Warum muss ich beim Verkosten von Château Palmer immer an Tee denken? Auch diesmal war es so, die cremigen Noten zweier Jahrgänge des „grand vin“ brachten Reminiszenzen an den Oolong mit den man zu Neujahr bei Whittard in London reichte. Während beim „Alter ego“ – sagen Sie niemals „Zweitwein“ zu ihm! – gerne die Duftnoten rotfruchtigerer Tees evoziert werden in unseren Synapsen. Aber viel wichtiger war das Wiedersehen mit Christopher Myers, dem smarten Export-Direktor von Château Palmer.
Mister Myers zählt zu der Sorte Bordeaux-Fachleuten, die wenig von Geheimnissen halten. Der Forschergeist, mit dem am Château Mikro-Vinifikation betrieben wird, um alle Verästelungen auszuprobieren, lebt auch in ihm. In seiner Wahlheimat Frankreich nennt man so etwas „cartesianischen Geist“ – und als Weinliebhaber muss man diese Art lieben. Auch wenn man nicht jedem Detail der „schwefelfreien, lateralen Vergärung“ folgen kann, die Palmer eingeführt hat. Dass er darüber spricht, ist nicht selbstverständlich! Auch, wie es durch Rundflüge mit der Wärmebildkamera zur Neu-Ordnung der 66 Hektar Rebfläche in 60 statt 45 „plots“ kam, ist ein Beleg des Erkenntnisstrebens. Denn immerhin wird nach diesen Unterparzellen in eigene Tanks gefüllt. „Ein Drittel wird immer „Alter Ego“, ein Drittel immer der „grand vin“ und ein Drittel wird jährlich aufgeteilt.
Trink erst zehn Jahre „Alter ego“ und dann den „Château Palmer“ aus diesem Jahrgang!
Christopher Myers
Den früheren Besitzern, so erfährt man in diesen fakten-starken Erzählungen, ist auch der unüblich hohe Merlot-Anteil in der Cabernet-Hochburg Margaux zu verdanken. „Es sollten eigentlich 90% Cabernet sein, in Wirklichkeit sind wir ungefähr bei 50%“. Gleich der jüngste Wein, den Myers im Wiener Motto am Fluss einschenkt, zeigt aber das Erbteil des Cabernets schön. Beim „Alter Ego“ aus dem Jahrgang 2013 steckt er über dem rotfruchtigen Teppich, den der Merlot ihm gewebt hat, sein Muster von herrlich pikanten Noten ab. Der „spicy“ Charakter dieses Weins lässt sich bei allem Anflug von Rooibos (Tee 1) und Malven-Tee (Tee 2) nicht verleugnen. Dunkler ist der Kosteindruck, der zwischen Lakritz und Graphit schwebt, am Anfang. Erst dann merkt man die jugendliche Säure dieses 2013ers. Vergleichsweise leise bleibt das Tannin, das nobel wie Assam-Tee (Nr. 3!) ins Finish geht. Kurz gesagt: Viel Struktur in einem jugendlichen Stadium, aber auch ein vergleichsweise preiswerter Wein aus der großen Welt des Haut Médoc.
2011 wiederum wird als Jahrgang in Erinnerung bleiben, in dem der Petit Verdot – mengenmäßig die kleinste Rebsorte am Gut – satte 15% des Blends ausmachte. Der direkte Vergleich mit den Kostnotizen dieses „Alter Ego“-Jahrgangs aus dem Trinkprotokoll von Februar 2016 (hier nachzulesen), zeigt, wie sich dieser Wein entwickelt hat. Damals irritierten noch gekochten Frucht- und Gemüseeindrücke vom Merlot. Nun hat das Bild andere Facetten. Der Butterkeks-Ton eines guten Oolong-Tees legt sich über ein reifes Fruchtpotpourri, das aber dunkel ausfällt und von Schwarzer Johannesbeere dominiert wird. Der Hagel hat 40% der Ernte dezimiert, diese tragische, aber natürlich erfolgte Ausdünnung ergibt ein fast viskos zu nennendes Mundgefühl. Der „Alter Ego“ 2011 zeigt jetzt eine zwischen Holunder und Brombeere angesiedelte Frucht und ist zum Beißen dicht. Man muss das nicht „plump“ nennen, aber es ist ein kräftiger Wein, der immer noch nicht ganz zeigt, was er kann – zumindest darin waren auch die Notate vor vier Jahre schon klar.
Wenig, aber dafür mit Syrah: „Century Wine“ 2014
Eher selten gibt es auch den „Century Wine“ zu kosten. Briefmarken-Sammler würden ihn wohl unter „Fehldruck“ abspeichern, denn es gibt auf diesem schwarz-goldenen Palmer-Etikett kein Château zu sehen. Denn im Grunde ist dieser 2014er ein „Landwein“ nach französischem Recht, ein „vin de table“. Der Anteil an Syrah aus dem nördlichen Rhônetal zitiert eine Praxis aus vorigen Jahrhunderten – der langlebige „Hermitage“ aus diesem Gebiet peppte in regnerischen („sauren“) Jahren den Bordeaux auf. In anderen Gegenden kam gar nordafrikanischer Wein als „Booster“ in die Fässer.
