Wiens Wein-Italiener Christian Bauer und Peter Roggenhofer (Barolista) stellen seit drei Jahren ein Dream Team dar. Denn eine der Bauer’schen Selezione-Verkostungen widmet sich ausschließlich dem Piemont.Diesmal warteten im Hotel Regina nebst der Votivkirche sieben Roeros unter den 120 Weinen der 23 Weingüter. Der Weiße wird gerne übersehen, zumal der Moscato d’Asti ja auch der ungleich bekanntere Weißwein der Region wäre. Doch auch hier stehen die Zeichen auf Veränderung.
Selbst in der süßen Variante hält man mit ordentlich Säure dagegen. Zumindest wenn man den mit 100 Gramm Restzucker versehenen Moscato d’Asti von Oddero als Maßstab nimmt. Isabella Oddero hat zwar auch einen Riesling aus La Morra zum Probieren mit, doch die wahre Faszination in Weiß übt der Moscato 2018 aus: Sogar den Stein des Pfirsichs vermeint man extra zu riechen – ein leichter Marzipan-Ton kitzelt neben viel Frucht die Nase. Frisch und mit einer von Beginn weg merklichen Säure kommt dieser 5,5% Alkohol leichte Wein auf den Gaumen. Es fällt schwer, die Früchte herauszuklamüsern, die er reichlich mitbringt. Mango ist da, das sicher, auch wieder dieser unverkennbar frische Weingarten-Pfirsich. Aber auch eine beachtliche Länge, die viele dem „Spaßwein“ Moscato wohl so nicht zugetraut hätten.
Signora Isabellas Empfehlung abseits von Geflügelleber – einem Match, made in heaven – sind gegrillte Krustentiere. Das kann vermutlich sogar mit den rohen Gamberi mit ihrer leichten Süße funktionieren! In jedem Falle: Ein herrlicher Wein, der sich neben dem Nebbiolo des Hauses (Jahrgang 2017: Würze vor Frucht, Cranberry, noch deutliches Tannin, aber für die lange Strecke) nicht zu verstecken braucht.
Der knochentrockene Moscato, den die Azienda Agricola 499 (die Seehöhe des kleinen Betriebs von Mario Andrion) vorlegte, war dagegen ein Beispiel, wie unglaublich intensiv die Aromasorte selbst ohne Restzucker ist: Purer Pfirsich-Saft, in dem zwei Handvoll Holunderblüten schwimmen. Dabei präzis, säurereich und mit einem ordentlichen Trinkfluss, der an deutsche Gutsrieslinge erinnert. Wer da Cantuccini zum Tunken sucht, ist selber schuld!
Doch die experimentelle Gangart ist beim Moscato noch eher selten, ließ der Winzer durchblicken, dass er mit seinem Wein bewußt ein bisserl zwischen den (kommerziellen Erfolg bedeutenden) Stühlen sitzt. Beim Arneis traut man sich da schon mehr. Denn so ganz durchgesetzt hat er sich im Ausland nie – obwohl Kenner ihn mit dem Gavi di Gavi für einen der konsumfreundlichsten Weißen Italiens halten. In mancher Trattoria kommt das mit Einsatz des „padrone“ durchaus als Orvieto und Frascati der 2000er Jahre zum Ausschank. Was Menge und Massenzuspruch betrifft.
Den wird Paolo Demarie nicht unbedingt ernten. Aber sein „Sabbia“ zeigt gleich zwei Dinge auf: Erstens wie unglaublich der Sandboden Roeros (am Handy-Photo von Importeur Salvador Nero sieht der Weingarten aus wie ein Strand) den Wein prägt. Zum anderen haben wir mit diesem Wein einen italienischen „Orange Wine“ vorliegen, der zeigt, wie man diese Ausbauart anwendet, ohne ein mostig riechendes Gerbstoff-Lager auf die Flasche zu bringen. Und wer da Polemik wittert: Die Italiener haben diesen Stil lange vor uns kultiviert. Also sollten eher sie und erklären, wie’s geht.
In diesem Fall hat die Azienda Agricola Demarie einen 100%-igen Arneis mit langer Maische-Standzeit im französischen Barrique ausgebaut. Sechs Monate Flaschenreife haben die Kanten, so da welche waren, abgeschmirgelt. Der herbe Duft des „Sabbia“ (kl. Bild links) hat – wie erwähnt – nichts Mostiges, dafür erinnert er mit der merklichen Zitrus-Note an Yuzu, aber auch an grüne Haselnüsse. Assam-Tee und Holunderblüten stehen ebenfalls für die beiden Wesenszüge dieses Arneis ohne Jahrgangsangabe am Etikett (es ist ein 2015er): Fruchtigkeit und erdig-herbe Art.
Diesen Dualismus predigt der „Sabbia“ auch am Gaumen. Intensive Orangen-Töne, aber weit weniger Gerbstoff, als dem Duft gemäß zu vermuten war, machen den Auftakt. Die weitgehend neutralen Fässer hatten doch Zeit ihr Brandzeichen zu hinterlassen, es hat die Form einer Vanilleschote. Insgesamt mischen sich die Geschmäcker wie beim Zerbeissen einer Zitronen-Meringue. Etwas Mineralik, nussige Noten, dazu cremige Zitrusfrucht-Noten, die mit der Mandarine schon an Cavaillon-Melonen anstreifen. Mit dem langen Finale ist dieser Wein unter der gelben Wachs-Versiegelung eine echte Werbung für „Orange Wines“. Und ein komplett untypischer Arneis sowieso.
Das gilt auch für die überraschend gut funktionierende, prickelnde Version des Arneis; sie wird von Daniela Olivero (Antica Cascina Conti di Roero) als Mix mit 20% Nebbiolo als eine Art Piemonteser Champagner-Blend vorgelegt. Der „Spumante San Giovanni“ 2013 kommt nach 60 Monaten Hefe-Kontakt auch wertig wie große Schaumweine daher, zudem hat man ihn als „dosaggio zero“ möglichst natürlich belassen. Haselnüsse und Mandarinen-Schalen stehen neben Akazien-Blüten im Geruch zu Buch‘. Der Kost-Schluck ist überaus druckvoll, die Zitrusfrüchte bahnen sich mit breitem Strahl ihren Weg. Vor allem die kühle Art gefällt hier, ganz hinten lässt der Nebbiolo dann auch noch seinen Kondensstreifen sehen – er schmeckt nach Sauerkirsche und ergänzt den weißen Piemonteser bestens. Und wofür empfiehlt ihn Daniela Olivero, die ihr Mann Luigi nur „den Chef“ nennt? „Zu einer romantischen Mahlzeit“. Na dann…!
Bezugsquellen:
Azienda Agricola 499, Moscato „Enigma“ 2018 führt um EUR 14,90 Piemont-Spezialist Barolista, www.barolista.at
Oddero Poderi e Cantine, Moscato „Fiore“ 2018 kostet EUR 13,90, ebenfalls beim Barolista, www.barolista.at
Azienda Agricola Demarie, „Sabbia“ (Orange Wine) ist um EUR 22 bei Nero Wine & Foods erhältlich, www.nerowineandfood.com
Antica Cascina Conti di Roero, „Spumante San Giovanni“ 2013 kostet EUR 27,90 bei Piemont-Importeur Barolista, www.barolista.at