Ins Glas schaut das Trinkprotokoll seit sechs Jahren. Nach knapp 970 Verkostungsbeiträgen ist das aber der erste Jahres-Rückblick. Doch was interessiert einen der Rückspiegel, wenn es mit Vollgas ins neue Jahrzehnt geht? Daher halten wir die Liste der Absteiger im Getränkeregal kurz und widmen und jenen Kategorien – alkholfrei oder auch nicht – von denen wir unserer Meinung nach 2020 mehr sehen und vor allem Trinken werden. Pros(i)t!
Kurz vor seinem Verschwinden explodiert alles, so steht es sinngemäß bei Jean Baudrillard („Der symbolische Tausch und der Tod“). Ob der französische Philosoph dabei an Gin dachte? Immerhin scheint der aktuell Blüten zu treiben, die mit dem Original – knackig-frisches Destillat mit herbem Wacholder-Kick – wenig zu tun haben. Fass-gelagerte Versionen, die den klarer Kräuter-Briten in die Richtung von Whisky und Cognac rücken, leisten das, was Baudrillard „universelle Indifferenz“ nannte. Die Grenzen lösen sich auf. Was früher klare Kategorien-Unterschiede darstellte, endet in einer „Simulation“ – und die kann auch nach Ananas, Orangen oder Vanille schmecken. Da wir das alles schon hatten – beim aromatisierten Wodka (für ältere Österreicher ein Stichwort: „Icebreaker“) – weiß man, wie das ausgeht. Der Boom der Kategorie geht zu Ende.
Craft Beer auf dem Rückzug
In einem unserer Gespräche mit Bierpapst Conrad Seidl fiel schon vor einiger Zeit der Satz „2019 werden einige Brau-Anlagen günstig zu haben sein“. Die Tendenz war richtig. Denn wer mit einem klassischen Business Plan (samt Break even im dritten Firmenjahr) 2017 in Mikrobrauer-Dasein einstieg, dem weht nun ein rauher Wind ins Gesicht. „Nicht noch ein IPA (=India Pale Ale)“, heißt es bei einigen Trendsurfern, die sich abgetrunken haben vom Hopfen, der nach der zweiten Flasche die Kehle austrocknet. Dass mit dem Wiener „Brickmakers“ heuer einer der Tempel der (internationalen) Handwerksbiere wegbrach, hat zwar andere Gründe, darf aber auch als Warnsignal gesehen werden.
Leider haben die wenigsten Kleinbrauer es geschafft, tragfähige Vertriebspartner zu finden. Da und dort im Kühlschrank zu stehen ist für Start ups mit geringer Lagerkapazität zu wenig. Und nicht genutzte Brauanlagen sind nicht nur teuer, sondern auch fehleranfällig beim Wieder-Start. Dass die Wirte mit „Schankverträgen“ nun auch von den Giganten á la Brau Union „Craftiges“ für den Zapfhahn bekommen, macht die Sache nicht besser.
Ohne Gastronomie und damit im Ideavolle hoher Drehung, bleibt die Nische zu klein, um damit den Lebensunterhalt zu zahlen. Lagerhaltung, Eigenauslieferung und Webshops kosten schließlich auch dann was, wenn nur ein Sechser-Tragerl „geht“. Irgendwann wird die Bierauswahl beim Wirten vermutlich wieder so aussehen wie das Angebot im tschechischen Railjet: Budweiser oder Pilsner, dazu ein „Feigenblatt“ vom Kreativbrauer (im Zug ist es ein „Rye IPA“).
Womit sich nur eine Frage stellt: Was kommt?
Da gibt es zwei Antworten, die beide für eine unterschiedliche Sichtweise auf Spirituosen stehen. Die hedonistische, befeuert vom Geld des Mittelstands und des mittleren Alters, sieht Genuss als etwas Rares, das auch etwas kosten darf. Ja: muss. Hier hat dann zweifellos der Rum gute Karten. Denn er ist – in der Oberliga – nicht beliebig zu vermehren, da sorgt die gnadenlose Karibiksonne, die destillierte Wertanlagen aus Zuckerrohr einfach im Fass verdunsten lässt. Premium Rum, der noch dazu in Maßen („sipping rum“) genossen wird, ist unser Aufsteiger Nr. 1. Dazu kommt im Falle der marginalisierten Zigarren-Raucher in Österreich ein anderes Faktum: Auf den Privatbereich verwiesen, anstatt in servicierte Lounges genießen zu können, werden wenige, aber sehr gute Flaschen eingelagert werden. Und zwar solche, auf die sich möglichst viele „private members“ einigen können. Rum kann das!
