„Was tut man, wenn die Vorgruppe so gut war“? Der Schmäh rannte, wie man es in einem Wirtshaus erwarten darf. Hannes Gross ließ seinem Bruder den Vortritt im Reznicek am Alsergrund. Und Michael Gross brachte gleich mehrere spannende Weine (und Erkenntnisse) mit aus seinem slowenischen Weingut, das sich mittlerweile auf zwei Teile erstreckt. Haloze war der ursprüngliche Ort der Rieden von Vino Gross in der Štajerska. Mit einem an die Südsteiermark anschließenden Weinberg in der großen Anbauregion Maribor (2000 Hektar) kam eine von Korallenkalk geprägte Fläche hinzu. Der „Showstopper“ bei der Weinprobe war zunächst der „Penina“, was nichts anderes als „Sekt“ bedeutet.
Der erste Schaumwein aus dem Hause Gross vertraut auf Furmint, eine Sorte, die in den letzten Jahren auch andere Häuser für’s Versekten entdecken (etwa Stift Admonts „Dveri Pax“). Noch ruht der Jahrgang 2018 im Keller, doch für die Gäste im Reznicek wurde á la minute degorgiert. Es ging ohne Blessuren oder Malerrechnungen ab. Ultrapräzise und mit einem Mix aus Baiser und Zitronenzesten erfrischte dieser Sekt. Und damit man auch etwas lernt, gab es eine weitere Probe aus dem Keller. „Haloze Noir“ nennt sich der Mix aus weissen und roten Trauben; 60% Blaufränkisch und 40% Furmint ergeben einen witzigen Wein. Wird der unorthodoxe Blend gemeinsam vergoren, „darf sogar die Herkunft am Etikett stehen“, gab Michael Gross Einblick ins progressive Weinrecht der Nachbarn.
Das 2021er Fassmuster dieses Weins, der zum Schrecken aller Blindverkostungen werden könnte, überzeugte. Es ist ein wunderbarer Zechwein, der an einen Lambrusco ohne Säure erinnert. Fast schon obszön einladende Frucht nach Amarena-Kirschen, Cranberry und Roiboos-Tee wird von kandierten Veilchen begleitet. Der Gerbstoff am Gaumen überrascht, ist aber nur anfangs präsent. Dann übernimmt die kühle Kirschfrucht das Regime – sie wird mit der Zeit auch immer säuriger und frischer. Da fehlt nur noch ein Speckbrot und der ideale „Sommer-Rotwein“ für 2023 ist gefunden. Zum Glück wird diese witzige Variante bis dahin gefüllt sein.
Denn auch ein anderer Liebling wird erst ab Mai 2023 zu haben sein. Es ist ein Musterbeispiel, das man allen serviert, die wissen wollen, wie Kalkboden im Wein schmeckbar wird. Beim Ortswein „Maribor Blanc“ stand so schnell „kreidig“ im Trinkprotokoll, dass Michael Gross die Information zum Korallenkalk nachreichen mußte, auf dem dieser Blend aus 70% Sauvignon und 30% Welschriesling alias Laški Rizling wächst. Kreidestaub und TUC-Salzkräcker sorgen zusammen mit gelbem Apfel für einen schon im Duft kühlen Typus. Feine Säure, wieder klarer kalkige Anmutung und eine feine Salzzitronen-Spur im Mund bringen Trinkanimo. Die leichte Salinität verlängert diese Cuvée nach hinten hinaus. Und das Assoziativ-Gehirn verlangt praktisch in Dauerschleife nach Meeresfrüchten, solange der „Maribor Blanc“ 2021 im Glas ist.
Soviel zu den Neuigkeiten aus Slowenien. Doch wir Trinkprotokollanten folgen dem Weg von Vino Gross ja auch schon ein paar Jahre (hier die ersten Notizen dazu). In der Tat bestätigt auch Michael Gross, dass vor allem der Furmint einige Jahre braucht, bis er stabile Ergebnisse bringt. Diese Zeit hatten seine Reben mittlerweile. Und er dankte explizit dem heimischen Großmeister der Sorte – dem Ruster Michael Wenzel – für seine Hilfe bei der Suche nach den richtigen Trauben. „Mitunter sind zwei Furmints so unterschiedlich, dass Du glaubst, es sind zwei verschiedene Rebsorten“. Vor allem die im Kommunismus übliche Veredelung in Richtung Ertrag muss man praktisch zurückspulen. Die Selektionen von István Szepsy lösten dieses Problem. Die ungarische Weinlegende hat den trockenen Furmint einst von Tokaj aus der Vergessenheit entrissen. In Slowenien heißt die Sorte Šipon und ihr Flaggschiff – der „Iglič“ als Fassmuster 2021– rockte das (Wirts)Haus mit seinem herb-säurigen Spiel. Es ist ein Wein mit viel Potential, der aus dem Filetstück der Lage Gorca stammt.
Während hier nur in den besten Jahren ausreichender Ertrag eingefahren wird, kommen aus den anderen Gorca-Parzellen alljährlich Šipons. Für 2021 hat sich auch hier eine ideale Balance aus Reife und Frische ergeben wie das erste Schnuppern am Zalto-Glas verrät: Gelber Apfel, etwas frischer Zimt-Abrieb, grüne Banane und Vetiver zeigen die Frische dieses Lagenweins. Wieder viel Apfel, aber auch ein Anflug von säuriger Passionsfrucht, kommt am Gaumen zum Vorschein. Die frische Säure macht bei diesem 2021er bereits jetzt Freude und wird ihn auch in die Zukunft tragen. Vor allem das salzig-pikante Finish fiel uns speziell auf und bleibt sicher auch bis zur Abfüllung erhalten – auf die man sich bereits freuen darf.
