Wenn man sich durch die Welt trinkt wie Ihr Trinkprotokollant, kommt man aktuell um ein Thema nicht herum. „Alkoholfreie Spirituosen“ sollen ja der neue Trend sein. Nun, dann muss man gleich die G’scheiterl-Ansage machen als Konter und sagen, dass es „alkoholfreie Spirituosen“ nicht gibt. „Alkoholfreie Destillate“, bitte, das ja. Aber von einer Spirituose verlangt sogar die EU-Norm, dass sie Alkohol enthalten muss. Doch was seit nicht einmal fünf Jahren als neue Kategorie die Regale füllt, ist eben komplett alkoholfrei. Gab es das nicht schon bei Bier, Wein und Sekt? Null Promille und so?
Im Grunde ja, doch ist das Herstellungsverfahren anders. Und brutal. Einem an sich bereits fertigen Getränk wird – z. B. durch Umkehrosmose – der Alkohol entzogen. Und was man vom Filtern oder Zentrifugieren kennt, gilt auch hier: Natürlich geht damit auch ein Teil des Geschmacks flöten. Doch bei den neuen Gin-Ersätzen, um die es hier geht, ist das anders. Hier kann man an die Wasserlöslichkeit einiger Aromageber („Botanicals“) anschließen bzw. die Wasser-Destillation, wie sie schon die Alchimisten bei ihren „spagyrischen Essenzen“ anwandten. Rosenwasser oder Orangenblütenwasser wären hier Beispiele, die man z. B. aus der Patisserie kennt, wenn man nicht im Orient aufgewachsen ist, wo diese Technik auch ihren Ursprung hat. Gemeinhin gilt sie sogar als älter als die Alkohol-Destillation.
Dieses „back to the roots” haben 2016 auch Raphael Vollmar und Gerald Koenen zum Anlass eines April-Scherzes genommen. Die beiden Brenner aus Bonn („Rheinland Distillers“) gaben an, ihren Erfolgsgin Siegfried nun eine Variante ohne Alkohol folgen zu lassen. Doch der Lacher ging auf ihre Kosten. Der Großteil der Leute liebte die Vorstellung, zumal in England schon zwei Jahre zuvor eine Marke namens „Seedlip“ genau das getan hatte. Und siehe da, der promille-lose Gin wurde zum Marktführer in deutschen Landen. 60.000 Flaschen gingen im Rumpf Jahr 2018 über die Theke. Und weil einige immer noch mit der Idee fremdeln und ihr „Wonderleaf“ die Getränkewelt bunter macht, legte das Duo eine Limited Edition (5.000 Exemplare) auf, die in der Tat den Spieltrieb weckt.
Weniger beim Mixen des Getränks, denn da ist der klassische Gin-Tonic (G&T) natürlich das Vorbild. Wobei man natürlich auch mit aromatisierten Fillern spielen kann. Oder sich einen „Lowgroni“ mit Campari und Wermut mixt. Hat man auch dazu Ersatz-Produkte wird es gar ein „Nogroni“. Immerhin recht wortspielerisch, das Ganze. Doch im konkreten Fall hat man sich mit edding® zusammengetan. Der Stifte-Gigant aus Ahrensburg packte fünf seiner Farben, darunter Gold, mit einem „Wonderleaf“ in einen formschönen Karton – nur die Etikette des Nicht-Gins blieb schwarz-weiß. Den Rest, so die vereinten Marketer, „kann man sich ausmalen“!
Als Spross einer Maler-Dynastie (mit der Sechser-Leiter gehen konnte ich mit fünf Jahren, Musterwalzen umstecken ein Jahr früher) ist so was natürlich Ehrensache. Doch heute gehört das Trinkprotokoll-Führen zum Berufsbild und so wollten wir auch endlich klären, wie satisfaktionsfähig der „Wonderleaf“ für Gin-Trinker ist? Das geht allerdings nicht im Pur-Test – ein wesentlicher Unterschied zum Wacholder-Brand.
Riechen darf man aber. Da erinnert „Wonderleaf“ an Schaumbäder und Seifen („Fa Fresh“ gab es mal, aber auch Badesalze von Kneipp), so intensiv kommen Limetten-Schalen und -fruchtfleisch sowie die „waldige“ Note von Piniennadeln durch. Aber wie gesagt: Soll man ja nicht einfach so trinken. Himbeersirup verdünnt man schließlich auch und nicht viel anders sollte man sich die Basis für Getränke auch vorstellen – als Essenz von verschiedenen Botanicals, die eben ohne Zucker gebunden wurden.
Kommt erst einmal das Tonic Water dazu, ändert sich die Sache nämlich markant. Im perfekten Mix (1:3) wird daraus eine an Weingummi, etwas Eberraute und wieder viel Zitrusfrucht erinnernder Mix im Duft. Das Auffälligste neben der betonten Zitrusfrische ist aber die herbe Note. Sie blitzt bisweilen auch im Duft schön durch. Vor allem aber prägt sich den Nachgeschmack, sofern man sich für ein klassisches, trockenes Tonic entschieden hat. Dann kann das „Wunderblatt“ tatsächlich die Illusion eines G&T auslösen. Denn so ungewöhnlich der erste Schluck – vor allem im Mundgefühl, da Alkohol als Trägermedium wegfällt – auch ist. Beim Nachtrinken macht das schon richtig Spaß.
Auch wenn man das ja mit dem Original-Longdrink nicht unbedingt tun sollte, aber in diesem Fall geht der Mix sogar als Durstlöscher durch. Er muss nur schöne gekühlt sein. Dann geht das mangels Extra-Zucker sogar einen Tick besser als mit vielen reinen Limos.
Witzig auch: Lässt man den alkoholfreien „G&T“ eine Zeit stehen, dreht die Zitrus-Note in Richtung Orange. Das kann man dann schon fast zu fruchtig finden. Der herbe Nachklang bleibt aber! Auch da ist die Ähnlichkeit zum „real thing“ verblüffend. Wenn keine anderen Botanicals sich in den Vordergrund spielen, bleibt ja auch beim Gin die zart bittere Spur, die Wacholder und Zesten hinterlassen, übrig. Das weiß man. Und braucht es sich nicht erst auszumalen.
Bezugsquelle:
Rheinland Distillers, Siegfried Wonderleaf Limited Edition kostet EUR 24,90 (0,5 Liter-Flasche, inkl. fünf Edding-Stiften) im Webshop der Brennerei, www.rheinlanddistillers.com