In Zeiten des „Food pairings“ hängen die Trauben gleichsam hoch. Denn nur perfekte Kombinationen sollen ins Glas und auf den Teller kommen. Jedoch, wie es oft so ist mit der verfeinerten Lebensart: Man entfernt sich auch von der Realität. Des schnell nach der Arbeit hingezauberte Nachtmahl bleibt für die Feinheiten eines gereiften Viogniers oder den Paprika-Nerv eines Cabernet Franc oft erstaunlich unempfindlich. Anders gesagt: Man braucht auch unkomplizierte Weinderln, die nach einem oder zwei Gläsern auch wieder in der Kühlung verschwinden und auf ihren Auftritt warten. Und vor allem solche, die nebenbei nicht Subtilitäten als USP haben, die man in vier-stündigem Karaffieren und minütlich wiederholtem Glas-Schenken hervorzaubern muss. Bevor die Einleitung aber ausufert, die Anekdoten-Evidenz dazu.
Denn nach der wöchentlichen Blindkost stand ein selbstkritisches Fazit fest, das „mea maxima culpa“-Qualität hatte: „Wir trinken zu wenig Chianti“. Und das stimmt zweifellos, zumal die Qualität des (oft noch dazu zu warm servierten) offenen „vino della casa“ der heimischen Pizza-Szene nicht gerade Werbung darstellt. Im gelobten Land selbst, der guten alten Toskana, waren wir aber auch schon länger nicht, weshalb auch der Maßstab fehlte. Doch zum Glück gibt es in Greve auch die Post, sodass sich die aktuellen Chianti von Castello Querceto auf den Weg nach Austria machen konnten.
Das namensgebende Schloss geht auf das 15. Jahrhundert zurück und wird von weitläufigen Grünanlagen umgeben. Nicht zuletzt verfügt das Weingut über gut 65 Hektar eigene Rebflächen, die seit über 120 Jahren von der Familie François kultiviert werden. Aktuell führt Alessandro François die Geschicke von Castello di Querceto, das zu den Mitbegründern des Consorzios Chianti Classico gehört. Entsprechend gibt es mehrere Qualitätsstufen; im direkten Vergleich standen der „Classico“ 2019 und der „Classico Riserva“ 2018, beide aus einer Cuvée mit Sangiovese und den Rebsorten der Region wie Canaiolo und Colorino.
Der Unterschied der beiden Qualitäten ist beträchtlich, was aber keine Abstufung, sondern nur unterschiedliche Trinkgelegenheiten bedeutet. Der Kirschduft des jungen 2019ers ist intensiv und wird von etwas Nougat begleitet. Man denkt zunächst an Nusscreme, ehe etwas Standzeit die würzige Seite des Querceto wachküßt. Der Steaksaft-Ton des Sangiovese und provenzalische Kräuter sind da zu riechen. Der Kostschluck bestätigt den Eindruck von saftiger Kirschfrucht dann auch am Gaumen. Trocken, ja fast staubig, meldet sich auch die geriebene Walnuss wieder. Immer schlanker und leichtfüßiger wird der Rotwein gegen das Finale zu. Das Tannin stellt einen sanften Hügel da, ehe wir aromatisch in die Zielgerade einbiegen. „Easy drinking“ in Rot kann fein schmecken – für Italophile muss so wohl der ideale Mittagswein aussehen. Pasta mit Ragú, Pappardelle etwa mit Wildsau, dazu und alles paßt!
Das reifere Jahr, nicht nur dem Kalender, sondern auch dem überdurchschnittlich warmen Blütezeitraum der Trauben nach, kommt mit der Riserva 2018 ins Glas. Dunkle Beerenfrucht deutet das optimale Lesegut an, man denkt in Österreich an „Hollerkoch“; in Italien würde man das wohl mit „mirtillo“ umschreiben, auch wenn es dabei um unterschiedliche Früchte geht. Saftig und mit einem schon richtig seidigen Mundgefühl beginnt der Toskaner am Gaumen; zwischen Brombeeren und Fleischsaft, einem oft bemühten Chianti-Attribut, bewegt sich der Geschmackseindruck. Viel Würze ist dann im Finale zu bemerken, vor allem mit Thymian geizt der 2018er nicht. Bei aller Fruchtsüße dieses Weins hat er aber genug Säure, um nicht nur aktuell zu gefallen – sondern auch ein langes Leben vor sich zu haben.
Bezugsquelle:
Castello di Querceto, Chianti Classico DOCG „I Colombi“ 2019 kostet ca. EUR 8,50, der Chianti Classico Riserva DOCG 2018 ist um rund EUR 22 zu haben, demnächst bei Döllerers Weinshop, https://shop.doellerer.at