Was die Windmühlen für Don Quixote waren, sind die Omas und verstaubte Flaschen für die Sherry-Produzenten – ein Feindbild. Keine Präsentation der Weine aus dem 100 km² großen „Dreieck“ um Jerez kommt ohne Hinweis auf das schlechte, weil überkommene, Image der spanischen Spezialität aus. Und auch Beate Espinoza-Mayr, die große Spanienkennerin (und hispanische Weinimporteurin) aus dem fernen Vorarlberg, konnte sich lange über knapp unterm Kronleuchter abgestellten, jahrelang nicht ausgesüffelten Cream-Sherry-Flaschen ereifern. Zum Glück hatte sie ins Wiener Sofitel eine Marke mitgebracht, die seit 1821 in Sanlúcar de Barrameda Sherry produziert. Und das vom Atlantik umtoste Städtchen steht für den trockenen Manzanilla (der auch nur hier erzeugt werden darf), also einen vom Meersalz geprägten Stil, der sich einfacher als „flüssige Salzmandeln“ schildern läßt.
Die Innovationskraft der sechsten Generation bei Bodegas Barbadillo ist ungebrochen, als Winemaker holte man mit Montserrat „Montse“ Molina nicht nur eine Frau, sondern auch noch eine aus Nordspanien stammende Önologin. Doch die DNA des Südens bringt sie perfekt in die Flasche, wie ein Schluck vom Manzanilla „Solear“ zeigt: Es riecht nach Kapern, „Granny Smith“-Apfel, Salzlake und gelöschtem Kalk im Sofitel. Mit unter einem Gramm Restzucker ist der Einstieg in die Range der Sherrys aus der Palomino-Traube herlich trocken, baut sich aber immer mehr auf. Allmählich kommt die Salzigkeit (hier am besten an an Salzmandeln denken) stärker durch. Man bekommt in der Sekunde Appetit, der perfekte Apéro aus Jerez hat noch dazu einen Preis, bei dem man nicht schlucken muss. Das Kostglas indes leeren wir gerne.
Wir bleiben bei der Palomino-Traube, springen aber zu einem bernstein-farbigen 12 Jahre alten „Amontillado“, der schlicht die Säfte fließen lässt: Der Duft des „Principe“ – nach Haselnuss, verbranntem Toast und Salzmandeln – bereitet darauf nur unzureichend vor. Denn was als Karamellcreme mit grüner Olive beginnt, wird sekündlich nussiger und vor allem salziger am Gaumen. Die harzige Note erinnert kurz an Retsina, ehe wieder eine Woge Meersalz nachrollt. Wo bleibt bitte der Serrano-Schinken, wenn man ihn braucht?
Wer so viel maritimen Charakter nicht schätzt, sollte sich dem Oloroso-Sherry von Barbadillo widmen. Der „Cuco“ riecht nach dem Eichenfass, schließt man die Augen, kann man sich schon in Tennessee wähnen statt in Jerez – viel Vanille und Nougat, dazu Leder. Vollmundig beginnt der Sherry dann im Mund, er hat die Konsistenz und den Geschmack von Wild-Fond. Liebstöckl, eine zarte Süße, dazu auch etwas Kakao, der ihn wieder trockener wirken lässt, stehen zu Buche. Im Abgang erinnert er an einen guten, leicht bitteren Espresso.
Oliven vom Bischof, Flüssig-Soletti brauchen länger
Fast wäre der Oloroso Cuco unser Liebling unter den Palominos, wenn Beate Espinoza-Mayr nicht noch zwei weitere trockene Sherrys serviert hätte. Der „Obsipo Gascón“ erinnert daran, dass der Bischof (span.: obispo) von Sevilla früher seine Sommerresidenz in Sanlúcar hatte. Der 15-jährige „Palo Cortado“ duftet nach Schokolade, Rosinen, ja fast wie eine Weinbrandpraline. Und wo wir bei der Patisserie sind: Er schmeckt wie eine versalzene Esterházy-Schnitte. Geröstete Haselnuss, weiße Schokocreme und eine an Kapernbeeren und Oliven-Lake erinnernde Salzigkeit ergeben eine Kombination, die schräg klingt. Aber göttlich schmeckt. Vielleicht hat der Bischof da posthum damit zu tun.
Ganz groß und für seine 30 Jahre Reifezeit immer noch ein Schnäppchen stellte dann der Amontillado dar, der den Zusatz V.O.R.S. (=vinum optimum rarum signatum) trägt. Er ist den Methusalems der Sherry-Welt vorbehalten und baut immer ein bisschen Ehrfurcht auf. Pudding mit reichlich Karamellsauce, Orangen und „Earl Grey“-Tee zeigen in der Nase an, dass wir hier eine andere Stilistik finden. Frisch und salzig kommt der 30-jährige Palomino-Sherry auf den Gaumen. Man kann es schnell machen und ihn als „flüssiges Soletti“ charakterisieren. Oder man schmeckt genauer hin und entdeckt neben einer Vanille-Note, auch noch das feine Walnuss-Aroma, das im Abgang zu einem fast bremselnden Gemisch aus weißem Pfeffer und Meersalz wird. Wer mit der japanischen Salzpflaume „Umeboshi“ vertraut ist, kann sich den V.O.R.S. lebhaft vorstellen. Diese nicht (mehr) von der Flor-Schicht geschützte Variante oxidierte über die Jahre. Oder, wie es Barbadillo-Vertreter Rainer Oldenburg im Hinblick auf die Farbe formulierte, „er wird dunkel wie ein aufgeschnittener Apfel“. Man könnte sagen, das ist jetzt unser Lieblingsapfel!
Bezugsquelle:
Bodegas Barbadillo, Manzanilla „Solear“ kostet EUR 10,50 (0,7 Liter-Flasche), der Amontillado „Principe“ (12 years) und der Oloroso-Sherry „Cuco“ (12 years) je EUR 24; der Palo Cortado (15 years) „Obispo Gascón“ ist um EUR 28 und der 30-jährige Amontillado V.O.R.S. um EUR 116 erhältlich. Alle bei Bodega Rioja, www.bodegarioja.at