Antwort zwei hat damit zu tun, dass man weniger Marketinglügen und möglichst natürliche Produkte sucht. Um auch gleich die Schattenseite des Rums anzusprechen, bei dem weder faire Bezahlung, noch klare Herkunft stets gegeben sind (vom genauen Alter des Flascheninhalts ganz zu schweigen): Da hat er seine Schwächen. Ungebremst allerdings ist das Wachstum der Agaven-Brände. Und hier hat sich ein kleines Wunder in den letzten Jahren ereignet, dass – auch erstaunlich! – dem Einfluss der USA als größter Tequila-Markt geschuldet ist. Die Qualität wurde nämlich besser, die mit billiger Stärke zu neutralen „Aga-vodkas“ gepushten „mixtos“ sind mittlerweile in der Minderzahl. In weitaus kleinerem Maßstab gilt das auch für den urtümlichen Mezcal, der noch immer seiner echten Entdeckung harrt. Das wäre also der Aufsteiger 2020 für die experimentierfreudigen, aber bewussten Konsumenten. Mezcal ist ein Terroir-Produkt, leider halt auch eines, das immer eingeflogen wird und somit nicht die beste CO2-Bilanz aufweist.
Gin-Ersatz ohne Promille
Unter den Aufsteigern für das kommende Jahr finden sich eindeutig die alkoholfreien Destillate. „Spirituosen“ müssen vom Gesetz her alkoholisch sein, Destillieren lässt sich so manches Aroma aber auch mit Wasser. Mit zwei Marken startete dieser Trend – „Seedlip“ für den englischsprachigen Raum, „Wonderleaf“ für die deutschsprachige Welt – der momentan einen gewissen Nerv trifft. Der gesunde Lebensstil spielt den Gin-Tonics ohne Promille in die Karten. Mit Ricks Gin aus der Steiermark mischt auch ein österreichischer Hersteller endlich mit. Auch Bartender experimentieren hierzulande mit „Nogroni“ statt „Negroni“. Einziges Problem: So gut wie der auf Kräuterauszügen (Mazeraten) lässt sich kaum eine Bar-Spirituose nachbauen.
Weitere Trend-Kandidaten, wenn es nach den Fachkollegen von Drinks Business in London geht, wären Kaffee-Getränke, durchaus auch mit Alkohol. Wenn man so will, wird der „Cold Brew“ als letzter Schrei der Barista-Szene nun auch im Cocktail entdeckt. Wir meinen: Da ist schon was dran, außerdem hat der Kaffee immer noch viel Potential zur nerdigen Fachsimpelei, selbst wenn man Alkohol meidet und daher nicht mehr über Südhänge, Maische-Stand-Zeiten und Gesamtschwefel parlieren kann. Ein Beispiel aus Australien – einem Hot Spot der Kaffee-Kultur – haben wir hier schon vorgestellt.
Und auch Österreich findet sich unter den internationalen Trends der Engländer mit der Glaskugel: Vor allem Schaumwein aus Österreich sei 2020 auf dem Vormarsch. Das lässt sich uneingeschränkt bestätigen. Etliche Winzer – vom Weinviertel bis ins Sausal – haben von der Versektung außer Haus auf eigene Schaumweinerzeugung umgestellt. Zudem geht der Winzersekt immer trockenere Wege (Stichwort: zéro dosage) und gönnt sich längere Lagerzeiten. Neue Rebsorten regen vor allem in der Steiermark die Kreativität an: Muscaris, Chardonel oder Blütenmuskateller warten schon auf die Flaschengärung. Darauf lässt sich doch zum Jahresausklang anstoßen!