Der Abend beginnt mit Understatement: Die Strickmütze nachlässig ins Gesicht gezogen (es nieselt), betritt Allegra Antinori das Restaurant. Ihr Restaurant; die Cantinetta Antinori in Wien. Von den „26 Generationen“, über die der Roll-up im italienischen Lokal erzählt, ist sie Nummer 26. „Die letzten 400 Jahre wurde der Weinbau der Hauptzweck“, legt die Marchesa und eine der drei Töchter von Piero Antinori (84) nach. Doch auch die Jahrhunderte schützen nicht vor dem Wandel. Lange berichtet sie – sehr offen – von den finanziellen Schwierigkeiten, die sogar zur Hereinnahme eines britischen Partners führten. Doch die Adelsfamilie kaufte die Anteile wieder zurück, „sobald die Investitionen in den Weinbau das wieder zuließen“.
Es stellt auch nicht gerade wenig dar, was rund um die 300 Hektar, mit denen man 1966 im Chianti Classico gestartet ist, heute unter dem Familiendach der Marchesi Antinori firmiert: „15 Weingüter, darunter immer noch fünf in der Toskana“, listet Allegra Antinori auf, während die Crostini serviert werden. Wie man diese Vielfalt mit einem Profil versieht, fasste die Marchesa mit einem schönen Satz zusammen: „Wir suchen mehr nach dem Vertikalen als dem Horizontalen im Wein: den Nerv, nicht die Breite“. Der flüssige Beweis dafür ließ in der Cantinetta nicht lange auf sich warten. „Bramito“ ist ein reinsortiger Chardonnay aus dem umbrischen Weingut Castello della Sala – und in mehrerlei Hinsicht ein echter Antinori-Wein. Das Schloss selbst geht auf das 14. Jahrhundert zurück und gehörte lang zum Dom-Schatz von Orvieto. Niccolò Antinori erwarb das Areal, das mit seinen 200 Hektar Weingärten keineswegs eine „Boutique“-Unternehmung darstellt.
Das große „Aber“ führt zum Diktum von Allegra Antinori zurück: Dieser Chardonnay sucht nämlich die Finesse. Der zarte Rauch-Ton des 2021er Jahrgangs wird in der Sekunde von Passionsfrucht und Pomelo begleitet. Die florale Seite bestreiten im Duftbild Geißblatt und Jasmin. Die Frische hat hier also mehrere Gesichter. Und sie lässt sich auch vom dezenten, aber merklichen Holzeinsatz beim 13% vol. kräftigen „Bramito“ nicht beirren. Tropenfrucht und der Biss der Säure legen am Gaumen los, der Mix aus Papaya und Grapefruit-Zesten sorgt für Leben bis in den Hall hinein.
Der feine Vanille-Ton jener Charge, die im Holz reifte (man verteilt die Ernte am Castello in Stahltanks und Barriques), setzt dazu einen buttrigen, aber nie zu penetranten Kontrapunkt. Sagen wir es einfach! Dieses Spiel am Gaumen macht Freude. Locker hält der 2021er aus Umbrien auch mit dem Trüffel-Risotto mit; cremige Noten hat er selbst, seine Frische wiederum hebt die Erdenschwere des Gerichts. Fatto bene!
Während der „Bramito“ für die Weingüter außerhalb der Toskana steht, führt der zweite Wein des Abends zurück ins Kernland der Florentiner Markgrafen. Und doch auch nicht. Denn Bolgheri (DOC-Status seit 1994) ist weitaus jünger als die Weingärten im Chianti – doch hier wurde der Ruf der „Supertuscans“ erarbeitet. Von Marchese Mario Incisa della Rocchetta ausgehend, der die Ähnlichkeiten des Bodens zu Bordeaux erkannte und hier die Sorten Frankreichs zwischen die „metallführenden Hügel“ in Meeresnähe pflanzte. Sassicaia und Ornellaia wurden Kultweine, doch die ursprüngliche Tenuta Belvedere der Antinoris gibt es nicht mehr, seit die Brüder Lodovico und Piero eigene Wege gingen.
Heute heißt diese weinhistorisch eminente Produktion Guado al Tasso. Von hier stammt der Wein aus Bolgheri, der das butterzarte Ossobuco begleitet. Es ist ein reinsortiger Merlot. „Cont’Ugo“ 2020 könnte man auch leicht für eine Cuvée französischen Zuschnitts halten, denn die Intensität und Würze, die man dem fruchtsatten Merlot im Alleingang vielleicht nicht zugestünde, überrascht. Doch auch hier hält man es mit einem skrupulösen Ausbau: Nach der Vergärung kommen 10% der Ernte in neue Barriques, der Rest in zweit-befüllte Fässer. Nach einem Jahr im Holz schließt sich die Flaschenreife an.
Der aktuelle Jahrgang des „Cont’Ugo“ erinnert an Steinpilz und Thymian mit seinen Kopfnoten, erst dahinter liegt die tiefe und dunkle Beerenfrucht: Heidelbeere pur! Etwas Teer ist auch zu riechen und eine dunkle, würzige Art, die an Bratensaft erinnert – und ähnlich Lust wie dieser auf das Kosten macht. Seidig fällt das Mundgefühl des Toskaners aus, er geht voll auf mit der Beeren-Fülle. Der Gerbstoff wirkt abgeschmirgelt am vorderen Gaumen, im Finish sorgt er für enge Räume, aber da kommt auch erneut die Kräuterwürze schön durch, dazu eine leicht salzige Note. Von den breiten Fruchtbomben an Merlot ist dieser Wein bereits in der Jugend deutlich entfernt.
Persönlich war auch der Vergleich mit dem berühmten reinsortigen Cabernet Franc von Guado al Tasso spannend (Kostnotiz zum „Matarocchio“ 2016 hier!). Denn der weit jüngere Merlot aus Bolgheri hat ihm an Geschmeidigkeit einiges voraus. Ja, er lässt sich bereits jetzt gut antrinken. Aber wie sagte Signora Allegra so schön: „Der Nerv, nicht die Breite“. Und den hat man 2020 offenbar getroffen!
Bezugsquellen:
Castello della Sala, „Bramito“ Umbria IGT 2021 kostet EUR 18,54;
Tenuta Guado al Tasso, „Cont’Ugo“ Bolgheri DOC 2020 kostet EUR 46,90, beide bei Vinorama, www.vinorama.at