Diese historische Praxis zitiert man beim „Historical XIXTH Century Wine Lot 20.14“, der in dieser schrägen Schreibweise dennoch preisgibt, was er nicht aufs Etikett drucken darf. Es ist die sechste Abfüllung dieser Art und stammt aus 2014. Dem dunkelfruchtigen Geruch nach Zwetschkenröster, Cassis und zartem Röst-Paprika entspricht auch im Mundgefühl ein intensiver Eindruck. Das Tannin dieses jüngsten Weins der Probe trägt noch dick auf, die dunkle Beerenmischung hat somit etwas von Assam-Tee (ah, wieder Tee!) und Bitterschokolade – vor allem im Finish. Dieses fällt lange aus und verrät bei aller Ungestümheit dieses 2014ers, dass da noch einiges zu erwarten ist – 300 bis 400 Kisten á zwölf Flaschen machen jedenfalls ein Sammelobjekt aus dem Wein ohne Schloß am Label.
Darf’s Merlot oder Cabernet sein: 2012 versus 2006
Und dann kommt natürlich der Moment für den 2012er „grand vin“. Er wirkt sehr offen und bisweilen fast laktisch im Duft – Erdbeeren, Pelargonien-Geruch und wieder der Braune Butter-Touch eines Oolong (Tee, war’s No. 5?) sind aber alles andere als uncharmant. Auch wenn sich Merlot und Cab mit 48 zu 46% in der Cuvée fast die Waage halten, dominiert aktuell die erste Sorte. Rund und fast seidig legt sich der rote Früchte-Mix (reife Himbeere) auf den Gaumen. Der Stachel des Cabernet – im Verein mit dem kleinen Petit Verdot-Anteil – sitzt hier weit hinten. Die hohe Säure ist recht gut kaschiert, sie ist aber der Garant für die „30 bis 40 Jahre Potential“, die Chris Myers (kl. Bild rechts) diesem 2012er zuschreibt.
Den Widerspruch vieler großer Weine weist der nächste „Château Palmer“ auf; denn 2006 war ein heißes Jahr, doch irgendwie erhielt man doch die Säure. Das zeigt das einigermaßen eigenartige Dufterlebnis, Pfirsichnoten bei einem Bordeaux mit 14 Jahren Reife zu spüren. In jedem Fall sind es helle Frucht-Akkorde, die aus dem Kostglas dringen. Erst allmählich wird es reifer in der Nase, der „softe“ Typ zeigt aber auch da mehr Heidelbeer-Noten, also Säure und Kante, denn weiches Cassis. Die saftige, dunkle Frucht eines reifen Cabernets (56 % im Blend dieses Jahres) ist deutlich zu erkennenn – es stehen Brombeeren und Schwarze Johannesbeeren recht plastisch vor dem geistigen Auge auf. Man meint fast, Härchen und Stiele mit zu schmecken in diesem saftigen ein, dessen Gerbstoff sich nur wie ein zarter Film – und das nur zum Schluss – über diese Beerenintensität legt.
Zwanzig Jahre alt und wie früher: Palmer 2000
Und wem das alles ein bisserl zu blumig in der Beschreibung und dem Geschmack ist, für den hat der 2000er „Château Palmer“ nun die Aufgabe, einen Bordeaux „wie früher“ vorzustellen. Unterholz-Noten, von einer lieben Freundin gern als „Burgmauern-Wein“ bezeichnet, blättrige Akzente und vor allem satte Steinpilz-Düfte, die bisweilen fast an Schwarze Trüffel anstreifen, finden sich bei diesem 20 Jahre alten „grand vin“. Fast hätten wir jetzt die zart speckige Art und die merkliche Heidelbeer-Frucht unterschlagen, so viel steht auf dem Kost-Blatt. Holunder, Brombeer, ja sogar Schlehen, bilden einen dunklen Mix, der von einem Schwung aus der Pfeffermühle gekrönt wird. Scheinen grüne Pfefferkörner drinnen gewesen zu sein, denn sowohl Würze, als auch Säure, wenn man ein bisschen zuwartet, sind am Ende da.
Es mag 2000er Margaux‘ geben, die schon müder in den Seilen hängen. Dieser – keineswegs kostengünstige – Palmer gehört aber definitiv nicht dazu. Es ist genau das großartige Glas Wein, das sein Name, Renommée und aktueller Preis vermuten lassen. Da denken wir jetzt auch nicht mehr an Tee!
Bezugsquelle:
Château Palmer, „Alter Ego“ 2013 ist um EUR 80,-, der Jahrgang 2011 um EUR 99,90 erhältlich;
Château Palmer 2012 kostet EUR 319,-, die Jahrgänge 2006 (um EUR 359,-) und 2000 (EUR 599,-) gibt es in noch in kleineren Mengen – alle bei Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com