Stilistische Weggabelung am Nussberg
Womit wir beim zweiten Teil der brüderlichen „Double Features“ des feinen Weins wären: Auch Hannes Gross zeigte großteils nicht mehr bzw. noch nicht erhältliche Weine. Dafür muss man ihm – ehe es an die Einschätzung der Fassmuster geht – danken. Denn wie er richtig anführte: „Selten kann man solch reife Südsteirer kosten“. Wir sprechen übrigens von Jahrgängen wie 1997 vom Weingut in Ratsch, als der „Nussberg“ noch als Mix aus Grauburgunder und Morillon bestand.
Dass sich Senior Alois Gross in der Folge gegen den Pinot Gris entschied, konnte man im Vergleich mit dem reinsortigen Morillon 1997 gut verstehen. Während die Cuvée schon ein wenig müde wirkte (darf man nach 26 Jahren wohl auch), verflog der Firn beim Morillon im Nu. Lychee pur, Kokos-Schokolade und mit Luft sogar Erdbeere sagen bereits viel über diesen Wein; und das war nur der Duft.
Am Gaumen erinnert der saftig-karamellige Schmelz an ein lange in der Jeans vergessenes Stollwerck. Nahezu unwirklich wird es aber, wenn am Ende noch ein feiner Gerbstoff, ja sogar merkliche Säure diesen Weißwein aus dem vorigen Jahrhundert zieren. Dass es mit noch zarterer Sorte auf die lange Strecke mehr Genuss zu erringen gibt, unterstrich dann ein nur etwas jüngerer Weißburgunder. Dass er im warmen Jahr 2003 für eine frühere Lese entschied, ließ „Lois“ Gross in diesem Jahrgang schnell einen seiner besten erkennen. Zu Recht! Der von Simon Schubert aus der Magnum kredenzte Wein war zumindest für uns die Flasche des Nachmittags. Kaktusfeige und etwas Toffee ergeben einen reifen, aber in keiner Phase „ältlichen“ Duft. Saftig am Gaumen und wieder ein in sich ruhender Buddha von einem Wein (mit satten, aber nicht merkbaren 14% vol.) ist dieser 2003er. Vor allem hat er in dieser Form noch locker zehn weitere Jahre vor sich. Wobei der Kalender ein 20 years after-Trinkevent durchaus nahelegt – für alle, die einen solchen Kellerschatz noch besitzen sollten.
Der im Handel ebenfalls vergriffene Weißburgunder Ried Nussberg 2015 bestätigt die Eignung der Subriede „Stauder“ für diese gerne vernachlässigte Rebsorte. Honig und Sesam-Mohn-Cräcker, pikante Einsprengsel von getrockneter Tomate und etwas Salzerdnuss stehen bei diesem knackigen Weißen (7,1 Gramm Säure für die Kenner!) zu Buche.
Wie 2012 scheint auch 2015 am Weingut Gross ein „Jahr des Saftes“ gewesen zu sein, um ein unvergessliches Zitat von Alois Gross zu verwenden. Unglaublich „juicy“ zeigt sich dieser Nussberg. Gelbe und rote Tropenfrüchte, nie expressiv, doch immer den Trinkfluss vorantreibend, mischen sich ununterscheidbar. Ein Wein, der aktuell wirklich fein zu trinken ist.
Das gilt auch für seinen „Cousin“ von der weniger steilen Seite des Nussbergs, den „Preschnigg“. Auch hier wartete Hannes Gross mit einem 2015er auf, doch er hat noch eine gute Zeit vor sich. Tolle Säure, die nach vorne drängt, trägt aktuell eine nach Ananas, Papaya und „Türkischem Honig“ duftende Fassreserve. Die seither noch weiter verfeinerte Handschrift zeigt dann aber der 2019er „Preschnigg“ auf: Er ist den Analysewerten nach trockener und leichter im Alkohol (13%). Noch wirkt das Fassmuster sehr kühl, die Assoziation dazu wäre eine Zitronengras-Crème brûlée. Denn etwas „Stollwerck“-Schmelz blitzt schon durch, dazu dieser attraktive Papaya-Touch, den wir so gerne im Chardonnay finden. Mit der erwähnt feinen Säure ergibt das bereits jetzt eine wunderbare Balance. Ja, sicher, es ist ein Weißwein am Entwicklungsbeginn, aber einer, der nahezu füllfertig ist. Auch wenn ihm Hannes Gross noch Zeit geben wird: Den Stift zur Vorbestellung darf man zücken!
Bezugsquellen:
Vino Gross, vom Furmint Gorca ist noch der Jahrgang 2020 – um EUR 19,50 – erhältlich, vom „Maribor Blanc“ kam der 2020er auf EUR 13,30 (aber mit anderem Blend!) – in beiden Fällen sollen die beschriebenen Fassmuster ab Mai 2023 erhältlich sein – über www.grossundgross.at
Weingut Gross, Morillon Ried Nussberg „Preschnigg“ Fassreserve ist aktuell vom Jahrgang 2018 zu haben, er kostet EUR 44 im Webshop, www.gross.at