des „Dom Ruinart“ auch folgen zu können. Anfangs ist viel Limette da, die eher spritzige Frische zeigt. Die herbe Seite der Agrumen – namentlich Zesten – braucht ein wenig Luft. Dazwischen sind gelber Apfel, Weißer Pfeffer und Eisenkraut zu schmecken. Die mitunter fast zu starken Tropenfruchtnoten von Chardonnay-Champagnern sind hier gezähmt, man kann aber bisweilen an jugendliche, keineswegs überreife, Ananas denken.
Der schönste Moment ist aber das Wiedererscheinen der Zitronen-Note, die sich im Finale als Zitronenblüte in sehr eleganter Form einstellt. „Subtil und zugleich dynamisch“, beschreibt die Önologin aus Reims diesen Jahrgangschampagner. Das trifft es zweifellos. Vor allem aber ist hier „verkorkt“ auch gleichzeitig ein Synonym für einen komplexen Champagner. Was angesichts der zugleich erlebbaren Trinkfreude aber alles andere als einen verkopften „Vintage 2010“ bedeutet.
Bezugsquelle:
Champagne Ruinart, „Dom Ruinart“ Blanc de Blancs 2010 kostet EUR 250 bei Millesima, www.millesima.at