Schön langsam entdeckt man ein Muster – auch das ist ein Vorteil der zehn Jahre, die wir nun bereits trinkprotokollieren. 2014 schenkte Morgan de Premorel den Cognac ein, für den Brände „vermählt“ werden. 2019 war es dann Julian Tröger, der zum Stechheber griff, mit dem traditionell die Portionen aus dem funkelnden Louis XIII-Dekanter gezogen werden. Also wäre es auch wieder fünf Jahre später an der Zeit, dieses außergewöhnliche Destillat der maison Rémy Martin zu genießen.
Diesmal ist es Thomas Zilm, der nach einer Tour durch das „normale“ Portfolio des Cognac-Hauses zur Bar schreitet. Der Markenbotschafter hat in der Bar Wagemut des Wiener Grand Hotels drei Größen der ikonischen Flasche aufgereiht. Der Flakon von Baccarat soll einer Flasche des 16. Jahrhunderts nachgebildet worden sein, die am Schlachtfeld der „Bataille de Jarnac“ liegen geblieben ist. Davon gibt es aber nicht nur Magnums, sondern – verrückt genug! – auch Miniaturen. Die Kreation selbst geht auf Paul-Émile Rémy Martin zurück. Die luxuriöse Assemblage verwendet in der Regel ein bis anderthalb Prozent der jährlich destillierten Eaux-de-vies. Und dann heißt es warten. Die Fässer verrichten ihre Arbeit, indem sie möglichst wenig schmeckbares Holz abgeben. Es sind neutrale, große Gebinde, die sich da im Faßkeller in Le Grollet befinden. Früher wurde damit der Cognac ausgeliefert, daher stammt der Name „Tierçons“ (drei von ihnen passten auf ein Fuhrwerk).
„Wie schmeckt Zeit?“, frägt Herr Zilm in diese Betrachtungen zur Leiterwagen-Logistik hinein. Eine philosophische Frage, die sich aber angesichts der Vorgeschichte der jetzt geöffneten Flasche mit dem Lilien-Verschluss durchaus stellt. Wir fassen es als Stichwort auf – und halten die Eindrücke fest. Ehe wieder fünf Jahre ins Land gehen.
Die Komplexität, um nicht zu sagen: Widersprüchlichkeit, dieser Rarität beginnt im Duft. Rosine auf der einen Seite, aber auch klare Trauben-Prägung, wie frisch gezupfte Weinbeeren, ist zu erkennen. Ausgeprägt und auch olfaktorisch als schmelzig wahrzunehmen sind die Milchschoko-Noten einer sanften Fassreifung. Sie drehen einerseits in Richtung Kokos, zum anderen aber auf die gewürzige Seite. Macis und Gewürznelke sind als fein gemahlenes Pulver da. Doch wie wir schon vor einem Jahrzehnt als Louis XIII-Novizen erfuhren: Dieser Cognac lebt auch von seiner Veränderlichkeit. Über eine gute Stunde zeigte er damals im geschliffenen Glas, das zum Ritual des Luxus-Franzosen gehört, neue Facetten. Diesmal taucht nach rund zehn Minuten plötzlich geriebene Haselnuss im an sich schon reichen Bouquet auf.
Im Mund wirkt der „nur“ 40% vol. starke Cognac zupackend und anfangs recht kantig. Doch das ist eben dieser Moment, den Thomas Zilm als das eigentlich überraschendste Kennzeichen dieses Rémy Martin angekündigt hat. Denn der Jahrzehnte gelagerte Cognac wirkt jugendlich und frisch. In anderen ästhetischen Disziplinen nennt man das wohl ein Oxymoron. Wie ein klarer See, den man erst durch einen Sprung hinein kennenlernt, erschließt sich dieser Weinbrand der Sonderklasse erst in der Tiefe. Schließlich wäre es eigenartig, den traubigen Noten eines jungen Eau de vie bei diesem Methusalem nachzuspüren.
Vielmehr fächert sich schnell eine ganze Fülle an Eindrücken auf der Zunge auf. Veilchen sind da, kandiert, wie sie der Hofkonditor Demel fertigt. Aber auch eine deutliche Heidelbeer-Note, die als tiefe Fruchtigkeit so nur über Jahre entstehen kann. Der dunkle, fruchtige Zug ist aber gerade erst notiert, als sich schon wieder eine neue Geschmacksrichtung auftut, als hätte man eine Geheimtür zu den Papillen geöffnet.
Dann kommen die gemahlenen Gewürze wieder zum Vorschein. Und hast Du Dich’s nicht versehen, dreht die Frucht in Richtung Himbeere. Tatsächlich braucht es, bis man die feine Säure entdeckt, die auf eine zumindest uns unbekannte Art über alle die Reifejahre erhalten blieb. Von hier ist es nicht weit zu den Orangen-Tönen, die dem überkomplexen Luxus-Schluck eine seiner letzten Eindrücke verleiht.
Wobei das so nicht stimmt. Denn noch im leeren Glas sind die Spuren eines ungewohnt reichhaltigen Destillats zu riechen. Oder vielleicht sogar der „Duft der Zeit“. Die wieder ein Stückchen mehr verrann, während wir uns am Cognac delektierten.
Bezugsquellen:
Rémy Martin, „Louis XIII“ ist um EUR 2.990,- (0,7 Liter-Dekanter) bei Trinklusiv erhältlich, https://trinklusiv.at