Man muss ein wenig auf Bourbon-Mathematik gefasst sein, wenn „Eddy“ Russell zur Verkostung lädt. Dem Master Distiller von Wild Turkey steht nach wie vor sein Vater zur Seite; der Senior ist der letzte Aktive vom Brenn-Legenden-Kleeblatt Parker Beam (Heaven Hill), Booker Noe (Jim Beam) und eben Jimmy Russell. Seine 62 Jahre an der Brennblase sind aktueller Weltrekord! Und entsprechend oft bezieht sich Eddy, selbst kein junger Mann mehr und seit 2015 Chef des Duos, auf die Ratschläge und Eigenheiten seines Vaters („er trinkt nur Bourbon, Wasser oder Eistee“). Noch öfter allerdings spricht er von 101 proof, 81 proof oder ähnlichen Zahlen. „In den USA bestellen vielen keinen Whiskey, sondern einfach einen „101““. Die Stärke des Whiskeys gab den Abfüllungen den Namen, wobei wir beim Standard-Bourbon „101“ von einem Alkohol von 50,5% sprechen.
Wir starten aber leichter, nämlich mit einem Roggen-dominierten Whiskey (die genauen Zahlen sind geheim, 51% des namensgebenden Getreides in der mash bill schreibt aber das Gesetz vor). Der leichtere der beiden Rye-Whiskeys von Wild Turkey – er hat 40,5% oder „81 proof“ in der US-Zählung – riecht herrlich nach Salzmandeln, Pecan-Nuss und auch Schokolade-Brownies. Mit ihm beginnt die Verkostung, die Mister Russell nur wenig kommentiert – er lässt lieber die Whiskeys sprechen.
2008 haben wir etwa zwei Tage im Jahr Rye destilliert. Heute muss ich an zwei Tagen im Monat brennen. So groß ist die Nachfrage.
Edward Freeman Russell, Master Distiller
Als „etwas softer“ von Russell eingeschätzt, bringt der Roggen-Whiskey am Gaumen erst im Finale etwas würzigen Biss mit: Zu Beginn überwiegt die an Manner-Schnitten erinnernde Haselnuss-Schoko-Karamell-Aromatik. Die Gewürznoten, vor allem Vanille, Zimt und Muskatnuss, sorgen trotz der sanften Art für ein doch Roggen-typisches Würze-Finale.
Der Bourbon-Bruder, eben der „81“ aus mehrheitlich Mais, stellt für das stets für kräftigere Abfüllungen bekannte Haus eine Art Einstiegsdroge dar. Der Trick, den Russell anwandte, um ihn geschmacklich dem Haus-Stil nicht gänzlich zu entfremden, ist einfach aber effektiv: „Der hat zwar wenig Alkohol, aber er bleibt fünf Jahre im Fass, um ihm mehr Geschmack mitzugeben“.
Tatsächlich erinnert der Wild Turkey 81 an Marillen-Marmelade und Haselnuss im Duft. Das schöne Mundgefühl des vermeintlich einfachen 40,5%-igen Bourbons lässt allmählich Orangenmarmelade, Birnen und Karamell erkennen. Der Abgang erinnert an Milchkaffee, die Überlegung – weich, aber aromenreich – ging hier auf.
Für Jimmy Russell heißt der Blend „Mingle“!
Bourbon mehr als zehn Jahre im Fass zu lagern, macht für Russell nicht viel Sinn, für den „Rare Breed“ alias 112,8 (für Rechenfaule: 56,4% Alk.) aber wurden sechs, acht und zwölf Jahre alte Qualitäten kombiniert. Das Ergebnis überrascht, denn selbst der Laie kann hier die Beiträge der einzelnen Chargen herauskosten. Die Kokosnote – technisch auf so genannte Laktone zurückgehend, die erst nach einigen Jahren im Fass durchschlagen – geht eindeutig auf Konto des zwölfjährigen Wild Turkey im Blend.
Der Kokosnuss folgt im Geruch aber gleich eine ganze Ladung von Früchten, vor allem saftige Orangen. Dazu kommt eine an Birnenkompott erinnernde süß-würzige Melange und am Ende die Frische grüner Äpfel. Das ist die Jugendlichkeit des sechsjährigen Whiskeys. Der kräftige Kostschluck lässt sich ähnlich aufgliedern: Kokos und röstiger Toast ist da, die Frucht des acht Jahre alten Bourbons (wieder Apfel und Birne), aber auch die pfeffrige Schärfe des jüngsten Whiskeys im Blend. Lang und gehaltvoll klingt dieser hochprozentige Wild Turkey aus.
Russell sen. übrigens spricht nie von Blends, sondern „mingles“ – denn unter Blend versteht der Mann aus Kentucky Blended Scotchs – und mit denen will man nicht verwechselt werden!
Fehlt nur noch der Bourbon, der die Destillerie bekannt und begehrt gemacht hat bei Konsumenten und Konzernen (nach Pernod Ricard besitzt heute Campari das Unternehmen). Auftritt des „101“, bitte!
Im siebenstöckigen Warehouse, dem Spirituosenlager, werden die Fässer im Gegensatz zu anderen Bourbon-Destillerien wenig bewegt. Die höher gelegenen und damit heißeren Regalreihen werden grundsätzlich mehr für die Fass-Stärken-Bourbons verwendet, verrät Eddy Russell. Für das Standardprodukt „101“, das rund 60% der Gesamtproduktion ausmacht, „greife ich meist zu den mittleren Reihen“, so der Master Distiller. Der Whiskey bringt bereits im Duft reichhaltige Noten mit – Karamell, reichlich Zimt und auch wieder eine deutliche Nuss-Note, irgendwo zwischen Macadamia und Pekan. Schokolade, Kakao und ein alkoholischer Biss legen die Basis, auf der sich dann die Gewürz-Noten entfalten: Piment, weißer Pfeffer und etwas Kardamon begleiten den „101er“ in ein langes Finish.
Danke, Jimmy und Eddie Russell, für diesen Klassiker, der förmlich nach einer Zigarre dazu ruft!
Bezugsquelle:
Wild Turkey, Straight Rye Whiskey ist um EUR 25,10 erhältlich, der ebenfalls mit “81 proof” abgefüllte Kentucky Straight Bourbon um EUR 17, der „Rare Breed“ kostet EUR 30 und der “101” Kentucky Straight Bourbon ist um EUR 22 erhältlich, alle bei Getränke Del Fabro, http://delfabro.at/