2024 sind es auch schon wieder 35 Jahre, das Paul Kerschbaum in den elterlichen Weinbau in Horitschon einstieg. Dass die Zeit vergeht, entnahmen wir aber auch dem Line up, das David Raidl mitgebracht hatte. Er vertrat beim Schnidahahn-Menü in Bromberg den heutigen Betriebsführer Michael Kerschbaum. Mitten unter der Rotwein-Lese schwer im Einsatz, erkundigte sich der Profi aber telephonisch nach dem Fortschritt des Weinmenüs bei Karnerwirt Martin Windbichler. Es war genau in diesem Wirtshaus, dass Paul Kerschbaum einst seinen letzten Weißwein einschenkte. „Alles ausgerissen“, baute er damals auf ein reines Rotweingut – nicht unüblich im Blaufränkisch-Land – um.
Doch nun ist der Weißwein zurück, wenn auch nicht in den 40 Hektar, die man im Mittelburgenland kultiviert. Eine Verbindung des aus Eisenstadt stammenden Kellermeisters führte zu Trauben vom Leithaberg. Chardonnay und Grünen Veltliner keltert man nun in kleiner Menge, sobald die Trauben aus dem Norden eingelangt sich. 500 Liter-Fässer aus neuem Eichenholz umhüllten bei Gärung und Reife die beiden Erstlinge im Jahrgang 2019. Nun kommt der zweite Jahrgang dieses burgenländischen Veltliners ins Glas, den Anteil des neuen Holzes hat man auf 70% reduziert. „Wir tasten uns da ran“, erläutert David Raidl. Wobei man für unseren Geschmack da schon sehr gut liegt. Denn die salzige Duftnote des 2020ers erinnert an Olivenlake. Die zarte Reduktion, ebenfalls ein geschätztes Odeur (so man burgundische Weißweine kennt), passt da gut dazu.
Verfliegt der salzgeschwängerte Rauch, bringen die Röstaromen des Fasses einen Touch von Bananenchips ein. Rund und mit gedämpfter Tropenfruchtigkeit (Kaki und Cherimoya notierten wir auf der Rückseite von Martins Speisekarte) legt der Veltliner los. Würde man diesen besonderen Wein blind auch als „GV“ erkennen? Das war ein reizvolles Gedankenspiel. Denn erst ganz spät fanden sich auch Apfel und etwas Zitrone am Gaumen ein. Sie wandelten sich final in einen Anflug von Salzzitrone. Auch dafür ist die relativ hohe Säure dieses Jahrgangs eine Hilfe. Denn viel weniger sollte der 2020er nicht haben, um die satte Frucht und das Salz der kalkigen Lage, von der er stammt, auszugleichen. Im Jetzt-Zustand geht sich das aber perfekt aus. Herrlicher Weißwein für Kenner – und das von unerwarteter Seite. Da kann man nur sagen: Willkommen zurück, Weißwein-Macher Kerschbaum!
Die übrigen Gänge begleiteten dann aber die Klassiker des Hauses in Rot. Leichter Zweigelt zur Vorspeise vom Wild, der Blaufränkische vom Hochacker (für die Nicht-Mittelburgenländer steht „Hochäcker“ am Etikett) zur Kastanien-Suppe mit Lardo. Aus der Doppelmagnum reichte man den Jahrgang 2010 „Dürrau“. Dieser Blaufränkisch stand seinem zehn Jahre jüngeren „Ich“ wie bei einer Zeitreise gegenüber. Die schlanke Art des gerne als kalt und weniger gut abgeschriebenen Jahres 2010 hatte sich im neuen Holzfass (ein Standard der Kerschbaums beim „Dürrau“) bestens erhalten. Frische Säure machte den Rotwein zu einem fast leichtfüßigen Begleiter zu den geschmorten Rindswangerl. Und der „Junge“? Hier sieht man einer ähnlichen Entwicklung entgegen. Auch 2020 war zwischen den begünstigteren Jahrgängen 2019 und 2021 ein Underdog. Doch auch bei diesem nach Cranberry, Gewürzpaprika und Kochschokolade duftenden Blaufränkisch wartet langes Leben.
Am Gaumen tritt er fast leise auf, als wollte er die in ihm schlummernde Frucht nicht wecken. Rote Apfelschale zeigt wenig Fruchtsüße, doch das mit den herben Noten hat schon seine Richtigkeit. Denn der Gerbstoff ist gut integriert, man denkt an schwarze Oliven und etwas Thymian. Wie sehr die tiefgründigen Noten der Eisen-haltigen Lage durchkommen, merkt man erst dann so richtig, als sich der Sorten-typische Sauerkirsch-Geschmack ganz spät aus dieser dunklen, fast erdigen Basis löst. Es ist aktuell eine kurze Brücke, die von der Kirsch- und Beerenfrucht zwischen Säure und Tannin gelegt wird. Doch sie wird sich die kommenden Jahr verlängern und verbreitern. Vor allem die noch frische Säure des „Dürrau“ 2020 ist fast schon eine Garantie, dass dieser Wein in zehn Jahren ähnliche Freude macht wie heute der 2010er. Da braucht es dann gar nicht Zsoltis Rindswangerl dazu. Obwohl die schon ein ziemlich bestechendes „Pairing“ abgaben zum Blaufränkisch der Horitschoner Paradelage…
Bezugsquelle:
Paul Kerschbaum, Grüner Veltliner Reserve 2021 ist um EUR 19,90 erhältlich, der Blaufränkisch „Dürrau“ 2020 kostet EUR 24,90 – beide ab Hof bzw. im Webshop des Horitschoner Winzers, www.kerschbaum.at