Vor dem Nationalfeiertag findet der internationale Wein-Feiertag statt. Gerhard Krachers „Portfolio Tasting“ im Palais Niederösterreich versammelte große Namen: Seña aus Chile, die Riesling-Spezialisten Georg Breuer oder Kartäuserhof, dazu kam Rares aus Kalifornien und einige Bordeaux-Weingüter aus dem Fine Wine-Shop. Der Pflichtstopp dabei war für uns der Kost-Tisch von Phélan Ségur, einem Château, das immer bezahlbar geblieben ist. Und vor allem lässt man in Saint-Estèphe die Unterschiede des Jahrgangs deutlicher zu als viele Nachbarn in der renommierten Region. Zudem ist Véronique Dausse eine angenehme Gesprächspartnerin beim Verkosten : Sie ist ehrlich an der Meinung des Gegenübers interessiert und kann auch mit Kritik umgehen. Diese gilt in diesem Jahr einem der drei Jahrgänge, doch davon später.
Denn traditionell kosten wir Bordeaux von alt nach jung. Am Start steht also der Jahrgang 2015. Ein wunderbarer Sommer, wie es die Weingutsmanagerin formuliert, hat reifsten Cabernet Sauvignon hervorgebracht. 53% stellt die Rebsorte, der Rest des Blends ist Merlot. Und nicht von ungefähr lobt man in den hauseigenen Verkostnotizen die „perfkete Balance zwischen Fett und Süße des Merlot und dem mächtigen Tannin des Cabernets“. Schon im Geruch kommen Erdbeere und Heidelbeere deutlich mehr als das Cassis als „CS“-Signatur durch. Wie ein Heidelbeer-Fleck duftet dieser Grand Vin, denn auch ein Alzerl Vanille kitzelt die Nase. Mit einer beherzten Dosis Malabar-Pfeffer ist aber auch genug Würzigkeit da, um die süßen roten Beeren – sie nehmen im Glas noch zu – und die Tertiär-Aromen abzufedern.
Erstaunlich zugänglich ist dieser Bordeaux bereits. Was an Gerbstoff noch da ist, konzentriert sich vorne und hängt nicht als „Schwoaf“ nach, wie ältere Weinkoster gerne gesagt haben. Gleich hinter diesem herb-frischen Gruß stellt sich eine dosierte Fruchtigkeit ein. Man denkt an Himbeer-Pulver, wie es die Patisserie mitunter verwendet. Aber auch Malven und ganz wenig edelsüßer Paprika sind zu schmecken. Die elegante Pfeffernote aus dem Duft taucht dann im letzten Drittel des Château Phélan Ségur 2015 auf. Vor allem aber ist da eine nahezu versteckte Säure, die man noch nach fünf Minuten als Frischeimpuls im Nachgeschmack wahrnimmt. Lange muss man nicht mehr warten, bis dieser komplexe Wein seinen Höhepunkt erreicht hat. Dass dieser nahezu klassische Bordeaux noch (und für einen zweistelligen Preis) erhältlich ist, wird Sammler freuen !
Womit wir zum 2020er kommen. Er hatte es nach der lebendigen Würzigkeit des 2015ers von Beginn an schwer. Und das nicht nur in unserem Glas, sondern auch in der Natur. Dass man erstmalig auch Petit Verdot (2%) verwendet hat, der neben dem genau so niedrigen Anteil Cabernet Franc den Grand Vin des Hauses würzt, verweist auf ein verwaschenes Jahr. Und in der Tat regnete es deutlich mehr als die üblichen rund 735 Millimeter im Ort. Entsprechend niedriger ist der Merlot-Anteil (42%). „Wir haben erstmalig vier Rebsorten verwendet“, formuliert Madame Dausse (am kleinen Bild zu sehen) diese kellertechnische Entscheidung positiv. Sie schwärmt vor allem vom Duft des Petit Verdot: „Wenn man mit geschlossenen Augen vor seinen Fässern steht, erkennt man ihn dennoch am Veilchen-Duft“.
In der Tat hat dieser 2020er einen floralen Duftkern, als streife man durch den Botanischen Garten von Singapur. Intensiv riechende rote Blüten, dahinter auch frische Veilchen, vor allem aber alle Facetten von Kirsche lassen in keiner Phase an Cabernet als dominante Sorte denken. Auch die Textur überrascht: Dieser Saint-Estèphe ist zugänglicher als der fünf Jahre ältere 2015er! Das gefällt allen, die nicht mehr 10 bis 15 Jahre auf die Genussreife eines Rotweins warten wollen. Traditionalisten stellen sich aber die Frage: Wird dieser Wein in zehn Jahren noch Freude machen? Den wie eine Milchcreme mit roten Beeren legt er seinen verführerischen Film auf den Gaumen. Tannin ist noch vorhanden, aber nur als vorüberziehende Note zu Beginn. Der blumige Mittelteil erinnert an Preiselbeerobers (alias Grantenschleck), dem etwas Hibiskus und Sumach zarte florale, aber auch säurige Akzente verleihen. Aber diese sind nur angedeutet, der Strom der plüschweichen Rotfruchtigkeit geht darüber hinweg.
Doch dieser Wein ist vermutlich jener, der Einsteigern im Bordelais, speziell aus der Generation Z, gefallen wird. Er ist weich, cremig und zugänglich. Insofern ist auch Véronique Dausse zufrieden, beide Seiten des Châteaus beim Kracher-Tasting zeigen zu können. Für die kantigere Version ist dabei das Jahr 2021 zuständig. Hier versteht man, warum diese Weine legendär langlebig sind; der Cabernet Sauvignon springt einem im Duft förmlich an. Schwarze Beeren und Unterholz sind pures Saint-Estèphe-Odeur! Auch da zeigt sich der Jahrgangsunterschied : 2020 wird kein so langes Leben im Keller haben. Hier aber ist der herbe Duft von Garrigue und vor allem Lorbeer-Blatt ebenso markant wie bei einer gerade köchelnden Consommé. Man spürt mit der Nase, wo die Reise hingeht. Und freut sich schon auf ein Wiedersehen 2035. Am Gaumen lässt sich der dominante Cabernet (es sind 75% Cabernet Sauvignon, dazu 21% Merlot, 4% Petit Verdot) nicht verstecken.
Aber warum sollte man das auch ? Schon jetzt ist alles an seinem Platz. Auch wenn die Tannine jugendlich sind, kann die Säure gut mithalten. Sie verdankt sich ungewöhnlich kühlen September-Nächten und sie macht auch die Vanille-Noten der Fassreifung milder. Viel rote, herbe Frucht – für uns vor allem Cranberry – steht zu Buche. Das seidige Mundgefühl gibt einen Vorgeschmack, wo dieser Wein sein wird, wenn sich alles sortiert haben wird. Und vor alle Ungeduldigen gibt es ohnehin noch Château Phélan Ségur Jahrgang 2020 zu kaufen !
Bezugsquelle:
Château Phélan Ségur, Phélan Ségur 2015 kostet EUR 54,90, die Jahrgänge 2020 und 2021 sind um jeweils EUR 51,90 zu haben – alle Weine im Fine Wine-Webshop, www.finewineshop.com