Wie lang hält ein Trend? In Sachen Gin jedenfalls trägt die Welle der Wiedergeburt des Wacholders schon länger, als das die Experten glaubten. Exotik ist dabei ein wichtiges Merkmal, sowohl bei den aromagebenden Stoffen, den Botanicals, die immer ausgefuchster werden, aber auch bei der Provenienz. Doch die Kernfrage anlässlich voller Rückbuffets in den heimischen und internationalen Bars lautet schlicht: Weiß der Kunde, welchen Gin er persönlich mag?
Als kleine Orientierungshilfe stellen wir die Aromaprofile anhand zweier Neuzugänge in Österreich vor. Robert Karner vom burgenländischen Spirituosen-Start up Liquitrade hat die aus Estland, einem seiner wichtigsten Lieferantenländer, und Australien stammenden Brände im Sortiment. Mit dem Dry Gin der „Melbourne Gin Company“ (MGC) kommt einer der wenigen Vertreter der booomenden Mikrodestillerie-Nation down under zu uns.
Australiens boomende Brennerei-Szene und ein Allround-Gin
Das Geheimnis, warum die australische Szene aktuell erblüht, liegt in der Abfüller-Problematik. Während hierzulande eine Mindestmenge von 5.000 Flaschen benötigt wird, damit sich einer der vorhandenen Abfüller „erbarmt“ und seine Anlage umstellt auf das neue Produkt, lassen sich auch 200 Flaschen in Sydney, Melbourne und Canberra locker produzieren. Davon erfährt man hierzulande nur recht wenig (außer im Trinkprotokoll.at, eh klar!).
Doch zurück zum Schnaps: Elf Botanicals, alle einzeln mazeriert, also als Aromaauszug erstellt, geben im MGC-Produkt ihren Geschmack ab. Der australische Gin startet mit einem frischen Duft, den man fast schon mentholig nennen könnte. Vielleicht sorgt der Rosmarin dafür, der als eines der Botanicals beim Melbourne Gin angegeben ist. Der Wacholder hingegen ist hier nur zart ausgeprägt. Auch der Kostschluck des 43%-igen Gins beginnt leicht süßlich, erst allmählich wird die zarte Beerenaromatik von einem kräftigeren Ton abgelöst. Hier kommt dann der Alkohol durch, aber auch eine pfeffrige Note. Im Finish gesellt sich mit einem Anflug von Pink Grapefruit auch noch Zitrusfrische dazu – sie sorgt auch für eine beachtliche Länge.
Baltische Kräuter-Sammlung mit mächtig Punch
Die nordische Schule vertritt hingegen der aus Estland stammende Gin, der die Nummer seiner Rezeptur als Namen trägt. „No. 23“ nennt sich der Crafter’s Gin, weil es eben so vieler Versuche bedurfte, bis man mit ihm zufrieden war. Fenchel und Veronika (hierzulande eher als „Ehrenpreis“ bekannt – oder auch nicht, falls man kein Kräuterfex oder eine –hex ist) drehen das Aroma in eine deutlich andere Richtung. Im Duft ergibt das eine fast waldige Grundierung, man denkt an Pinien-Nadeln bei diesem 43%-igen Balten-Gin. Auch ein wenig Selchfleisch hängt in der Luft, in jedem Fall ein ungewöhnlicher Vertreter, der trotz seiner nordosteuropäischen Herkunft dem moderneren Gin-Stil „New Western“ zuzuordnen wäre.
Auch am Gaumen sind es herbale Noten, die dominieren, aus dem kräftigen ersten Schluck treten allmählich etwa Minzeblätter hervor. Diese Frische trifft auf einen angenehm wärmenden Brand, der kräftig, aber nie alkoholisch wirkt. Mit dem am Ende zart holzig zu spürenden Wacholdergeschmack ergibt das einen vor allem durch sein angenehmes Mundgefühl in Erinnerung bleibenden Gin. Wofür man sich persönlich entscheidet, ist bei den beiden Marzer Importen sicher Geschmackssache – aber genau von dieser „Nerd“-Debatte lebt die Wacholder-Welle ja. Und da haben wir eine Gretchenfrage noch gear nicht gestellt: Welches Tonic nehmen wir dazu?
Bezugsquelle:
The Melbourne Gin Company, MGC ist um EUR 54,99 (0,7 Liter) erhältlich, der estnische „Crafter’s“ um EUR 33,99, beide über Liquitrade, www.liquitrade.at