Nicht immer sind, frei nach Thomas Bernhard, die Großväter die Lehrer. Auch beim Schüleraustausch in jungen Jahren kann es zu lebensverändernden Prägungen kommen. Das erzählte Ted Lemon, der nach seinem Austauschjahr zum „Frankophilen“ wurde – und nach Dijon zurückkehrte. Dass er einmal Wein machen würde, sang dem New Yorker Journalisten-Sohn niemanden an der Wiege. Mit einem Abschluss in französischer Literatur konnte er zwar die Sprache, aber die Mitterand-Administration (spätestens jetzt wissen wir: es geht um die 1980er Jahre) wollte Vollbeschäftigung für Franzosen. Dass der ungelernte „Ami“ dann doch einen „ami“ fand, der ihn ins Weingeschäft vermittelte, stellte die Weichen. Und wer einmal bei Guy Roulot gearbeitet hat, versteht sein Handwerk, wenn es um Chardonnay geht. Denn nach der Zeit beim Meister des Meursaults war die Zeit reif für ein eigenes Weingut daheim in den United States of America. Ted Lemon und seine Frau Heidi haben Littorai ohne Investoren begonnen und ihren Stil kultiviert. Immer weniger neues Holz sei es geworden, so der Winzer, der mit seinem Importeur und einem der wichtigsten Händler, der Vinothek St. Stephan, in unmittelbarer Nähe der Wiener Hauptkirche zur Probe lud.
Dass er einen großen Teil biodynamisch bewirtschaftet, muss sein Freund und Importeur Peter Schleimer ergänzen; der Winzer selbst lässt lieber die Weine sprechen. Und gleich der erste in der WineBank hat einiges zu „sagen“ Lediglich 18% der Produktion des kalifornischen Weinguts stellt der Chardonnay. Der Grund ist für den Winzer einfach erklärt: „Er ist zu schwierig zu machen“, ja in gewisser Weise weit zeitaufwändiger als Rotwein, denn schließlich erfolgt die Vergärung im Holz wie in der Burgund. Ein gutes Jahr verbringt der „Charles Heintz“ im Holz („nie mehr als 25% neue Eiche“) – seit 1997 wird der weiße Burgunder unter dem Namen des „growers“, also Trauben-Lieferanten, gefüllt. Verwendet werden – bien sûr, würden Mr. Lemons alte Arbeitgeber sagen würden – 228 Liter fassende Burgunder-pièces aus Eichenholz. Und das, was die burgundischen Chardonnays auszeichnet, ein Spiel aus Frische, Salzigkeit und sanfter Abrundung durch jahrhundertelang perfektioniertes Holz-Management, liefert auch Littorais Weißer aus Sonoma County: Der pure Sesam! Das ist der erste Eindruck, den der zarte Rauch-Duft auslöst. Etwas frisches Toastbrot trifft auf leichten Zündholz-Schwefel. Mit mehr Luft wird daraus der salzig-röstige Duft von Erdnuss-Flips. Diesen Chardonnay will man einfach kosten.
Unglaublich engmaschig ist dieser „Charles Heintz“, der pure Zitrusnoten mitbringt. Salz-Zitrone wie aus der Küche der marokkanischen Mama notieren wird, doch das ist bekanntlich nur die eine Hälfte der „weißen“ burgundischen Faszination. Wie ein Biss in eine säurige Marille (oder ein Orangenspalterl) setzt der 2017er fort, der Gerbstoff zeigt noch die Jugend an, das bremselnde Finale bringt eine ganze Ménage, also Salz und Pfeffer, auf den Gaumen. Herrlicher Chardonnay in früher Topform!
Das verführerische Pinot-Jahr: 2017 „Savoy“ und „Hirsch“
Bei den Rotweinen, allesamt Pinot Noirs, leitet der „Wendling“ 2017 ein, „es ist unser jüngster Wein“ (2010 wurde neu ausgepflanzt), der auch nicht aus Sonoma, sondern dem Anderson Valley, einem küstennahen Landstrich mit kühler Wald-Nachbarschaft, stammt. Dunkler Kirschen-Duft, als hätte man die Rotfrucht in Schoko getaucht, steht neben dem Grünen Pfeffer und etwas Kakao auf dem Kost-Blatt. Vollmundig und mit feinem Gerbstoff setzt dieser Burgunder an, in jeder Hinsicht ist hier „jugendlich“ das Stichwort. Viel lieber war uns der „Savoy“, ebenfalls aus dem Anderson Valley aber deutlich würziger und erdiger grundiert als der 2017er Jahrgangskollege. Rooibos-Tee, Eberraute, Hagebutten und gemahlener Langpfeffer machen neugierig auf den Wein.
