Die Adressen für den Ankauf top gereifter Weinraritäten sind in Ostösterreich überschaubar. Andrea und Berndt May gehören mit ihrem Unternehmen May Wines dazu. Fünf Jahre wird das Geschäft heuer, das sich aus der privaten Weinleidenschaft entwickelte und heute für Blue Chip-Flaschen aus Bordeaux, Kalifornien oder der Burgund steht. In diesem Falle passt der finanztechnische Vergleich, war Berndt doch einst auch Investmentbanker. Heute investiert er in Wein und hat dabei auch eine kleine Riege von französischen Gütern im Portfolio, deren Abfüllungen er nach Österreich holt. Und zwar mit den aktuellen Weinen, keinen gereiften. Womit sich dieser Tage die Sommeliers und Freunde des Pinot Noir aus Lagen wie Echézeaux die Klinke in die Hand gaben im Verkostraum der Mays.
Wir taten es ihnen gleich und genossen die Palette an 2020er Burgundern, die vom einzigen Weißwein, dem Bourgogne Blanc der Domaine Gros Frère et Sœur angeführt wurde. Dem soliden Weißen – mit fast rauchigem Lychee-Maracuja-Duft – folgte vor allem ein spannender Dreier-Vergleich der weltbekannten Lage Clos de Vougeot. In diesem hochklassigen Trio stand der 2020er von Gros Frère et Sœur für die zugängliche Art – denn dem erdigen Auftakt im Duft (Trüffel und Gartenerde) folgten alsbald Vogelkirsche und phasenweise die Bitterschoko-Anmutung des neuen Eichenholzes. Am Gaumen breitet sich dieser fruchtig-herbe Wein aus wie Kirschlikör – allerdings ohne jegliche Süße. Das verblüffende an diesem Wein ist seine Geschmeidigkeit; auch wenn er fünf Minuten auf der Zunge ruht, zeigt sich hier keine Stütznaht, keine Kante. Das finale Gerbstoff-Bitterl des jungen Burgunders wird von der Würze gleichsam volley übernommen und öffnet sich in Richtung Rauchpaprika und feinem, fast zerstäubenden Grünem Pfeffer.
Deutlich härter in dieser jugendlichen Form, zumindest was den merklichen Holzeinsatz betrifft, ist dann der 2020er Jahrgang von der Domaine Michel Noëllat: Das Tannin ist hier schon in Form der Schoko-Töne und des intensiven Duftes nach Johannisnüssen beinah zu greifen. Der Kostschluck bestätig den Eindruck vom eher austeren Clos de Vougeot. Von Beginn weg ist der Gerbstoff-Biss dieses Rotweins präsent; kurz überlagert ihn die säurig und schlank vorliegende Kirschfrucht im Mund. Auch final ist das Tannin dann prägend. Hier heißt es offenbar noch warten, wie sich diese Eindrücke – allesamt Anlagen für die lange Strecke! – weiter entwickeln werden.
Das unterstrich auch der einzige 2019er in diesem Dreier-Flight, den das Château de la Tour beisteuerte. Mitten im Weinberg Clos Vougeot gelegen, sorgt hier ein hohes Rebalter (70 Jahre) für Außergewöhnlichkeit. Im konkreten Glas zeigt sich das als offenere Art als der Noëllat-Pinot Noir. Trockene Gewürznelke, etwas Erdbeere und eine zarte Rum-Note kombiniert dieser Wein mit einem nur entfernt erdigen Touch in der Nase. Kräftig unterfüttert vom noch präsenten Gerbstoff, zeigen sich auch im Mund blumig-rote Noten (etwas Malve). Dazu gesellen sich Penja-Pfeffer-Körner, zarte Kirsch-Anmutung und eine sehr schöne Länge. Hier sieht man klar, wo die Reise hingeht. Hohes Potential ist in jeder Faser zu spüren.
Überzeugen konnte Michel Noëllat hingegen vollends mit seinem Premier Cru namens Beaux Monts, der etwas steileren, über Echezeaux gelegenen Lage. Wie frische Wiesenchampignons kommt das chthonische Element hier zur Geltung, etwas Teer und das Fleisch getrockneter Kirschen ergänzen das Bukett. Dunkle Beeren-Düfte (Heidelbeere vor allem) wiederum stehen für die herbe Seite dieses überaus würzigen 2020ers. Feine Klinge offeriert er am Gaumen, wo jugendliche Säure und Gerbstoff einen Mix aus jugendlicher Himbeere und Weichseln befeuern. Hier muss man nur warten, bis dieser Rubin-rote Burgunder auch geschmacklich wie ein Edelstein funkelt.
Zugänglich, leistbar – auch das ist Bourgogne 2020!
Abschließend sei auch noch ein Tipp für die Burgunder-Freunde mit kleinerem Sammel-Budget genannt, der ebenfalls von der Domaine Noëllat stammt. Der Bourgogne Pinot Noir, also der Einstiegsrotwein, der keiner Lage zugeordnet wird, bietet einen dunklen Typus. Schokolade und Kirsche erinnern an den Duft eines „Mon chéris“, mit Luft mengt sich – sehr attraktiv! – getrockneter Lavendel in diesen Duft. Vor allem der trinkanimierende Stil macht bei diesem 2020er Spaß. Er wird von Säure, mehr aber noch vom Tanningerüst, unterstützt. Weichseln in getrockneter Form sorgen dafür, dass dieser Pinot Noir zum Beissen dicht wirkt. Auch die feine Kakaonote steht ihm gut. Sie unterstreicht zum Abschluß, dass hier kein beerenfruchtiger, weicher Burgunder im Glas tanzt, sondern ein eher kantiger Charakter, den man aber gern zum Freund hat.
Wer hingegen die Frucht und offene Art sucht, der hat mit dem Bourgogne von der Domaine Gros Frère et Sœur mehr Freude. Denn hier wird eine Studie in roten Früchten vor der Nase entwickelt: Kirsche, rote Beeren und Schlehen zeigen sich als Mix aus reifen und säurig-herben Früchten. Seidig von Beginn weg, rollt eine wohlige Well von Johannisbeer-Gelée und Himbeeren über die Zunge. Sehr fein antrinkbar ist dieser Pinot Noir des Jahrgangs 2020 – im Finish sorgt ein an Schokolade erinnernder Akkord für eine schmelzig-herbe Note, die eine feine Abrundung gewährt. Burgund ist nämlich weder uniform im Stil. Sondern bietet für jeden Weinfreund etwas. Auch das war eine Lehre aus der Portfolio-Kost.
Bezugsquellen:
Domaine Michel Noëllat, Clos Vougeot 2020 wird um EUR 260 angeboten, der Beaux Monts 2020 ist um EUR 120 zu haben, der Bourgogne Pinot Noir 2020 um EUR 23.
Domaine Gros Frère & Sœur, Clos Vougeot 2020 kostet EUR 225, der Bourgogne Rouge 2020 EUR 28.
Château de la Tour, Clos Vougeot 2019 kostet EUR 185 – alle Weine bei May Wines, https://maywines.com/