Auch wenn man ihn nicht zu oft trinkt: Grappa kann deutlich mehr, als in der Pizzeria am Schnaps-Wagen zu stehen. Vor allem gilt das für „grappa artigianale“, jenen raren Anteil an handwerklichen Erzeugnissen unter den rd. 40 Millionen Flaschen weltweit verkauften Flaschen. Wobei „weltweit“ hier getrost mit Italien (gut 80% der Produktion wird im Erzeugerland gesüffelt) und Mitteleuropa übersetzt werden darf. Insofern traf sich das Gipfeltreffen mit vier Produzenten im Hotels Meliá Vienna gut; im 57. Stock standen nämlich verschiedene Stile aus alle Hochburgen der Italo-Spirituose – Friaul, Veneto und Piemont – bereit. Kurz: Es war Zeit für ein Wiedersehen abseits des „caffé corretto“.
Einen geradezu prototypischen Vertreter der neuen, sanfteren Grappa-Schule stellte etwa das Exemplar dar, das Jonathan Lyddon mitgebracht hatte. Der britische Veteran der Wein- und Spirits-Szene vertritt heute die Destillerie Luigi Francoli aus dem nördlichen Piemont. Entsprechend startet ein Nebbiolo-Grappa die Verkostung – und er bleibt lange in Erinnerung. Erdige Duftnoten wie Kurkuma und Galgant (hat man nicht so oft außerhalb der Thai-Suppe!) mischen sich mit noch mehr Würze eines pfeffrigen Eindrucks, dazwischen blitzt immer ein wenig Honigsüße auf. Dieser Eindruck täuschte nicht, auch der Kostschluck ist anfangs süß und mit einem cremigen Mundgefühl verbunden, so dass man plötzlich an Windringerl (Meringue) denkt. Dazwischen entdeckt man einen mostigen Apfel, schon eher ein aus manchen Grappe gewohnter Ton, doch dann setzt die Würze ein. Nelken, weißer Pfeffer und ein langes Finish lassen die „zweite Halbzeit“ des Nebbiolo-Grappas von Francoli zu einem Vergnügen werden. Nebenbei: Bei günstigem Preis!
„Grappa is, what you make of it“, könnte man (zwar nicht italienisch, aber stimmig!) zu den neueren Stilen sagen, die nun folgten. Denn vor allem das Fass-Finish ergibt mit der Wahl der Traubensorte eine Bandbreite, die man der früheren „Taschenheizung“ im Flachmann nicht zutrauen würde, wenn man nicht auf dem Laufenden bleibt. Längst wird mit vorbelegten Fässern ungewöhnlicher Provenienz gearbeitet (etwa von Jack Daniel’s, was wir schon mal vorstellten). Marta Bocchino, ebenfalls aus dem Piemont stammende Destillateurin, hatte ihren Moscato knappe achte Monate in einem Fass reifen lassen, das den französischen Süßwein Sauternes beinhaltet hatte. Das Ergebnis ist nicht nur erstaunlich, sondern ergibt einen Grappa für Single Malt-Freunde! Schließt man die Augen, duftet der „Grappa di Moscato“ nämlich wie ein Speyside-Whisky. Grapefruit-Frische, reife Ananas und auch würzige Anklänge (für und am ehesten: Muskatnuss) sind zu nennen. Mit einem an Steinobst wie Marillen erinnernden Beginn bringt auch die Trebern-Variante den Sortenausdruck – neben der erwähnten Macis-Blüte – zum Vorschein. Dann dreht der Bocchino mit dem Cask Finish aber in Richtung Dörr-Apfel und wird ab da immer würziger. Am Ende steht ein von Nougat und Kompott-Gewürzen geprägtes Finale, das wiederum einem Whisky gehören könnte – und auch preislich in seiner Liga mitspielt.
Dass die Verwendung einzelner Rebsorten das eine oder andere Vorurteil gegen Grappa unhaltbar macht, zeigte dann auch „Cleopatra“. Nicht der Ägypter-Königin, sondern einer ebenso legendären Brennerin der Antike, hatte Jacopo Poli seine Brennblase gewidmet. Sie bringt besonders schonende Aromen-Extraktion aus den Weinrückständen hervor und erhielt daher den Namen der alten Gold-Macherin (die sagenhafte Cleopatra wollte keinen Alkohol, sondern Gold erzeugen!). Die Serie dieser Poli-Brände stellte er exemplarisch mit einem „Moscato Oro“ vor. Und da war kein Klebstoff zu riechen. Nirgendwo!
Stattdessen duftet es nach Zitrus wie weiland die „Hirsch-Seife“. Kirschblüten und Bergamotte sind ebenfalls im Duft zu erkennen. Im Mund gesellt sich dann eine erdige Note – man kann an Enzian denken – zu der ausgeprägten Zitrusfrucht. Diesmal ist es mehr eine saftige Orange, die gegen Ende immer trockener wird. Im Rückaroma schließt sich der Kreis mit einem Holunderblüten-Gruss, der die floralen Duftnoten vom Beginn wieder aufnimmt. Ob man das „blind“ als Grappa erkannt hätte?
Fass-Stärke beim Grappa: Noninos Neuer
Noch schwieriger machte es die charimatische Antonella Nonino dem Verkost-Publikum. Ihre Neuheit – die „Grappa Antica Cuvée Cask“ – verzichtet nämlich auf die Herabsetzung des normalerweise auf rd. 80% hochdestillierten Tresters auf Trinkstärke. Wie beim Bourbon etwa bringt die aus den Sorten Cabernet Sauvignon, Merlot und der friulanischen Rebellen-Rebe Schiopettino zusammengestellte Nonino-Grappa die Fass-Stärke mit. Knapp unter 60 Volumsprozent – es sind laut Etikett 59,9% – bleibt man bei diesem in einer Reihe von Fässern gereiften haselnuss-braunen Destillat. Neben französischen Edel-Eichengebinden (Antonella erwähnt beispielsweise Nevers und Limousin) kommen auch Sherry-Fässer zum Einsatz.
Diese prägen etwa im Duft eine leicht salzige Note aus, die aber kaum ankommt gegen die dunkle Kraft, die etwa an Sesam-Knäckebrot und Roggen erinnert. Wie nicht anders zu erwartet, fordert der phenolisch und dichte Kostschluck die Geschmacksnerven. Bitterschoko pur, dazu leichte Süße, die fallweise an Malaga-Eis denken lässt, sind neben dem kräftigen Alkohol die ersten Assoziationen. Nimmt man dem Whisky-Beispiel folgend ein paar Tropfen Wasser, um die Grappa zu zähmen, belohnt das sofort: Nuss-Schoko, wieder zarte Rauchigkeit, Muskatnuss, aber auch cremige Noten, zu denen uns „Milky Way“ einfällt, stehen dann zu Buche. Endlos lang bleibt die „Antica Cuvée“ aber auch mit Wasser. So endlos wie die Geschichte der Grappa-Innovationen. Wir bleiben dran!
Bezugsquellen:
Luigi Francoli, „Grappa Nebbiolo di Piemonte“ kostet EUR 18,60 (0,7 Liter-Flasche);
Poli, „Grappa Cleopatra Moscato Oro“ ist um EUR 38 erhältlich;
Bocchino, „Grappa di Moscato (Sauternes Cask Finish)“ kostet EUR 113,50 und
Nonino, „Grappa Antica Cuvée Cask“ EUR 63,96 – alle bei Getränke Del Fabro, www.delfabro.at