„Savoy“ 2017 wird seinem noblen Namen gerecht. Aus dem anfangs fruchtsüßen – Erdbeer und, mehr noch, Preiselbeere – Charakter wird nach einer förmlichen Explosion des Gewürzregals ein Pinot, der Piment, etwas Gerbstoff und einen Kräuterstrauß von Zitronenmelisse bis Salbei mitbringt. Die Balance dieses ungemein jungen Jahrgangs wirkt erstaunlich, alles scheint an seinem Platz zu sein – und zum Glück sehen das nicht nur wir als alte Burgunder-Freunde das so.
Ted Lemon ist dabei auch selbstkritisch; er differenziert. Feine Nuancen der Jahre werden nicht nur im „winemaking“ herausgehoben, sondern aus verbal akzentuiert: „2016 as a vintage never had the fruit quality, which makes 2017 so seductive“. Im Folgenden zeigt das vor allem der Vergleich der Pinots, die aus dem Sonoma-Weingarten des legendären „growers“ (und mittlerweile Winzers) David Hirsch stammen. Der „Hirsch“ 2017 erinnert mit seinem hellen Duft an die ersten Wiesener Erdbeeren eines Jahres: Man kennt die Frucht gleich, doch sie ist nicht voll da, üppig oder gar kitschig. Definitiv näher an der Ribisl als an der Erdbeere! Ein zarter Kaffeepulver-Duft signalisiert die Würze, die für Zypern-Kenner noch präziser als der Duft von Carob (bei uns: „Bockshörndl“, aber bei weitem nicht so oft verarbeitet wie auf der Insel) beschrieben würde. Der Auftritt ist leichtfüßig, tänzelnd, so wie ihn Burgunder-Freunde lieben; die Eleganz dieses Weins verbindet den jugendlichen Gerbstoff, der allein schon ein Schatten merklichen Tannins darstellt, mit einer säurigen Rotfruchtigkeit. Wie eine Granatapfel-Pressung lässt sich der „Hirsch“ 2017 an; das Finale ist würzig und trocken, wir finden wieder gemahlene Kakao und Kaffee, aber auch eine pikante Ader (piment d’Espelette).
Während einige Mit-Verkoster ihn als den „mächtigsten“ bezeichneten, was offenbar nur bedingt als Lob zu sehen war, schien dieser Pinot für uns beinahe zu schweben. Die „13,7%“, die auf der Weinliste standen, schrecken niemanden außer solche, die Werte als Strohalme sehen, die das morsche Gebälk des eigenen Geschmacksempfinden stützen. Zum einen sind es Weine wie dieser, die am schwersten zu beschreiben sind – weil einfach nichts vorsteht. Da geht sich kein „Du hast da was“ (Säure, Tannin, Unreife – you name it!) aus. Der „Hirsch“ hat alles. Und das jetzt schon. Schön, dass der Jüngste am Tisch das auch schon erkannte: „Worauf soll man da warten?“ Richtig, der 2017er war zugänglich im besten Sinne – und bleibt vermutlich noch mindestens 12 Jahre genau so auf „Flughöhe“ – einbinden muss sich nichts. Zusammenwachsen kann einiges.
Dagegen wirkt der 2016er noch sperriger, auch wenn die Familienähnlichkeit definitiv da war. Nicht unbedingt im Duft, der vermutlich der typischste Pinot-Geruch der Probe war: Nelke, Zimt und Piment legten sich in kühl-hingetupfter Form auf das Himbeer-weiche Bett. Dazu kamen – vor allem im Vergleich zum jüngeren „Hirsch“ – auch die röstigen Noten (leicht gebräunter Toast) stärker durch in der Nase. Der Kostschluck ist zum einen süßer im Sinne von fruchtbetonter und bringt zum anderen die pikanten Noten klarer zum Vorschein: Grüner Pfeffer, Kotanýi-Paprika und auch ein kräftigerer Gerbstoff als beim 2017er stehen zu Buche. Die Orangenspalten, die sich unter die Beeren-Töne mischen, halten aber hier dagegen. Für die lange Strecke sollte man wohl 2016 einlagern, „2017 sollte man ein bisschen früher trinken“. Wobei das relativ ist, wie der abschließende 2005er „Hirsch“ zeigte.
Wie ein Wellengang kamen und gingen die Noten von Roter Paprika (spätestens jetzt für uns eine Signatur des „Hirsch“-Bodens). Die zarte Bräunung in der Farbe strafte der Duft Lügen: Strahlende Sauerkirsch-Frucht und Kirschpaprika vermengten sich mit einem cremigen Geruch, der einen Touch Erdnussbutter vorstellte. Und auch dieser Wein war bei den „kräftigen“ mit seinen 13,5%. Seien wir froh, denn das trägt diesen Wein noch ein weiteres Jahrzehnt locker. Leider ist er längst ausverkauft.
Bezugsquelle:
Littorai, Chardonnay „Charles Heintz“ 2017 kostet EUR 108,-; der Pinot Noir „Wendling“ 2017 EUR 98,- und der Pinot Noir „Savoy“ 2017 ist um EUR 102,50 zu haben, „Hirsch“ 2016 und 2017 um je EUR 108,-. Alle bei der Vinothek St. Stephan, www.vinothek1.at