Was Alessio Zenigata Guidi in Wien machte, haben wir bereits im ersten Teil der Kost-Notizen zu seinem Weingut Avignonesi skizziert. Doch so fein seine Einsteigerweine der Cantaloro-Reihe auch sind, viele Kenner bemühten sich zu Sussitz am Karmelitermarkt, um die Bekanntschaft mit drei bemerkenswerten Weinen aufzufrischen (bzw. sie erstmals kennen zu lernen). Optisch unverkennbar war dabei der reinsortige Merlot des Weinguts, für den man als Spezialist gilt – was auch eine legendäre Rotwein-Cuvée der Toskana ins Spiel bringt. Doch davon später.
Denn das Etikett des „Desiderio“ zählt zu den ikonischen Labels des italienischen Weinbaus. Es ehrt einen ziemlich fetten Stier namens Desiderio. Der 1.673 Kilo schwere Lackel gilt als einer der Stammväter der heutigen Chinani-Rinder, vielen Toskana-Urlaubern in ihrer Darreichungsform „bistecca Fiorentina“ bekannt. Und dass dem „capo taurino“ aus Cortona ein reinsortiger Merlot gewidmet wurde, passt auch. Der „Desiderio“ 2015 bringt einen Duft nach Granatapfel, Balsamico und Tulpen mit. Erst nach diesem frischen Nasen-Auftakt folgt der typische Brombeer-Schwall der Sorte. Die jugendliche Antrinkbarkeit der 2015ers zeigt auch am Gaumen eine säurige Kirsch-Note, die von der Intensität der dunklen Beeren aber hinweggefegt wird. Das Herz dieses Weines ist Heidelbeere pur!
Satt kleiden die saftigen Beeren den Gaumen aus. Doch auch die Finesse bei diesem immerhin 14,5% starken Stier von einem Merlot sollte man nicht unkommentiert lassen: Der Nachhall wird immer trockener, zum feinen Tannin kommen dann ganz zarte Rote Paprika-Noten.
Der zweite reinsortige „grande vino“ stammt vom Sangiovese, der besonders kleinbeerig ausfällt bei Avignonesi, wie Signore Guidi nebenbei erwähnt. „Die Waldbeer-Noten sind für ihn typisch“, legt er nach und unterstreicht die Wichtigkeit der Kellerarbeit beim „Grandi Annate“.
Der Sangiovese ist im Weingarten nie fertig, nur im Keller existiert er als fertiger Wein.
Alessio Guidi, Montepulciano
2013 scheint dieser Anspruch gelungen zu sein, denn als Oxymoron, also scheinbar krassen Widerspruch, verbindet der Sangiovese reife und säurige Fruchtnoten: Himbeere und Hagebutte treffen im Duft auf Kakao. Der Tiefgang des 2013ers offenbart sich auch im Mund sofort; Walderdbeere (Si, si, Signore Guidi!), geröstete Ess-Kastanien, aber auch eine Gerbstoff-Fülle, die hier fast stützend für die Frucht wirkt, notieren wir. Außergewöhnlich dabei ist etwa die Blaumohn-Note, die intensiv wie eine Strudel-Füllung ausfällt, dabei aber auch an Heidelbeeren denken lässt. In der jetzigen Form war der „Grandi Annate“ für uns der beste Wein von Avignonesi – und dabei kommt noch ein weiteres „Gerät“ aus Montepulciano.
Gegen die 20 Hektar Rebfläche von Capanelle in Gaiole ist man bei Avignonesi (160 Hektar) ein Riese – und doch entschied sich Raffaele Rossetti 1988 für das Weingut in Montepulciano als Partner. Die perfekte Lese eines Sangiovese aus dem Chianti sollte mit einem ebenso edlen Merlot vermählt werden. Gemeinsam mit Avignonesi hat man den „50&50“ kreiert. Beide Weingüter stehen heute im Besitz von Nicht-Italienern, doch die Leidenschaft für den geteilten Blend haben auch Virginie Saverys (Avignonesi) und James B. Sherwood (Capanelle) bewahrt. Der getrost als Kult-Wein zu bezeichnende Toskaner kam aus dem Jahrgang 2013 ins Glas. Malaga-Eis und Rum-Rosinen, aber auch „Toffifee“ und Akazienhonig verraten die intensive Fasslagerung.
Der 2013er „50&50“ teilt eine Eigenschaft mit vielen großen Weinen dieser Welt: Er trägt Widersprüche in sich, macht sie sichtbar und löst sie harmonisch auf. Konkret ist er herb und fruchtsüß in einem. Ein wenig erinnert das an Malz, wie man es etwa aus der Ovomaltine kennt, aber auch an gebrannte Aschanti. Viel Struktur und Röstnoten stehen zu Buche, eine Frucht auszumachen fällt schwer, denn immer wieder übermannen Gewürze und animierende Bitter-Noten die aufblitzenden Beeren.
Der fleischige Sangiovese wird sich langfristig stärker durchsetzen, doch auch die „Würze-Phase“ zeigt, wie perfekt hier gearbeitet wurde. Nur ein Detail: Salzmandeln stehen am Ende und geben dem Kultwein ein Finale, das ihn noch länger am Gaumen nachfedern lässt, als das eh schon der Fall wäre. Große Klasse!
Bezugsquelle:
Avignonesi, Desiderio 2015 kostet EUR 46,90, der Grandi Annate 2013 ist um EUR 75,80 zu haben und der „50&50“ um EUR 121,20, alle drei bei Sussitz, www.sussitz.eu